Wie steht es mit der Erinnerungskultur in Dortmund?

Wie steht es 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Gedenken und der Erinnerung an die Opfer des Krieges in Dortmund?
Auf dem Hauptfriedhof befindet sich ein Ehrenmal und ein Gräberfeld. Links und rechts des Weges stehen fast 3500 Kreuzen. Sie tragen die Namen der deutschen Kriegsopfer in Dortmund. Beigesetzt wurden hier Dortmunder*innen, die im Bombenhagel umgekommen sind, aber auch Soldaten der Wehrmacht, alte Männer und Jungen, die beim Volkssturm waren oder bei Flak-Abteilungen. Die große Zahl der Kreuze zeigt augenfällig die große Zahl der Menschen war, die in Dortmund in einem sinnlosen, verbrecherischen Krieg ums Leben kamen. Hier zeigt sich die Tragik des Krieges mit jedem einzelnen Kreuz.

Deutsche Kriegsgräber auf dem Hauptfriedhof in Dortmund

Wenige Meter davon entfernt befindet sich der Internationale Friedhof am Rennweg. Dort wurden während des Zweiten Weltkriegs Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen u.a. aus Polen, Serbien und der Sowjetunion, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten, gegraben.
Seit mehreren Jahren ist auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg, der auch Ausländerfriedhof genannt wird, ein Projekt geplant. Zum Gedenken und zur Erinnerung sollen Stelen mit den Namen der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen aufgestellt werden, die hier beerdigt sind. Die Verstorbenen wurden während des Krieges sehr oft anonym begraben. Wie viele es tatsächlich waren ist bis heute unbekannt. In einem sowjetischen Dokument aus dem Jahr 1945 wird die Zahl der dort begrabenen sowjetischen Opfer mit 17.000 angegeben. Dokumente der Stadt Dortmund aus der Nazizeit und der Nachkriegszeit geben an, dass fast 5000 sowjetische Bürger*innen auf dem Ausländerfriedhof begraben sind.
In der Nachkriegszeit wurden auf den Gräberfeldern Obelisken aufgestellt, ein Kreuz, ein Grabstein oder Grabmäler mit ihren Namen blieb den verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, anders als den Verstorbenen anderer Länder, bis heute versagt.

Gräber der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

2014 hat eine Kommission, bestehend aus der Stadt Dortmund, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. , der Botschaft der Russische Föderation und der Bezirksregierung in Arnsberg, den Friedhof besichtigt. Bei der Besichtigung 2014 wurde zu Protokoll genommen, dass alle Beteiligten der Vereinbarung Verantwortung für das Projekt tragen. Es wurde festgehalten, der historische Verein „Ar.kod.M e.V.“ ordnet alle gefundene Namen alphabetisch nach Feldern. Das ermöglicht Zahl und Design der Stelen zu planen. Die Botschaft der Russischen Föderation überprüft alle gefundenen Namen auf Basis vorliegender Dokumente. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. übernimmt die Namensliste für die Übertragung auf die Stelen. Die Bezirksregierung in Arnsberg beantragt die Bundesmittel, die Stadt Dortmund ist für die Realisierung des Projekts zuständig.

Der historische Verein „Ar.kod.M e.V.“ hat einen Datenträger mit dem Arbeitsergebnis an die entsprechenden Stellen übergeben. Seit August 2014 gibt es aber keine Fortschritte in diesem Projekt, vielmehr wurden verschiedene Gründe, wie etwa keine Finanzierung, keine Genehmigung, Verzögerungen im Planungsprozess, genannt. Zuletzt wurde als Grund für die Verzögerungen fehlende Kapazitäten in den Planungsbüros für die erforderlichen Bodenuntersuchungen genannt. Verständlich ist, dass vor der Errichtung der Stelen auch Bodenuntersuchungen und Planungen erforderlich sind, die die Standfestigkeit sicherstellen.

Der „Internationale Friedhof“ ist auch als Jüdischer Friedhof bekannt. Dort befinden sich seit dem 1920ziger Jahren jüdische Grabstätten. 2016 wurde hier eine Platte verlegt. Die jüdische Gemeinde erinnert damit an die jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale, die ihr Leben in Zweiten Weltkrieg verloren haben und an deren Einsatz und die Opfer, die sie für die Befreiung vom Nationalsozialismus gebracht haben. Diese Platte wurde 2019 gegen ein Denkmal aus schwarzem Marmor ausgetauscht. Sicherlich waren auch für dieses Denkmal Bodenuntersuchungen erforderlich um die Standfestigkeit sicherzustellen. In jedem Fall ist es den Initiatoren des Denkmals gelungen das Gedenken und die Erinnerung an die jüdischen Menschen, die in den alliierten Armee gekämpft und an der Befreiung Deutschlands von Krieg und Nationalsozialismus einen großen Anteil haben, würdig zu gestalten.

