Familien suchen nach den Opfern der Bittermark

Wir forschen weiter, um die Schicksale der Opfer der Bittermark zu klären. Mehrere Veröffentlichungen über die Menschen, die in letzten Tagen des Krieges in Dortmund getötet wurden, zeigen, dass vorallem die Bemühungen der Familien die Identifizierung ermöglicht hat. 12 Ermordete wurden von Familienangehörigen identifiziert. Später wurde diese Liste auf 33 Personen erweitert.
Die Möglichkeit ihre ermordeten Angehörigen zu identifizieren hatten aber nur Familien in Deutschland, doch auch in der ehemaligen Sowjetunion haben Familien nach ihren Angehörigen gesucht.
Die unten beschriebenen Fälle zeigen die Möglichkeiten, die den Familien in der ehemaligen Sowjetunion, in allen 15 Sowjetrepubliken, zur Verfügung standen, um nach ihren Angehörigen zu suchen.

Trofim Efimowitsch Litwin

So hat die Mutter vom Trofim Efimowitsch Litwin 1949 einen Suchantrag gestellt.

Suchantrag Trofim Efimowitsch Litwin, Quelle: OBD-Memorial, ID 70120548, Seite 3

Übersetzung des Suchantrags nach Trofim Efimowitsch Litwin

Fragebogen zur Suchaktion nach einem Rotarmisten

FragenAntworten
1. Name , Vorname, VaternameLitwin, Trofim Efimowitsch
2. Geburtsdatum1917
3. Geburtsort, Gebiet, Bezirk, Dorf/StadtGebiet Poltawa, Bezirk Kobelezkij,
Dorf Komarowka
4. Durch wen und wann mobilisiertOktober 1939, Mobilisierungspunkt Stadt Poltawa
5. DienstgradRotarmist
6. Letzter schriftlicher Kontakt15.09.1941, (der Ort war von den Deutschen besetzt)
7. Poststempel der letzten AdresseGemäß Poststempel auf dem letzten Brief vom 21.2.1941, Feldpost-Nr. 35-10. 594 I.D
8. Letzter Wohnort vor der MobilisierungStadt Poltawa, Komsomolskaja Straße 49
9. Zusätzliche Information über den Gesuchtenauf der beigefügten Photographie ist ersichtlich,
dass Litwin, T.E. seinen Dienst bei der 591. Inf.Div. der Moldawischen SSR, Stadt Beljzy tat
10. Wer sucht, Name, Vorname, Vatername Litwin, Elisaweta Ignatjewna
11. Verwandtschaftliche Beziehung: Ehefrau, Mutter, Vater, Schwester, Bruder, u.s.w.Mutter
12. Vollständige Anschrift des AntragstellersGebiet Poltawa, Bezirk Kobelezki, Dorf Komarowka
13. Persönliche Entscheidung des Leiters des Militäramts zum Schicksal des Kriegsdienstleistendenvermisst seit Oktober 1941
14. Grund für die verspätete SucheWir hatten keine bestätigten Dokumente und keine genaue Dienstadresse. Wir sandten einen Brief nach Moskau, erhielten aber keine positive Antwort

Anlagen: 1. Photographie von Litwin, T.E.,2. Bestätigung aus dem Amt des Dorf Komarowka, 3. Vorderseite eines Kuverts

Nr- 17

Leiter des Amtes28. März 1949
Oberstleutnant xxxxxxMilitäramt Kobeljskij
Entscheidung: Als vermisst registriert

Trofim Efimowitsch Litwin, im Herbst 1940

Die Bearbeitung der Suchanfragen hatten überall den gleichem Ablauf. Nachdem die Familienangehörigen einen Suchantrag bei der örtlichen Militärbehörde gestellte hatte, prüfte diese alle Angaben und sandte den Antrag nach Moskau. Dort wurden verschiedene Quellen abgefragt: „Gefallene und Registrierte in Verlustlisten“, „Verwundete und Evakuierte“, „Gefangene“ u.s.w. Wurde der Name des Gesuchten gefunden, suchte man nach weiteren Informationen. War die Suche erfolglos, wurde eine Sammelliste nach Orten erstellt und an die anfragende Stelle zurück gesandt. Vor Ort teilte die Militärbehörde den Angehörigen mit, dass der Gesuchte als „vermisst“ gemeldet ist und stellte den Bescheid für die Zahlung einer Rente aus.

Anwar Hassanowitsch Isaew

Suchantrag der Familie Isaew

Quelle: OBD Memorial ID 70276022

Übersetzung der Suchanfrage der Familie Isaew

Fragebogen

1. Name, Vorname, VaternameIsaew, Anwar Hassanowitsch
2. Geburtsdatum1920
3. GeburtsortDorf Atenino, Bezirk Tunguschewkij,
Mordowskaja, ASSR (Zentralrussland)
4. Durch welches Militäramt einberufenNaukatskij, Mobilisationspunkt Bezirk Osch
5. DienstgradRotarmist
6. Amt in der Roten Armee
7. Adresse der Einheit im letzten Briefkeinen Brief erhalten
8. Wann ist die briefliche Verbindung abgebrochenim November 1941
9. Wohnort vor der MobilisierungAul Iski-Naukat, Bezirk Naukatskij, Gebiet Osch
(Kirgisische SSR)
10. Zusätzliche Informationen über den Gesuchtenkeine
11. Falls es Informationen über den Tod gibt, machen Sie
Angaben wo und wann
keine
12. Wer suchtIsaew, Hassan Iljasowitsch
13. Familiäres Verhältnis zum GesuchtenVater
14. WohnortStadt Fergana, Schtschörss Straße 10
Usbekische SSR
15. Persönliche Entscheidung des Leiterswegen fehlender Information im Militäramt gehe ich
davon aus, dass er vermisst ist

Entscheidung: Registrieren als „vermisst“ seit Dezember 1941, Bescheid (für die Zahlung der Rente) herausgeben

Leiter des Amtes, 17.04.1958
Oberstleutnant xxxxxxx

Anton Kirillowitsch Grebenjuk

In der Regel wurde nach dem Krieg von den Stadtverwaltungen in jedem Haushalt Abfragen nach Vermissten macht. Das örtliche Militäramt erstellte nach diesen Angaben Listen, auf denen die Rotarmisten eingetragen waren, die nicht zurückkehrten. Diese Liste wurde im Verlauf mehrerer Jahre gemeinsam vom Militäramt und vom Geheimdienst geprüft. In einigen Fällen führte diese Prüfung zur Gewissheit über das Schicksal des Gesuchten. Bei der großen Mehrheit steht als Ergebnis – „vermisst“ und das Datum gerechnet ab dem Datum des letzten Briefes plus 3 Monate.

Genau das sehen wir in den weiteren Dokumenten.

Informationen aus Dokumenten, die den Verlust angegeben
ID 65914854



Name
Grebenjuk
Vorname
Anton
Vatername
Kirillowitsch
Geburtsdatum
__.__.1924
Geburtsort
Ukranische SSR, Gebiet Zhitomir,
Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow
Mobilisiert
06.1941 Militäramt Brusilow, Ukranische SSR,
Gebiet Zhitomir, Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow
Dienstrang
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
__.03.1944*
Quelle des Bericht
ZAMO

* für die von Deutschland besetzten Teile der Sowjetunion galt die Regeln das Datum des Verlustes als Vermisste/r ist„3 Monaten nach Befreiung der Region“

Verlustliste auf der Anton Kirillowitsch Grebenjuk verzeichnet ist, Quelle OBD Memorial ID 65914854

Unter Nummer 8 der Liste wird Anton Kirillowitsch Grebenjuk ausgeführt. Nur sehr wenig ist von ihm in Erinnerung geblieben. Seine Mutter, Anna Pawlowna Grebenjuk, hatte nicht viele Möglichkeiten für eine Suche. Sie erhielt am 25. September 1946 den Bescheid des örtliches Militärsamt „vermisst zusammen mit 14 anderen Rotarmisten aus den umliegenden Dörfern“.

Iwan Petrowitsch Haew

Iwan Petrowitsch Haew wurde als Infanterist ohne Parteizugehörigkeit mobilisiert. Den letzte Brief hat er von der Feldpost 59/2, Bahnhof Tschizhowo, Dorf Zarabby-Kostji, Gebiet Belostock, am 20.06.1941 abgeschickt. Seine Ehefrau, Olga Iwanowna Haewa, erhielt nur die Nachricht, dass ihr Ehemann als „vermisst seit Dezember 1941“ gilt. Dieser Bescheid ist vom 3.12.1947 . Der Bescheid bedeutete für Olga Iwanowna Haewa, dass keine weiteren Nachforschungen folgen würden. Damit hatte sie die letzte Hoffnung auf die Rückkehr ihres Ehemanns verloren.

Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten
ID 62330033

Familienname
Haew
Vorname
Iwan
Vatername
Petrowitsch
Geburtsdatum
1914
Geburtsort
Gebiet Iwanowo, Dorf Medwezhje
Datum und Ort der Mobilisierung
20.06.1940, Militärbehörde der Stadt Palech, Gebiet Iwanowo
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
12.1941
Quelle ZAMO

Unter der Nummer 8 sehen wir die kurze Informationen aus Befragungen des örtlichen Militärsamts.

Verlustliste auf der Iwan Petrowitsch Haew verzeichnet ist, Quelle 62330033

Schon in September 1941 musste Iwan Haew in der Stadt Meissen Zwangsarbeit leisten. Am 21.10.1941 wird er an das Stalag IV H gebracht. Darüber haben wir in unserem Beitrag „Leben und Sterben der sowjetischen Gestapo-Opfer“ berichtet. Auf der Arbeitskarte ist sein Tod nicht dokumentiert. Weitere Dokumente sind während des Krieges verloren gegangen. Ebenso wie seine Dokumente verschwand auch Iwan Petrowitsch Haew, wie es von der Gestapo geplant war.

In der Vergangenheit wussten die sowjetische Seite nichts von den Gestapo-Listen und die deutsche Seite kannte die Suchmeldungen der Angehörigen nicht. Heute aber haben alle Seiten Zugang zu diesen Dokumenten, deshalb muss alles dafür getan werden Namen und Schicksal der „Vermissten“ zu erforschen, sonst erreichen die Nazis ihr Ziel: Menschen, die von ihnen in rassistischer Weise abgewertet wurden, die sie gequält, ausgebeutet und ermordet haben, einfach spurlos verschwinden zu lassen.

Leben und Sterben der sowjetischen Gestapo-Opfer

Wer sind die Ermordeten der Bittermark?

Im Stadtarchiv der Stadt Dortmund geben zahlreiche Dokumente Zeugnis von der grausamen Arbeit der Gestapo. Auch in den letzten Kriegstagen wurden Verhaftungen akribisch vermerkt. Die Dokumente über die Gestapo-Haft sowjetischer Bürger*innen enthalten für diese Zeit 117 Einträge. Hinter den Namen dieser Verhafteten findet sich oft der Vermerk „entlassen“. Anders als der Begriff „entlassen“ vermuten lässt, haben diese Gefangenen ein grausames Schicksal, denn die Eintragung „entlassen“ war ein Todesurteil für die Gefangenen. So gehen wir davon aus, dass unter den 117 Menschen auf der Liste der Gestapo, 98 Gefangene, hinter deren Namen den Vermerk „entlassen“ steht, die letzte Tage des Krieges nicht überlebten.

Nur wenige haben überlebt

Nur wenige Gefangene haben die Gestapo-Haft und die letzte Tage des Krieges überlebt. Für einigen Menschen haben wir jetzt persönliche Dokumenten in verschiedenen Archiven gefunden.

Pawel Wasiljewitsch Philipin

Auf der oben genannten Gestapo-Liste ist Paul Pilipin, geboren 1911, unter der Nr. 8554 eingetragen. Er war am 2.4.1945 in Gestapo-Haft. Nach eingehender Recherche konnten wir in der Datenbank OBD-Memorial (https://obd-memorial.ru/html/) unter der ID 79919315 einen Eintrag für Philipin (Filipin), Pawel Wasiljewitsch finden. Wir gehen davon aus, dass es sich um den in der Liste genannten Paul Pilipin handelt, denn nach unserer Erfahrung wurden Namen von sowjetischen Bürger*innen bei der Registrierung sehr oft fehlerhaft aufgenommen. Darüber hinaus differiert die Schreibung von Namen in lateinischer, deutscher und kyrillischer Schrift.

Informationen aus dem Archiv
ID
79919315

Familienname
Philipin (Filipin)
Vorname
Pawel
Vatername
Wasiljewitsch
Geburtsdatum
1911
Geburtsort
Rjsaner Gebiet, Dorf Nikoljskoe
Datum und Ort der Mobilisierung
1941
Letzter Dienstort
Einheit 904. Infanterie Regiment
DienstgradRotarmist
Grund des Verlustes
in Gefangenschaft geraten (befreit)
Datum des Verlust
20.08.1941

Der Eintrag in der Datenbank OBD-Memorial besagt, dass Pawel Wasiljewitsch Philipin bereits im August 1941 in Gefangenschaft geriet und am Ende des Krieges befreit wurde. Er hatte also eine lange Gefangenschaft hinter sich. Darüber geben zwei Transportkarten Auskunft:
OBD Memorial, ID 1978125561
Transportkarte Filipin, Pavel zum Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern)

OBD Memorial, ID-Nr. 1978107752
Transportkarte Filipin, Pavel vom Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern) zum Stalag XIII D zum Stalag XIII A Nürnberg-Langwasser

Es ist anzunehmen, dass Pawel Philipin nach Dortmund kam, da sehr viele sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit in die Betriebe und Zechen des Ruhrgebiets gebracht wurden.

Pjotr Iwanowitsch Powarow

Auch Pjotr Powarow (Peter Powarow) geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 10020 registriert, auch er wurde nach dem Ende des Krieges befreit.

Informationen aus dem Archiv
ID 85494462


Familienname
Powarow
Vorname
Pjotr
Vatername
Iwanowitsch
Geburtsdatum
1918
Geburtsort
Smolensk, Degtjarowa 2
Datum und Ort der Mobilisierung
09.05.1934, Waisenhaus, Stadt Smolensk
Dienstrang
Unterleutnant
Grund für den VerlustIn Gefangenschaft geraten (befreit)
Datum des Verlust
27.10.1941
Quelle
ZAMO

Seine Filtrationskarte besagt: Der Unterleutnant Pjotr Iwanowitsch Powarow geriet leichtverwundet am 27.10.1941 in Kriegsgefangenschaft. Am 13.04.1945 befreiten ihn die Amerikaner in Dortmund. Bis November 1946 wurde er in verschiedenen Filtrationslagern überprüft. Danach arbeitete er bei einem Moskauer Bauunternehmen.

Filtrationskarte von Pjotr Iwanowitsch Poworow

Der Vermerk „entlassen“ war ein Todesurteil

Ganz anders aber waren die Schicksale der 98 sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten*innen, deren Gestapo-Akten den Vermerk „entlassen“ tragen. Von keiner dieser Personen finden sich Dokumente über ihre Befreiung und ihre Rückkehr nach Hause.

Anwer Hassanowitsch Issajew

Einer dieser 98 Gefangenen ist An(u)wer Issajew, registriert unter der unter Nummer 8649 in den Gestapo-Akten.
Seine Familie erhielt von ihm im November 1941 das letzte Lebenszeichen.

Informationen aus dem Archiv
ID 70276022

Familienname
Isaew
Vorname
Anwar
Vatername
Hasanowitsch
Geburtsdatum
1920
Geburtsort
ASSR Mordowien, Dorf Atenino
Datum und Ort der Mobilisierung
13.02,1941 ,Kirgisische SSR, Gebiet Osch
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlustvermisst
Datum des Verlust
12.1941
Quelle
ZAMO

Iwan Petrowitsch Haew

Über den unter der Nummer 8666 eingetragenen Iwan Haew gibt es Informationen in der Datenbank OBD-Memorial. Iwan Petrowitsch Haew war seit dem 20.6.1940 Soldat, sein letzter Dienstort war Belostock ganz im Westen der Sowjetunion. Ab Ende Juni 1941 hatte seine Familie keine Nachricht mehr von ihm.

Informationen über Kriegsgefangenen
ID 72230514

Name
Haew
Vorname
Iwan
Geburtsdatum
04.08.1914
Lager
Stalag (Lager in dem der Gefangene
registriert wurde)
IV B
Erkennungsmarken-Nr.
123059
Dienstrang
Rotarmist
Quelle
ZAMO

Im September 1941 wurde er im Stalag IV B Mühlberg/Elbe registriert und erhielt die Erkennungsmarken-Nr. 123059. Einige Arbeitseinsätze und Lagern überlebte er.

Er wurde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zur Zwangsarbeit ins Ruhrgebiet gebracht. Sein letztes Lebenszeichen war die Eintragung der Dortmunder Gestapo „entlassen“. Der Vermerk war sein Todesurteil. Er kam nicht nach Hause.

Trofim Efimowitsch Litwin

Trofim Efimowitsch Litwin war seit 1939 Soldat in einer Einheit der Roten Armee in der Stadt Belzy. Seit November 1941 hatte seine Familie kein Lebenszeichen von ihm.

Auch Trofim Litwin geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 8677 registriert. In den Gestapo-Akten steht neben seinem Namen unter dem 1.4.1945 der Vermerk „4K entlassen“.

Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten
ID 70120548

Familienname
Litwin
Vorname
Trofim
Vatername
Efimowitsch
Geburtsdatum
1917
Geburtsort
Ukrainische SSR, Gebiet Poltawa, Dorf Komarowka
Datum und Ort der Mobilisierung
10. 1939, Ukrainische SSR, Stadt Poltawa,
letzter Dienstort
P/Ja 35-10
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
12.1943
Quelle ZAMO

Ebenso wie die Familien in Deutschland und Frankreich Nachforschung nach ihren Angehörigen anstellten, die in der Bittermark ermordet wurden, suchten auch die Familien in der Sowjetunion nach ihren ermordeten Angehörigen. Diese Nachforschungen waren in der Nachkriegszeit sehr schwierig.
Inzwischen wurde viele Archiven geöffnet, die in der Nachkriegszeit nicht zugänglich waren. Welche Informationen und Dokumente lassen sich dort noch über die 98 aus Gestapo-Haft „Entlassenen“ finden?

Gedenken an die Opfer der Bittermarkmorde

Kurz vor dem Ende des Krieges, im Frühjahr 1945, ermordete die Gestapo in der Bittermark und im Rombergpark mehrere hundert Menschen, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Eine Liste mit den Opfern der Bittermark enthält 114 Namen, darunter auch einige ausländische Häftlinge, von denen angenommen wird, dass sie in den letzten Kriegstagen in Dortmund ermordet wurden. Als Quellen wird das Buch von Lore Junge „Mit Stacheldraht gefesselt“ angegeben.

Lore Junge gibt in ihrem Buch insbesondere die Biographien der deutschen Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wieder. Dafür hat sie mit Angehörigen der Ermordeten gesprochen und Akten durchgesehen. Ihrer Arbeit und ihren Recherchen ist es zu danken, dass wir viel über das Leben und die politische Arbeit der ermordeten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wissen sowie über ihre Zeit in Haft und die Suche nach den Ermordeten in den Tagen und Wochen nach dem Bekanntwerden der Verbrechen in der Bittermark. Bei ihren Recherchen beruft sich Lore Junge unter anderem auch auf Dokumente der Gestapo und auf den Prozess, der 1952 gegen einige Täter stattfand.

Für die ausländischen Ermordeten der Bittermark ist die Recherche jedoch sehr schwierig. Berichte von Angehörigen liegen in den allermeisten Fällen nicht vor. Die Dokumentenlage über die Verbrechen der Gestapo in den letzten Kriegstage ist lückenhaft. Dennoch liegen dem Stadtarchiv Dortmund Dokumente vor. So sind in Papieren Gestapo unter dem 2. April 1945 zahlreiche Personen mit dem Vermerk „2.04.1945 entlassen“ geführt. Dort finden sich auch die Namen Albert Meyers, Cornelius Bothof und Peter Drapohovich aus der obengenannten Liste.

Nr. in der OpferlisteNationalitätNameLetzte MeldungEintragung Gestapo
73FranzoseMeyers, Albert02.04.1945entlassen
12HolländerBothof, Cornelius02.04.1945entlassen
32JugoslaveDrapohovic, Peter02.04.1945entlassen

Schauen wir die Gestapo-Akten von sowjetischen Bürgerinnen und Bürgern an, finden wir am gleichem Tag zahlreiche Eintragungen mit dem Vermerk „Gestapo abgeholt“ oder „durch Gestapo entlassen“. So wurden am 2.4.1945 gem. Gestapo-Akten 13 sowjetische Gefangene „entlassen“. Wir müssen davon ausgehen, dass sie ermordet wurden.

Diese Menschen, die vielleicht in der selben Zelle saßen wie die drei obengenannten Gefangenen, werden bis heute nicht zu den Ermordeten der Bittermark gezählt.

Nr. im Aktenbestand 167/1-137NationalitätNameletzte MeldungEintragung Gestapo
7316SowjetbürgerOrlow, Wasili02.04.1945Gestapo abgeholt
8514SowjetbürgerPodoljan, Grigori02.04.1945durch Gestapo entlassen
8572SowjetbürgerSchilow, Feodor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8584SowjetbürgerJanik, Wladislaw02.04.1945durch Gestapo entlassen
8609SowjetbürgerSoschenko, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8618SowjetbürgerNadjuk, Paul (Pawel)02.04.1945durch Gestapo entlassen
8621SowjetbürgerWenigrora, Eugen(ij)02.04.1945Gestapo abgeholt
8622SowjetbürgerWoronow, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8623SowjetbürgerVolik, Nikolai02.04.1945durch Gestapo entlassen
8630Sowjetbürger-inGutnik, Galina02.04.1945durch Gestapo entlassen
10004SowjetbürgerDzjura, Nikolai02.04.1945durch Gestapo entlassen
10029SowjetbürgerNimenko, Wasili02.04.1945durch Gestapo entlassen
8569SowjetbürgerMaczkowski, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen

Stalingrad Protokoll*

Eine Textkollage

*Der Text ist, soweit nicht anders angegeben, dem Buch von Jochen Hellbeck „Die Stalingrad Protokolle – Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht“, Seite 11-18, Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich, 2012, entnommen.

Die Schlacht um Stalingrad markiert einen Wendepunkt im 2. Weltkrieg. Sie endete mit der Einkesselung und Vernichtung einer gesamten deutschen Feldarmee. Es war die bislang größte Niederlage in der deutschen Militärgeschichte.

28. Juni 1942

Nach den zum Stehen gekommenen deutschen Angriffen auf Leningrad, Moskau und Sewastopol im Herbst 1941 und den sowjetischen Gegenoffensiven im Winter plante Hitler für das zweite russische Kriegsjahr eine umfassende Sommeroffensive unter dem Decknamen „Operation Blau“. Sie begann am 28. Juni 1942 mit einem Großangriff an der russisch-ukrainischen Südfront und sollte Deutschland in den Besitz wichtiger Rohstoffquellen bringen – der Kohlegebiete vom Donbass und der Ölfelder von Maikop, Grosny und Baku. Die Panzer- und motorisierten Infanterieverbände der Deutschen kamen rasch voran. Die Speerspitze in der Heeresgruppe B bildete die 6. Armee von Generaloberst Paulus. Unterstützt von rumänischen Verbänden, erhielten sie den Auftrag, die Industriestadt Stalingrad an der Wolga zu erobern. Zu diesem Zeitpunkt mochte auch sowjetischen Beobachtern scheinen, dass der Krieg bereits entschieden war. Wassili Großman, ein sowjetischer Schriftsteller und Journalist, der als Kriegsberichterstatter für die Zeitung „Roter Stern“ u.a. von der Schlacht um Stalingrad berichtete, notierte im August 1942 in sein Tagebuch: „Dieser Krieg im Süden, am Unterlauf der Wolga, schafft ein Gefühl, als wäre ein Messer tief in den Leib gerammt worden.“

Hitler stilisierte den deutschen Angriff frühzeitig zu einem Entscheidungskampf zwischen den verfeindeten weltanschaulichen Systemen. Am 20 August 1942 notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: „Es soll kein Stein auf dem anderen bleiben.“ Am 23. August erreichten erste deutsche Panzer 70 Kilometer entfernt die Wolga nördlich von Stalingrad und riegelten den Zugang zur Stadt von Norden her ab.

Stalingrad erstreckte sich wie ein Band 40 Kilometer längs des Westufers der Wolga. Bei Kriegsausbruch zählte Stalingrad knapp 500.000 Einwohner.

Als Industriezentrum und Waffenschmiede spielte es eine wichtige kriegswirtschaftliche Rolle. Im Sommer 1942 war die Stadt zudem von Flüchtlingen überlaufen.