Denkmal für die im 2. Weltkrieg in den Armeen der Alliierten gefallenen jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale

75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus hat nun auch die Stadt Dortmund eine besondere Verantwortung, an die Menschen, die hier Zwangsarbeit geleistet haben, zu erinnern und ihnen ihre Namen zurückzugeben. Auf den Zechen und in den Betrieben in Dortmund bestand die Belegschaft oft zu 50 % aus Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen. Diese Menschen haben mit der deutschen Bevölkerung gemeinsam gearbeitet. Ihr Leben, besonderes das der Menschen aus der Sowjetunion, war hart und entbehrungsreich. Sie waren in Lagern untergebracht und haben unter fehlender Versorgung, Krankheit und rassistischer Verfolgung gelitten. Nach ihrem Tod wurden sie oft anonym gegraben. Dies gehörte zum rassistischen Programm der Nazis. Einige Jahre später wurden die Gräber eingeebnet, so dass wir heute nur noch Rasenfläche vorfinden, wo sich einst Gräber befanden. Die Stadt Dortmund hat weder während des Krieges noch in der Nachkriegszeit ihren Umgang mit den Bestattungsorten der Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen hinterfragt und so ein schwieriges Erbe hinterlassen.

Die Jüdische Gemeinde erinnert mit einem Denkmal an die Verdienste von jüdischen Soldaten, Offiziere und Generale, die ihr Leben in Zweiten Weltkrieg verloren haben, dafür muss ihr gedankt werden.
Es ist jetzt schlicht und einfach die Verantwortung der Stadt Dortmund, ein würdiges Andenken an die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion zu schaffen, die als Zwangsarbeiter*innen in dieser Stadt lebten, litten und starben.

Wer sind die Ermordeten in der Bittermark?

Ein tragisches Kapitel in der Geschichte der Stadt Dortmund sind die Ereignisse in der Bittermark im Frühjahr 1945. Gemeint ist das grausame Verbrechen der Nazis in den letzten Kriegstagen. Kurz nach dem Kriegsende wurde die Massenmorde bekannt. Was in den Gestapoleuten vorging, die Hunderte der eingesperrten Opfer erschossen haben, können wir nur vermuten. Geschah es aus Wut über den verlorenen Krieg oder war es der Versuch die Verbrechen zu verbergen? Zu den Opfern dieser Tat zählen Hunderte von Gefangenen aus Gestapohaft. Selbst die Anzahl der Erschossenen gibt bis heute Anlass für weitere Recherchen. In der Broschüre „Katyn im Rombergpark“ ist zunächst die Rede von drei Begräbnisorten mit 100, 99 und 2 Leichnamen, insgesamt also 201. Wenige Seiten später wird von 238 Opfern berichtet, die auf verschiedenen Friedhöfen, unter anderem in Aplerbeck und Hörde, beerdigt wurden. 1954 wurde entschieden eine gemeinsame Grabstätte in der Bittermark zu schaffen. Zu diesem Zeitpunk wird in der Literatur schon von 254 Toten berichtet. Ist es möglich, dass einige der 18 im Johannes-Hospital in Hörde verstorbenen „Sowjets“ mit umgebettet wurden? Heute sind nur 12 sowjetische Namen in Hörde auf Kreuzen zu sehen. Die anderen 6 werden nicht mehr erwähnt. Seit einigen Jahren wird von 309 oder von über 300 „Opfern in der Bittermark“ gesprochen.
Noch mysteriöser erscheint die Suche nach den Namen der Opfer. Verständlicherweise wurden Opfer der Gestapo aus Dortmund und Umgebung von Familienangehörigen identifiziert. Im Buch Beutel/Klose „Katyn in Romberg-Park“, Seite 26, wird das Vorgehen sehr präzise beschrieben. Dort gibt es ein paar Stellen, bei denen die Identifizierung nicht so eindeutig ist. Eine Leiche wurde nur anhand „einer Narbe auf der Hand“ wiedererkannt. Mehrere Körper wurden überhaupt nicht von Familien identifiziert, sie wurden aber trotzdem „als wahrscheinliche Opfer“ namentlich genannt. Dazu zählen auch Personen, die in den letzten Tagen u.a. in Bochum, Hagen, Witten, Lüdenscheid oder Herdecke verhaftet wurden und zum möglichen „Abtransport nach Dortmund“ bestimmt waren. Viele sind aufgrund von Meinungsäußerungen oder ihrer politischen Auffassungen spurlos verschwunden. Das war für ihre Familien ganz schrecklich.