Stalingrad kurz vor dem Angriff, Quelle „Stalingrad Lehren der Geschichte, Hrg. W.I. Tschuikow, Röderberg Verlag, Frankfurt 1979

23. August 1942

„Der Tag begann wie allen anderen. Die Hausmeister trieben Staubwolken von der Platzmitte zum Gehweg. Alte Frauen und kleine Mädchen gingen vorbei, um sich für Brot anzustellen…Tausende Menschen, die am Flusshafen auf die Überfahrt warteten, erwachten langsam und unwillig, gähnten, kratzten sich, kauten trockenes Brot… Die Sonne stieg höher. Und die ganze große, unruhige Stadt, Heerlager und Ort zivilen Lebens in einem, begann zu atmen, begann zu arbeiten… Auf einer Bank neben dem Paradeeingang eines dreistöckigen Hauses hatten es sich zwei hübsche junge Frauen bequem gemacht. Die eine, die Frau des Hausverwalters, stopfte ein Kinderkleidchen, die andere strickte einen Strumpf… Die letzte Stunde Stalingrads, des Stalingrad, wie es vor dem Krieg war, verlief wie alle Stunden und Tage zuvor… Die ersten Flugzeuge tauchten gegen 4 Uhr nachmittags auf. Das Dröhnen der Motoren wurde stärker, zäher, dichter… Alle Geräusche der Stadt duckten sich, verebbten und allein das Dröhnen, das in seiner behäbigen Monotonie die Riesenkraft der Motoren wiedergab, wuchs an verdichtete, verfinsterte sich. Zeitweise konnten das gewaltige Flakfeuer und die Angriffe der Jäger mit dem roten Stern die Formation der deutschen  Luftwaffe stören… Als sie sich über der Stadt getroffen hatten, die Flugzeuge aus Osten und Westen aus Norden und Süden, gingen sie in den Sinkflug über… Und ein drittes neues Geräusch ertönte über der Stadt – das bohrende Pfeifen Dutzender und Hunderter von Sprengbomben, die sich von den Tragflächen lösten, das Winseln Tausender und Zehntausender Brandbomben, die aus den aufklaffenden Schüttbehältern stürzten. Die Bomben erreichten die Erde und bohrten sich in die Stadt.“

(Wassili Großman, Stalingrad, Seite 699ff, Ullstein Verlag, 2022)

„Es kamen die schwersten Tage für die Verteidiger von Stalingrad. Im Getümmel der Schlacht um die Stadt, der Angriffe und Gegenangriffe, im Kampf um das „Haus der Spezialisten“, um die Mühle, um das Gebäude der Staatsbank, im Kampf um Keller, Höfe und Plätze zeigte sich eindeutig die Überlegung der deutschen Streitkräfte. Die Initiative, die Treibkraft des Krieges, ging in diesen Tagen von der deutschen Seite aus. Immer weiter schoben sie sich vor, und aller Ingrimm der sowjetischen Gegenangriffe konnte ihren langsamen, aber unaufhaltsamen Vormarsch nicht stoppen. Am Himmel dröhnten vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die deutschen Sturzkampfflugzeuge und stießen mit Sprengbomben auf die schmerzerfüllte Erde herab. Und in Hunderten von Köpfen saß quälend nur ein Gedanke: Was wird morgen sein oder in einer Woche, wenn sich der sowjetische Verteidigungsgürtel in einen Faden verwandelt hat und durchgerissen ist, zermalmt von den Eisenzähnen der deutschen Offensive?“

(Wassili Großman, Leben und Schicksal, Seite 37 f, Ullstein-Verlag, 202
2)

Stalingrad, Quelle siehe weiter oben

14. September 1942

Nach den zweiwöchigen Bombenangriffen traten die deutschen Truppen zum Sturm auf die Stadt an. Am 14. September brach ein Regiment in der Innenstadt zu Wolga durch. In den schweren Straßen- und Häuserkämpfen der darauffolgenden Wochen wurden die Soldaten der 62. Armee (Rote Armee Anm. HT) überall in der Stadt bis ans Wolgaufer zurückgedrängt. Die im westlichen Steilufer eingegrabenen sowjetischen Verteidiger hielten bald nur noch mehrere Brückenköpfe.

Am 8. November 1942 hält Hitler im Löwenbräu in München eine Rede, die auch im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde. Viktor Nekrassow, der in Stalingrad Soldat in der Roten Armee war und  am westlichen Steilufer kämpfte, berichtet  in seinem Roman „Stalingrad“ über diese Rede (Anmerkung H.T.)

„Vor meinen Augen tanzen die Buchstaben, ungewohnte gotische Buchstaben… „Völkischer Beobachter“  Die Rede des „Führers“ in München … „Stalingrad ist unser! Nur noch in wenigen Häusern sitzen die Russen. Mögen sie sitzen…Die gewaltige russische Arterie- die Wolga ist lahmgelegt. Und es gibt keine Macht in der Welt, die uns von diesem Platz fortbringen könnte…Ich weiß Sie haben Vertrauen zu mir, und Sie dürfen versichert sein – ich wiederhole es mit voller Verantwortung  vor Gott und der Geschichte -, daß wir Stalingrad nie wieder verlassen werden. Nie wieder! Wie sehr es die Bolschewisten auch wünschen mögen…“ Ich stehe auf und gehe schwankend durch die Öffnung, die früher wahrscheinlich eine Tür war.

(Viktor Nekrassow, Stalingrad Seite 335f, Aufbau-Verlag 2021)

19. November 1942

Am 19. November 1942 startete die als „Operation Uranus“ kodierte sowjetische Großoffensive mit einem Aufgebot von über einer Million Soldaten. Die sowjetischen Panzer vereinigten sich am 24. November mit den am 20. November südlich von Stalingrad nach Westen vordringenden Panzerdivisionen. Die Deutschen und ihre Verbündeten waren eingekesselt. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee erwog einen Ausbruch seiner eingeschlossenen Truppen. (Doch) Hitler ordnete an, die „Festung  Stalingrad“ um jeden Preis zu halten. Eine Luftbrücke sollte die eingekesselten Soldaten mit Nahrung und Munition versorgen. Die Versorgung des Stalingrader Kessels aus der Luft blieb lückenhaft, so dass die anfangs über 300 000 eingeschlossen Soldaten zusehends an Nahrung- und Munitionsknappheit litten.

10. Januar 1943

Die Schlussoperation der Roten Armee zur Zerschlagung des Kessels, „Operation Ring“ begann am 10. Januar 1943. Am 26. Januar vereinigte sich die Don-Front mit der 62. Armee. Das Treffen fand auf dem Mamajew-Hügel statt, einer über Monate hinweg heftig umkämpften Höhe hinter dem Fabrikbezirk. Die Deutschen in Stalingrad waren nun in einem Nord und Südkessel gespalten. Am 30. Januar hielt Hermann Göring aus Anlass des zehnten Jahrestages der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Radioansprache. Göring verglich die deutschen Soldaten in Stalingrad mit den Helden des Nibelungenlieds. Gleich ihnen, die in einem „Kampf ohnegleichen… in einer Halle aus Feuer und Brand…kämpften und kämpften bis zum Letzten“, würden – ja sollten die deutschen Stalingrader kämpfen, „denn ein Volk, das so kämpfen kann, muss siegen.“

Diese Radioansprache konnte  auch von den Soldaten in Stalingrad empfangen werden

Heinrich Gerlach, der Soldat in Stalingrad war, hörte diese Rede in einem Keller in Stalingrad und schildert die Wirkung der Rede auf die Eingekesselten in seinem Roman „Durchbruch bei Stalingrad“.(Anmerkung H.T.)

„Und dann spricht Göring, fett und jovial, wie ein Krugwirt…Es war still geworden, so still, daß man durch die Wände ganz deutlich fernes Klopfen und Hämmern und Poltern von Steinen hörte. „Was ist denn das?“ flüsterte Eichert und sah die Umsitzenden an.  „Das ist ja eine Leichenrede. Der spricht ja gar nicht mehr zu uns!“ „Wir sind ja schon tot! Werden schon ausgeschlachtet, ausgeschlachtet für die Propaganda“…Keine Hoffnung mehr! Für die Zehntausenden von Verwundeten und Kranken keine Hoffnung mehr. Und das wagte dieser Lump auszusprechen! Hauptmann Eichert war aufgesprungen. „Schluß!“ schrie er „Schluß!“ Er griff nach dem Eisenrohr, das am Herd stand, und schlug wie ein Wilder auf das Gerät ein. Die Stimme (im Radio)verstummte.“

(Heinz Gerlach, Durchbruch bei Stalingrad, Seite 493ff, Verlag Kiepenheuer und Witsch, 2016)

In den Morgenstunden des 31. Januar hatten sowjetische Soldaten der 64. Armee den Platz der „Gefallenen Kämpfer“ umstellt. Ein deutscher Offizier gab sich ihnen als Parlamentär zu erkennen und bot Kapitulationsverhandlungen an. Mehrere Stunden später legten die deutschen Soldaten im Südkessel die Waffen nieder, in der Traktorenfabrik im Nordkessel wurde noch bis zum 2. Februar gekämpft.

Zwangsarbeit im Ruhrbergbau

Als Hitlerdeutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, ging nicht nur darum, den Sowjetstaates zu beseitigen und die Menschen zu versklaven. Millionen Menschen sollten ermordet werden. Der Vernichtungskrieg gegen Sowjetunion und die Menschen dort wurde aber nicht nur im Osten geführt, sondern er setzte sich im Deutschen Reich fort. Millionen sowjetische Bürger*innen wurden verschleppt und mussten Zwangsarbeit leisten. Viele kamen ins Ruhrgebiet und ins Rheinland und mussten auf Zechen, in Stahlwerken und Rüstungsbetrieben schuften. Ein besonders hartes Schicksal hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die deutsche Schwerindustrie profitiert

Kohle war für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe der wichtigste Energieträger. Im Ruhrgebiet gab es in den 1930ziger Jahren mehr als 120 Zechen. Um den Energiebedarf für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe zu sichern und den Arbeitskräftemangel, der durch die zunehmende Einberufung von Bergleuten zur Wehrmacht entstanden war, zu beseitigen, forderte die Reichsvereinigung Kohle bereits im Sommer 1941 sowjetische Kriegsgefangene verstärkt im Bergbau einzusetzen. Die Reichsvereinigung Kohle wurde im Frühjahr 1941, auf Vorschlag der Industrie, gegründet. Beteiligt waren u.a. Alfred Krupp und Friedrich Flick. Vorsitzender wurde Paul Pleiger, der aus Witten stammte. Er war ein sehr hoher Nazifunktionär und wurde nach dem Krieg wegen Verbrechen gegen den Frieden, Plünderung und Beteiligung an Zwangsarbeiterprogrammen angeklagt und zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verteilt. Er kam jedoch bereits 1951 frei.


Mit ihrer Forderung sowjetische Kriegsgefangene auf den Zechen einzusetzen, hatte die Reichsvereinigung Kohle im Sommer 1942 Erfolg. Zur schnellen Zuweisung der Gefangenen funktionierte die Wehrmacht im Oktober 1942 das Stalag VI A (Mannschafts-stammlager) im sauerländischen Hemer zu einem speziellen „Bergbaulager“ um. Bereits im Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl aus anderen Stalags in das Stalag VI A gebracht und von dort kamen sie sofort in die Arbeitskommandos, die sich ganz in der Nähe der Zechen befanden. Auch in Dortmund, u.a. auf Zeche Kaiserstuhl, die damals Hoesch gehörte, oder auf den Zechen der Gelsenkirchener Bergbau-AG, wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl eingesetzt. Die Gelsenkirchener Bergbau-AG (GBAG) wurde in den 1930er Jahren als Betriebsgesellschaft für die Zechen der Vereinigten Stahlwerk AG gegründet. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender war Gustav Knepper, der bekennender Nazi war und für seinen Umgang mit den Zwangsarbeitern das Kriegsverdienstkreuz erhielt. 1942 wurde Otto Springorum sein Nachfolger. Ehrenvorsitzender war der ehemalige Chef der GBAG Emil Kirdorf. In Dortmund gehörten der GBAG sechs vom  elf Zechen: Westhausen, Hansa, Minister Stein, Adolf von Hansemann, Zollern/Germania und Fürst Hardenberg.

Sklavenarbeit im Ruhrbergbau

Im Frühjahr 1943 dürften auf den 11 Dortmunder Zechen jeweils bis zu 500 sowjetische Kriegsgefangene in den Arbeitskommandos, in umzäunten und bewachten Lagern, gewesen sein.

Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignet Kleidung, ohne eine entsprechende Unterkunft und die notwendige Gesundheitsversorgung mussten die Gefangenen auf den Zechen schuften. Sie waren ständigen Demütigungen und Bestrafung ausgesetzt. Bombenangriffen waren sie ausgeliefert, da es ihnen nicht erlaubt war Schutzräume aufzusuchen. Bereits nach kurzer Zeit waren die Gefangenen aufgrund der schweren Arbeit und katastrophalen Lebensbedingungen völlig entkräftet und krank. Sie wurden in das Lazarett des Stalag VI D an der Westfalenhalle in Dortmund gebracht, wo viele starben und auf dem Ausländerfriedhof anonym begraben wurden.


Im Sommer 1944 schufteten rd. 94.000 sowjetische Kriegsgefangene im Ruhrbergbau. Die Gelsenkirchener Bergbau-AG und alle anderen Eigner der Zechen haben von der Sklavenarbeit sowjetischer Kriegsgefangener erheblich profitiert. Ebenso profitiert hat die Wehrmacht, die für jeden Gefangenen, der in der Industrie oder in die Landwirtschaft schuften musste, von den Unternehmen Geld erhielt. Über die Wehrmacht profitierte der faschistische Staat von den Gefangenen.

Die Opfer der Zwangsarbeit wurden schnell vergessen

In der Nachkriegszeit wurden die Menschen, die Opfer der Zwangsarbeit wurden, schnell vergessen. Nach ihnen wurde nicht geforscht, ihre Gräber wurden eingeebnet, ihre Namen wurden nicht genannt und blieben vielfach unbekannt. Das setzt sich bis heute fort, auch in Dortmund. Auf dem Internationalen Friedhof wird das Ausmaß des Sterbens und die Anzahl der sowjetischen Kriegsopfer bis heute nicht deutlich und die verstorbenen sowjetischen Bürger*innen haben auch 77 Jahre nach dem Ende des Krieges in der Öffentlichkeit keinen Namen. Die lange geplante Errichtung von Namensstelen für die sowjetischen Kriegsopfer ist bis heute nicht erfolgt. Inzwischen wurde das Projekt, nach Aussagen der Stadt Dortmund, wegen des Kriegs in der Ukraine zurückgestellt.

12 Biographien sowjetischer Kriegsgefangener

Wer heute den Friedhof am Rennweg in Dortmund betritt, findet im hinteren Teil eine parkähnliche Anlage und weitläufige Rasenflächen vor. Während des 2. Weltkriegs diente der Friedhof als Beerdigungsort für Menschen, die zur Zwangsarbeit nach Dortmund verschleppt wurde. Zwei Ehrenanlagen erinnern an die Kriegsopfer aus Polen und aus Serbien. Sie tragen die Namen von 157 polnischen und 106 serbischen Zwangsarbeiter*innen. Doch auch die weitläufigen Rasenflächen sind Gräberfelder. Hier ruhen mehrere tausende Menschen, die aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit ins Ruhrgebiet verschleppt wurden und in Dortmund gestorben sind. Es sind Zivilarbeiter*innen und deren Kinder sowie Kriegsgefangene. Wie viele sowjetische Kriegsopfer hier begraben sind, ist nicht bekannt.

Im Stadtarchiv der Stadt Dortmund befindet sich das Sterbebuch für „Russische Kriegsgefangene“, darin finden sich nur 621 Namenseinträge, bei mehr als 3000 Verstorbenen steht „unbekannt“. Durch umfangreiche Recherchen ist es gelungen die Namen und die Geschichte der mehr als 3000 Kriegsgefangenen herauszufinden. Heute wissen wir, dass die Verstorbenen aus allen 15 Sowjetrepubliken kommen.

In der vorliegenden Broschüre stellen wir 12 sowjetische Kriegsgefangene vor, die auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund begraben sind.

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Sowjetische Kriegsgefangene leisten Widerstand

Bis heute suchen Familien aus der ehemaligen Sowjetunion nach ihren Angehörigen, die während des 2. Weltkriegs nach Deutschland verschleppt wurden und nicht nach Hause zurückkehrten. Meistens haben sie für diese Suche nur wenig Erinnerungsstücke, z.B. Briefe oder Fotos. Eine Familie sandte eine Anfrage an uns und bat um unsere Mithilfe bei der Suche. Sie besitzt einen Brief aus der Nachkriegszeit, der Auskunft über das Schicksal ihres Angehörigen gibt. In diesem Brief berichtet der Mitgefangene Nikolai Pimburskij der Familie von Jakow Martinowitsch Pugolowkin über dessen Arbeit im Widerstand.

Jakow Martinowitsch Pugolowkin

(Brief an Jakow Martinowitsch Pugolowkins Familie)

Der Verfasser des Briefes nennt Jakow Martinowitsch Pugolowkin versehentlich Jakow Michailowitsch

26. April 1961

Guten Tag Pawel Kuzmitsch,

Ich schreibe in der Hoffnung, dass Jakow Michailowitsch inzwischen zuhause ist. Ihre Nachricht, durch die ich erfuhr, dass er noch nicht nach Hause zurückkehrte war, hat mich sehr erschüttert.
Jakow Michailowitsch und ich waren vom Herbst 1942 bis Herbst 1944 gemeinsam in Westdeutschland, in der Stadt Dortmund. Dort arbeiteten wir als Sanitäter im Lazarett für sowjetischen Kriegsgefangene. Das Lazarett war groß. Es gab viele Baracken für verschiedene Kranke: in einer Baracke waren solche mit Magenkrankheiten, in einer anderen die chirurgischen Fälle u.s.w.
Ich betreute die Schwerkranken in der Tuberkulosebaracke. In unserer Baracke gab es auch Räume für Patienten mit anderen ansteckenden Krankheiten: z.B. Typhuskranke . Kurz gesagt: die Baracke galt als infektiöse und die Deutschen hatten Angst zu uns zu kommen.
Jakow Michailowitsch war Sanitäter und für die Erfassung von Zahlen zuständig. Er bewegt sich wohl in allen Baracken. Er registrierte auch die Gesundgeschriebenen, die wieder in die Arbeitskommandos geschickte wurden, außerdem er gab Informationen über die Anzahl der verbliebenen Leute an die Serben-Übersetzer, die die Lebensmittel bestellten: Suppe und Brot.