Äußerst schlechter ist die Beweislage bei der Identifizierung von ausländischen Opfern. Keiner der Ermordeten hatte Papiere, Erkennungsmarken oder andere privaten Gegenstände dabei. Eine Aussage aus der Nachkriegszeit in den Akten der Staatsanwaltschaft, die in dem Buch „Mit Stacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde. Opfer und Täter“, von Lore Junge, Seite 129, zitiert wird, besagt dass ein LKW nach der Fahrt zum Erschießungsort mit allen Kleidungsstücken zurückgekommen ist. Das widerspricht den Textstellen, die beschreiben, dass die Familien ihre Verwandten anhand von Kleidungsresten identifiziert haben. Wie kann es sein, dass nach mehreren Jahren eine große Zahl der westlichen Opfer identifiziert wurde? Welche Beweise gibt es für diese Behauptungen? In der Veröffentlichung – „Mit Stacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde. Opfer und Täter“, L. Junge, wird nur beschrieben, dass mehrere Menschen verschiedener Nationen gefasst und später vielleicht zur Gestapo nach Hörde abtransportiert wurden. Reicht das als Beweis für die Eintragung in die „Opferliste“?
Wir versuchen den Beweisen zu folgen und uns ein Bild von den Nachforschungen zu machen. Die Identifizierung der ersten Opfergruppe, der Deutschen, ist trotz einiger Zweifel noch glaubwürdig. Warum werden in den Veröffentlichungen von Detlev Peukert, aus den Jahren 1976 und von Lore Junge, aus dem Jahr 1999 plötzlich die Namen von anderen Gestapo-Opfern genannt? Gab es eine wissenschaftliche Arbeit, die neue Dokumente ausfindig gemacht hat? Gibt es eine neue Beweislage? In den verfügbaren Publikationen wird nichts darüber berichtet. Als Grundlage der Veröffentlichungen werden die Namen aus früheren Publikationen genannt. Es stellt sich die Frage, ob es ausreicht einmal in einem Text zu erscheinen, um als Gestapo-Opfer, das in der Bittermark ermordet wurde, anerkannt zu werden?

Wir haben die verfügbaren Dokumente auf eine andere Art untersucht. Was haben alle genannten Namen gemeinsam? Unsere Ergebnisse zeigen, dass all diese Menschen in den letzten Monaten aus „politischen“ und „wirtschaftlichen“ Gründen verhaftet und zu einer Gestapostelle gebracht wurden. Das Wichtigste aber ist, dass alle diese Namen den Vermerk „entlassen“ oder „von Gestapo entlassen“ tragen. Die Gestapo hat diese Menschen nicht frei gelassen. Dieser Vermerk war für die Inhaftierten das Todesurteil. Ab und zu findet man noch Vermerke wie „Transport“, oder „ von Gestapo abgeholt“. Aber solche Vermerke bedeuteten bereits 1942 das Todesurteil. Das könnte bedeuten, dass möglicherweise alle Gestapo-Inhaftierten der letzten Kriegsmonate als Erschossene in der Bittermark gewürdigt werden könnten, weitere Nachforschungen sind deshalb unbedingt notwendig.
Ein besonderer Anlass für unsere Arbeit ist das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen. In Akten aus der Nachkriegszeit lesen wir, dass die meisten der in der Bittermark erschossenen Personen Ostarbeiter und Sowjets seien. Ein Dokument der britischen Kommission besagt, dass vermutlich 95 „Russen“ in der Bittermark ermordet wurden. In einem anderen Texten ist zu lesen, dass ein Widerstandskämpfer und vier Russen abtransportiert wurden. Die Gestapo-Akten zeigen, dass auch sowjetische Bürger in den letzten Monaten mit der Begründung „politisch“ oder „Arbeitsverweigerung“ in Gestapo – Haft genommen wurden. Und mindestens 87 von ihnen hatten als Vermerk „entlassen“. Weitere 20 „Russen“ haben den Vermerk „abtransportiert“. Bis heute wurde kein Name der Genannten unter den Überlebenden oder Befreiten gefunden. Selbstverständlich hat kein Mensch aus UdSSR eine Anfrage zum Verbleib ihrer Verwandten nach Deutschland gesandt. Während westliche Kriegsgefangene und Zivilisten mit ihren Familien die ganze Zeit Kontakt hatten, hatten „Sowjets“ keine Möglichkeit über ihre Unterbringung zu berichten. Sie waren und bleiben „unbekannte Opfer“ dieses grausamen Krieges. Dagegen müssen wir etwas tun!!!