Ich und Jakow Michailowitsch waren Mitglieder einer Geheimorganisation und Freunde. In meiner Baracke befand sich ein kleiner Untersuchungsraum, dort war ich ungestört. Jakow Michailowitsch brachte mir Flugblätter, welche ich mit Kohlepapier vervielfältigte und ihm zurückgab. Er wählt zuverlässige Leute unter den Entlassenen aus und übergab ihnen die Flugblätter für die Verbreitung in den Arbeitskommandos, darüber hinaus gab er den Leuten Instruktionen und Aufgaben, wie und welche Sabotageakte gegen die Deutsche durchgeführt werden können: in Betrieben Brände legen, Maschinen und Werkbänke unbrauchbar machen usw. Alle dies macht er mit großer Vorsicht. Ich vervielfältigte aber nur die Flugblätter. Man schützte mich, damit keiner etwas über mich erfährt, denn für mich war es leicht in der Baracke, die als hochinfektiös galt, Flugblätter zu vervielfältigen. Außerdem habe ich auf Anweisung von Jakow Michailowitsch mehrere Kranke länger als infektiöse krankgeschrieben z.B. mit Krätze, so dass sie bei uns mehrere Monate in Quarantäne lagen.

Im Herbst 1944 verhafteten die Deutschen Jakow Michailowitsch und brachten ihn in ein Straflager. Es war aber nicht weit von unserem Lager entfernt. Man brachte ihn noch 3 Mal zu uns in die Banja. Bei dieser Gelegenheit sprach ich mit ihm. Er sagt mir, die Deutschen hätten ihn verhört und immer nach Flugblättern gefragt. Sie wüssten aber nichts Genaues, sondern hätten nur Vermutungen. Er sagte mir auch, die Flugblattaktionen müssten zeitweise unterbrochen werden bis die Deutschen sich beruhigt hätten.
Kurz danach überführten die Deutschen alle Ärzte und Sanitäter aus unserem Lazarett in verschiedene andere Lager. Sie vermuteten, dass bei uns irgendwelche Aktion durchgeführt würden und wollten alle Verbindungen zerschlagen.

Auch mich brachten sie in ein anderes Lager. Es stellte sich heraus, dass ich an Tuberkulose erkrankt war. Ich spürte die Krankheit bereits, war aber noch auf den Beinen. Kurze Zeit später wurde ich sehr schwach und hatte jeden Tag bis zu 40 Grad Fieber. Als Schwerkranker hörte ich, dass Jakow Michailowitsch im Gefängnis sitzt. (Wahrscheinlich war er in Gestapo-Haft Anm. d.Ü.). Er hatte versucht durch ein Fenster in einem höheren Stockwerk zu fliehen. Beim Abseilen stürzte er ab und wurde schwer verletzt. Die Deutschen haben ihn wieder inhaftiert. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Ich war damals dem Tode nah und erinnere mich nicht, von wem ich über seinen Fluchtversuch erfuhr.

Bald darauf wurden wir von den Alliierten befreit und der sowjetischen Mission übergeben. Als ich 1945 nach Hause kam, wurde ich als Invalide des Vaterländischen Krieges eingestuft und bekam eine Rente. Ich war schwerkrank und die Ärzte sagten meiner Frau, ich würde die nächsten 2 Wochen nicht überleben. Dennoch blieb ich am Leben und war 3 Jahre krank. 1948 wurde ein neues Medikament – Streptomycin – zugänglich. Es bewirkte, dass ich schnell gesund wurde. Seit 1948 arbeite ich als Lehrer. Es geht mir gut.

Jakow Michailowitsch war ein wahrer Sohn seines Vaterlandes, ein echter Patriot der Sowjetischen Heimat, tapfer, ein furchtloser Kämpfer mit großer Seele, ein verständnisvoller Kamerad, ein großartiger Mensch, alle mochten ihn. Sein Sohn kann auf seinen Vater stolz sein.
Auch Kameraden, von denen ich positiven Empfehlungen erhielt, wussten nichts über Jakow Michailowitsch. Möglicherweise habe ich mich schuldig gemacht habe, weil ich Ihnen nicht sofort über meine Begegnung mit Jakow Michailowitsch geschrieben habe, aber ich war todkrank und ich konnte niemandem schreiben.

Ich sende Ihnen meine Glückwünsche zum 1. Mai!
Ich verneige mich vor Ihnen und wünsche Ihnen Glück

Nikolai Pimburskij
Moskau“

Selbst Beton hält nicht gegen das Vergessen
– der Krieg gegen Denkmäler

Nachdem 2. Weltkrieg wurden oft Denkmäler von denen errichtet, die Zwangsarbeit, Hunger, Entbehrungen und rassistische Verfolgung überleben hatten. Sie wollen damit an die erinnern, die diese Qualen nicht überlebt hatten und Opfer des Krieges und der Naziherrschaft wurden. Diese Erinnerung war nach dem Krieg nicht gefragt. Die Denkmäler entsprachen nicht den Vorstellungen derer, die Erinnerungsarbeit im Westen Deutschlands gestaltet haben und dabei große Opfergruppen nicht nannten.

Die Denkmäler in Stukenbrock

Im Mai 1945, nach der Befreiung des Stalag VI K in Stukenbrock, stellte die Lagerkommandatur, die aus ehemaligen Gefangenen des Lagers bestand, eigene Untersuchung über die im Lager begangenen Verbrechen an. Nach den Erinnerungen der Gefangenen wurde die Stelle auf dem nahegelegenen katholischen Friedhof gefunden, an der 41 sowjetische Offiziere beerdigt waren, die im Jahr 1941 Widerstand leisten und erschossen wurden. Gleich nach der Befreiung des Lagers wurde von den Gefangenen, ein kleines Denkmal an diesem Ort errichtet. Als das Fundament gelegt wurde, fand man Munitionsreste und Knöpfe mit Sowjetstern. Das Hauptdenkmal auf dem Lagerfriedhof und das kleine Denkmal trugen das gleiche Motiv, ein Helm und ein Gewehr. Das war ein Symbol für die Einheit der beiden Denkmäler. Bis zum Tag ihrer Abreise in die Heimat hielten ehemalige Kriegsgefangene verschiedener Nationen Ehrenwache auch vor dem kleinen Denkmal. Was mit den beiden Denkmälern in Stukenbrock von 1945 bis in die 1960ziger Jahre geschah ist uns nicht bekannt.

Quelle: Broschüre „Stalag 326 Stukenbrock“

1963 wurde der Abriss des großem Obelisk auf dem ehemaligen Lagerfriedhof beschlossen. Man hielt das Denkmal für unangemessen, die Trauer über den Tod so vieler Menschen zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen sollte ein Denkmal mit einer „weinenden Mutter“ errichtet werden. Diese Pläne wurden von der sowjetischen Seite abgelehnt. Der Obelisk auf dem Lagerfriedhof blieb erhalten. Das kleine Denkmal auf dem katholischen Friedhof wurde, wie Zeitzeugen berichten, 1963 gesprengt. Egal wie unglaubwürdige eine Sprengung auf einem Friedhof klingt, einer Zerstörung des kleinen Denkmals hat niemand im Kreis Paderborn widersprochen. Grund für seine Beseitigung war, dass auf dem Friedhof Platz geschaffen werden sollte für die Beerdigung von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die in der Nachkriegszeit in den Baracken des ehemaligen Lagers lebten. Das Lager diente jedoch nur bis 1958 als Unterkunft für Vertriebene.
Was aber geschah mit den Gebeinen der 41 sowjetischen Offiziere? Es gibt Hinweise auf die Exhumierung von 20 Gebeinen und eine provisorische Umbettung auf einen evangelischen Friedhof in Paderborn. Die Gebeine scheinen jedoch verschollen zu sein. Heute sind 31 Namen bekannt, aber nur 15 Namen sind symbolisch auf den neuen Stelen auf Lagerfriedhof, der auch Russischer Friedhof genannt wird, aufgenommen. Unserer Meinung nach sind archäologische Ausgrabungen und weitere Forschungen in regionalen Archiven nötig, um den Verbleib der Gebeine und ihre angebliche Umbettung aufzuklären.

Quelle: Broschüre „Stalag 326 Stukenbrock“

Der Obelisk auf dem Lagerfriedhof wurde umgebaut. Die Rote Fahne auf der Spitze des Denkmals verschwand und wurde durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt. Die Beschwerden von Aktivist*innen haben in Jahren 2000 dazu geführt, dass die damalige, SPD-geführte Landesregierung den ursprünglichen Zustand wieder herstellen wollte. Die Rote Fahne sollte wieder auf der Spitze angebracht werden. Dieser Beschluss wurde nie umgesetzt.

Das Denkmal in Dortmund

Genau wie in Stukenbrock hatten, nach ihrer Befreiung, Kriegsgefangenen in Dortmund ein Denkmal für ihre im Stalag VI D an der Westfalenhalle ums Leben gekommenen Kameraden erbaut. Nach einem Entwurf vom H.J. Krause aus Herne errichteten sie ein 10 Meter hohes Denkmal, das im November 1946 eingeweiht wurde. Die Erbauer wählten für dieses Denkmal einen herausgehobenen Platz am Haupteingang des Hauptfriedhofs. Auch an diesem Denkmal, das Eigentum der Sowjetunion bzw. ihres Rechtsnachfolgers ist, hielten zum Ende 1946 ehemaligen Kriegsgefangenen eine Ehrenwache. Als Anfang der 1960ziger Jahre die Verbreiterung der B 1 geplant wurde, soll eine Firma, die am Hauptfriedhof ansässig ist, Grundstücke, die sich in ihrem Besitz befanden und die für die Verbreiterung gebraucht wurden, beigesteuert haben. Im Gegenzug soll sie Grundstücke am Haupteingang des Hauptfriedhof erhalten haben. Auf einem dieser Grundstücke befand sich zu dieser Zeit das Denkmal zur Erinnerung an die verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen. Im Jahr 1963 wurde das Denkmal von seinem Platz am Eingang des Hauptfriedhofs entfernt und eingelagert. 1965 errichtet man es auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg, der auch als Ausländerfriedhof bekannt ist. Die Presse berichtete damals, dass dies „mit Zustimmung den sowjetischen Seite“ geschah. Unsere Anfrage beim Außenministerium und bei der Botschaft der Russischen Föderation haben jedoch ergeben, dass kein einziges Dokument vorliegt, in dem die Zustimmung erteilt wurde.

Wenn auch der neue Platz des Denkmals auf dem Internationalen Friedhof, bei den Gräbern derer, an die es erinnern soll, nach unserer Auffassung angemessen ist, so stellen sich doch einige Fragen zum Ablauf der Umsetzung. Am ursprünglichen, herausgehobenen Platz des Denkmals befinden sich heute Betriebe, die Grabsteine oder Blumen anbieten, und ein Parkplatz.

Das Denkmal in Hamm

Im April 1944 ereignete sich auf der Zeche Sachsen in Hamm-Heessen ein Grubenunglück mit vielen Todesopfern. Insgesamt verunglückten 169 Bergleute, darunter 68 Deutschen und 101 sowjetische Kriegsgefangene. Viele der Verunglückten blieben unter Tage. Für die sowjetischen Opfer wurde nach der Befreiung 1945 ein Obelisk mit ihren Namen auf dem Zechengelände errichtet. Bis Mitte der 1980ziger Jahre stand dieses Denkmal dort. Danach wurde es entfernt. Wer die Entscheidung traf und warum die Stadt Hamm erst im Nachhinein benachrichtigt wurde, ist uns nicht bekannt. Die Platten mit den Namen wurden abgebaut und der Kern zerstört. Nach Informationen aus der Hammer Stadtarchiv sind die Platten wohl für immer verloren. Unsere Nachforschungen haben jedoch gezeigt, dass noch Originaldokumente über das Grubenunglück vorhanden sind, darunter auch eine Namensliste der sowjetische Opfer.

Quelle: BBA 54/851

Auf dem Dasbecker Friedhof in Hamm Heessen steht ein Gedenkstein, der an das Bergwerksunglück vom 3. April 1944 erinnert. Es trägt die Inschrift „Für unsere Kameraden und die russischen Kriegsgefangenen“. Daneben steht eine Tafel mit den Namen der deutschen Opfer. Die Informationen aus dem Hammer Stadtarchiv würden die Schaffung einer Erinnerungstafel mit den Namen der ausländischen Bergleute auf dem Dasbecker Friedhof erlauben. Die Stadt Hamm hat für ein solches Vorhaben inzwischen Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Das Denkmal in Hemer auf dem Friedhof „Dulo“

Das Stalag VI A in Hemer war das drittgrößte Kriegsgefangenenlager in der Region. Die Stadt Hemer hat zwei Friedhöfe, auf denen Kriegsgefangenen, die im Lager umgekommen sind, begraben wurden. Der größte ist der Friedhof am „Dulo“. Auch hier steht, wie in Dortmund und Stukenbrock, ein Denkmal, das nach den gleichen Muster von Kriegsgefangenen nach ihrer Befreiung 1945 erbaut wurde. Das Denkmal befindet sich am höchsten Punkt der Stadt und die Spitze des Denkmals ziert ein Sowjetstern.

In den 1960ziger Jahren sollte dieser Stern vom Denkmal verschwinden. Es könne nicht sein, dass ein Sowjetstern die Stadt dominiert, beklagten einige Stadtobere. Der damalige Bürgermeister teilte jedoch mit, dass für den Umbau des Denkmals 56 000 D-Mark gebraucht würden. Käme die Summe durch die Einwohner zusammen, würde der Stern abgebaut, ansonsten sei die Sache erledigt.

Das Grabmal auf dem Friedhof in Dortmund Husen

Unsere Recherchen haben gezeigt, dass nicht nur größere Denkmäler betroffen sind, sondern auch Grabmale auf Einzel- oder Gruppengräber sind nicht sicher vor Zerstörung. Auf dem Friedhof in Dortmund Husen wurde vor wenigen Jahren ein Grabmal mit einem Sowjetstern, das an 2 sowjetische Kriegsopfer erinnerte, entfernt.

Angeblich war das Grabmal nicht mehr sicher. Nach Protesten wurde unter Beteiligung der russischen Botschaft und mit Zustimmung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zwei Kreuze mit den Namen der Verstorbenen errichtet.

Das Geschehen seit dem Bau der Denkmäler und Grabstätten in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg, ihre Pflege und Erhaltung in der Nachkriegszeit bis heute zeigt in vielerlei Hinsicht die Haltung von Politik und Verwaltung gegenüber diesen Baudenkmälern.

Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass an die Menschen, die durch Zwangsarbeit, Hunger, Entbehrungen und rassistische Verfolgung ums Leben gebracht wurden, in ihrem Sinne erinnert wird.

Ein Hund läuft über eine grüne Wiese – Gedenken in Dortmund

Ein Hund läuft über eine grüne Wiese, neben ihm der stolzer Besitzer des Vierbeiners. Die Wiese ist groß und beide haben viel Spaß. Der Hund hat keinen Verstand und sieht in dem Ganzen ein Spiel auf dem Hundeplatz. Das Spiel kennt er, nur heute fehlt die Absperrung und der Spielplatz ist viel größer. Er bemerkt die Begeisterung von Herrchen und Frauchen, er macht Alles richtig. Normalerweise wäre das ein herrliches Bild, aber das ausgelassene Spiel geschieht auf den Gräberfeldern des Internationalem Friedhof Dortmund.

Die Gräberfelder auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg sind schon lange ein beliebter Platz zum Gassi gehen und eine Spielwiese für Hunde. Nicht nur den Hunden, sondern auch ihren Besitzer*innen ist wahrscheinlich unbekannt, dass unter der große Rasenfläche tausende ausländische Kriegsopfer liegen, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten.

Gräberfeld sowjetischer Kriegsopfer auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg mit Hund und Herr

Nichts weist mehr auf die Tragik des Ortes hin, außer einem kleinen Schild am Eingang. Selbst das sowjetischen Mahnmal, das in den 1960ziger hierher umgesetzt wurde und die Hauptallee krönt, gibt keine Auskunft darüber, dass hier tausende Menschen begraben sind. Ein ganz anderes Bild zeigt sich auf dem Hauptfriedhof, wo die deutschen Kriegsopfer bestattet wurden. Tausende personalisierte Kreuze für nicht nur Bombenopfer, sondern auch für Soldaten der Wehrmacht, SS-Leute, Polizisten und Volkssturmleute kann man dort finden.

Gräber deutscher Kriegsopfer auf dem Hauptfriedhof in Dortmund

Wer hat über das Aussehen des Internationalen Friedhofs am Rennweg entschieden?

Während des Zweiten Weltkrieges ist hier eine unbekannte Zahl von Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, die an durch Hunger, Krankheit und unmenschlichen Arbeitsbedingungen ums Leben gebracht wurden, beerdigt worden. Damals erhielten die Gräber der Zivilarbeiter*innen „weiße Kreuze“ und auf den Gräbern der Kriegsgefangenen waren Blechschilder. In den 1960ziger Jahren hat die Stadt Dortmund den Internationalen Friedhof neugestaltet. Das sowjetische Mahnmal wurde vom Haupteingang des Hauptfriedhof am Gottesacker auf den Internationalen Friedhof umgesetzt und die Gräber der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen auf dem Internationalen Friedhof wurden vom Friedhofsamt der Stadt Dortmund eingeebnet. Es entstanden Rasenflächen, die leicht zu pflegen sind. Nach unserer Kenntnis wurde für diese Veränderungen die Zustimmung der Sowjetunion, die Eigentümerin des Mahnmals war und deren Staatsangehörige in den eingeebneten Kriegsgräbern begraben sind, nicht bei der sowjetischen Botschaft eingeholt.

Auf dem Internationalen Friedhof gibt es weder einen separaten Zaun noch ein Tor, die die Gräber schützten, wie in auf den Friedhöfen in Stukenbrock oder Hemer, wo ebenfalls tausende sowjetische Kriegsgefangene begraben sind. In der Nachkriegszeit erinnerten sich viele Dortmunder*innen noch an diesen Friedhof.
Heute erhält der Friedhof wenig Beachtung. Es gibt nur noch wenige Zeitzeuge, die sich an ihn erinnern und viele jüngere Dortmunder*innen wissen oft nichts über den Internationalen Friedhof. Sie wissen nicht, dass es sich bei den Rasenflächen um Gräberfelder handelt, die bis an die Zäune reichen. Selbst die Mitarbeiter*innen den Friedhofsverwaltung denken nicht daran, dass auch unter den neu angelegten Wegen Grabstätten sind.

Nur so kann man erklären, dass die Gräber auf dem Internationalen Friedhof zum Hundespielplatz wurde. Sicherlich ist es kein fehlender Respekt der Hundebesitzer*innen, sondern Unkenntnis über die Tragik des Ortes. Die Stadt Dortmund plant seit mehr als 6 Jahren die Umgestaltung der Gräberfelder und die Aufstellung von 58 Stellen mit Namen der hier begrabenen sowjetischen Kriegsopfern. Bis heute aber ist das Projekt nicht umgesetzt. Nur selten, z.B. am Volkstrauertag gibt es ein Gedenken und es werden Kränze oder Blumen dort niedergelegt. Es wundert also nicht, dass Hunde ungestört ihr „Geschäft“ dort verrichten und mit „Herrchen“ oder „Frauchen“ auf den Rasenflächen herumtollen.

Sowjetische Kriegsopfer auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

Mit einem Schreiben vom 8.12.1946 beantwortet das Garten- und Friedhofsamt in Dortmund eine Anfrage in der es mitteilt, dass bei einem Bombenangriff am 6. Oktober 1944 die Büros, in denen sich die entsprechenden Unterlagen befanden, zerstört wurden. Darüber hinaus meldet es, für sowjetische Zivilarbeiter*innen lägen Sterbeurkunden vor und die Verstorbenen seien in Einzelgräbern begraben worden. Für die sowjetischen Kriegsgefangenen gibt es an, dass deren Beerdigung Angelegenheit der Wehrmacht gewesen sei und die Verstorbenen in Massengräbern begraben wurden.
Bekannt seien nur 1134 Namen von Zivilarbeiter*innen und 621 Namen von sowjetischen Armeeangehörigen. „Über den Rest von 3230 Toten ist nichts bekannt.“ Das Garten- und Friedhofsamt ist bemüht die gemeldete Zahl von 4985 Begräbnissen zu plausibilisieren in dem es vorrechnet: „Wenn man rund 4 Jahre zu Grunde legt, dann entfallen auf einen Tag durchschnittlich 4 Sterbefälle“. Es gibt aber zu bedenken, „dass durch Bombenabwürfe Lager mit mehr als 150 Russen an einem Tag vernichtet worden sind.“

Kurz nach Ende des Krieges teilten verschiedene Stellen in Dortmund unterschiediliche Opferzahl mit. Im Juli 1945 meldete das Garten- und Friedhofsamt auf Anfrage der Alliierten 5326 russische Staatsangehörige, die in Dortmund begraben sind, 3642 Kriegsgefangene, 1684 Zivilarbeiter*innen.
Im November 1946 heißt es in einem Schreiben der sowjetischen Militärbehörden an die britischen Militärbehörden: „Offiziell sind auf dem Friedhof 17.000 sowjetische Bürger*innen begraben. Auf der Liste der britischen Militärbehörden stehen 4985, davon 4736 Männer, 132 Frauen, 117 Kinder“ . Die Opferzahl 4985 war kurz vorher, im Oktober 1946, aus Dortmund an die britische Militärbehörde gemeldet worden.

Auf den Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund sind auf den Gräberfeldern 2,3,4,6,7,8,9,13,16,18,19 sowjetische Bürger*innen begraben. Auf den Gräberfeldern befinden sich Obelisken mit Opferzahlen. Die Gesamtzahl der Opfer von allen Obelisken beträgt 6738.

Wieviel sowjetische Kriegsopfer sind tatsächlich auf dem Internationalen Friedhof begraben?

Es fällt auf, dass im Sterbebuch für „Russische Kriegsgefangene“ alle mit „Unbekannt“ eingetragenen 3230 sowjetischen Kriegsgefangenen im Stalag VI D an der Westfalenhalle zu Tode kamen. Während die 621 namentlich in dieses Sterbebuch eingetragenen Verstorbenen in Arbeitskommandos umkamen, die ebenso wie das Stammlager VI D an der Westfalenhalle der Wehrmacht unterstanden. Offenbar nicht eingetragen wurden Opfer von Bombenabwürfen auf Lager, von denen das Garten- und Friedhofsamt vermutet, dass „mehr als 150 Russen an einem Tag vernichtet worden sind“.

Ein solcher Luftangriff ereignete sich am 4. und 5. Mai 1943 in der Umgebung des Stalag VI D an der Westfalenhalle. 35 Zivilarbeiter*innen sowie 28 französische und 240 sowjetische Kriegsgefangene kamen ums Leben. Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden zunächst als Opfer des Bombenangriffs gemeldet. Die Zahl der getöteten Kriegsgefangenen korrigierte man aber später, indem man die 240 „russischen“ Kriegsgefangenen durchstrich und stattdessen die Zahl 28 eintrug. Ein Dokument der Wehrmacht, das in der Datenbank OBD-Memorial eingesehen werden kann, zeigt 195 namentlich genannte sowjetische Kriegsgefangenen, die bei dem Bombenangriff 5. Mai 1943 getötet und deren Überreste auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 4 in einem Massengrab begraben wurden. Das Sterbebuch für „Russische Kriegsgefangene“ verzeichnet für Dienstag, den 4. Mai und Mittwoch, den 5. Mai 1943 keinen einzigen Sterbefall. Die Unterlagen über die Bombenopfer wurden zwar an die Wehrmachtsauskunftstelle (WASt) nach Berlin gesandt, aber offenbar ist der Lagerbericht des Stalag VI D an der Westfalenhalle für die städtischen Behörde verloren gegangen. Nach Auswertung einer großen Anzahl von Personalkarten I konnten von uns 48 Opfer gefunden werden, die in den folgenden 10 Tagen nach dem Luftangriff auf dem Internationalen Friedhof begraben wurden.

Weiter haben unsere Recherchen ergeben, dass auf vielen Personalkarten I der Kriegsgefangenen und auf den Sterbeurkunden der Zivilarbeiter*innen Grabnummern eingetragen wurden. Ein Feld auf dem Internationalen Friedhof hat z.B. Grabnummern von 1 bis 300. Ab Nummer 200 wurden die Gräber sogar doppelt belegt. Das könnte bedeuten, dass dort bis zu 400 Bestattungen vorgenommen wurden. In den Namenslisten konnten für dieses Feld bis heute nur 188 Namen gefunden werden. Das heißt, dass die Listen immer noch lückenhaft sind und die Zahl der sowjetischen Kriegsopfer, die auf dem Internationalen Friedhof begraben, möglicherweise doppelt so hoch ist.


So stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Höhe der Opferzahl. Klarheit könnte eine gründliche wissenschaftliche Auswertung von Dokumenten in verschiedenen Archiven und eine archäologische Bodenuntersuchung auf dem Internationalen Friedhof bringen.