Hückeswagen-wenn man mit Angehörigen spricht

Einen großen Teil meiner Tätigkeit nimmt die Begleitung von Familienangehörigen ein, die das Grab ihres Verwandten besuchen wollen. Die Menschen finden Information über Suchaktionen im Internet und kontaktieren den Autor oder Ehrenamtliche. Manche erfolgreiche Recherche endet mit dem verständlichen Wunsch das Grab zu besuchen.
Die Probleme, die die Familienangehörigen dann haben sind immer die gleichen: fehlende Deutschkenntnisse, Schwierigkeiten ein Hotel zu finden und mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Ort zu gelangen, an dem sich das Grab befindet. Meine Landesleute aus der ehemaligen Sowjetunion und ich bieten unsere Hilfe bei den Reisevorbereitungen und auf der Reise in Deutschland an, dazu nutzen wir unsere Netzwerke.
2014 hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit Swetlana aus Moskau. Nach einer Diskussion im Internet über die richtige Schreibweise von Namen, hat sie ihren Großvater gefunden. Nach dem Krieg hat die Ehefrau des Verstorbenen, Swetlanas Großmutter, viele Jahre nach ihrem Mann gesucht und versucht etwas über sein Schicksal herauszufinden. Bevor Swetlanas Großmutter 2003 starb, versprach die Enkelin weiterzusuchen. Ihre Treue und Geduld wurde belohnt. Sie hat im Internet Informationen über das Grab ihres Großvaters gefunden. Wie immer war die erste Frage, die nach einem Foto der Grabstätte.
Der Friedhof, auf dem Swetlanas Großvater begraben ist, hat eine idyllische Lage, er ist in gutem Zustand. Es handelt sich um einen Friedhof, der sich auf einem privaten Grundstück befindet, der Friedhof wird regelmäßig gepflegt. Auf dem Friedhof sind 44 umfriedete Einzelgräber. Auf jedem Grab war damals ein Stein mit der Grabnummer. Am Eingang des Friedhofs steht eine Friedenskapelle, zweimal täglich läuten die Glocken. Dieser Ort ist bei den Menschen in Hückeswagen sehr beliebt. In den vergangenen Jahren haben viele Veranstaltungen und Gottesdienste in der Friedenskapelle stattgefunden. Einmal in Jahr legt der Bürgermeister einen Kranz nieder und viele Bürgerinnen und Bürgern nehmen an der Kranzniederlegung teil.
Auf dem Friedhof befindet sich ein Felsblock mit einer zweisprachigen Namensliste. Leider sind viele Namen falsch geschrieben. Der örtliche Geschichtsverein und der Eigentümer des Grundstücks, der Mitglied dieses Vereins ist, haben bei ihren Nachforschungen die Namen aus verfügbaren Dokumenten abgeschrieben. Sie hatten als einziges Dokument eine Liste, die nach dem Krieg von der Kommune für die britische Kommission erstellt wurde.

Swetlana war es als Erster der 44 Familien geglückt den richtige Namen und das Grab ihres Großvaters zu finden. Die ganze Familie hatte entschieden eine Grabplatte auf dem Grab aufzustellen. Die Reisevorbereitungen, das Visum, das Buchen des Hotels und der Flüge haben uns viel Zeit und Nerven gekostet, aber eines Tages war es soweit und Swetlana kam in Düsseldorf an. Wenn jemand mit zahlreichen Kränzen und einer übergewichtigen Marmorplatte zur Zollkontrolle kommt, gibt es immer viele Fragen. Aber alle Fragen sind unwichtig, wenn die Zollbeamten die Kopie der Personalkarte 1 eines Kriegsopfers sehen. Für das Übergewicht der Marmorplatte musste Swetlana dennoch zusätzliche Frachtgebühren zahlen. Nach einer kurzen Begrüßung sind wir zum Grab des Großvaters gefahren. Am gleichen Tag haben wir zusammen die Platte auf dem Grab Nummer 1 aufgestellt. Dieser Abend war sehr emotional und tränenreich. Die ganze Woche über haben wir die 44 Grabumrandungen von Moos und Grün gereinigt. Die Leute aus dem Ort haben uns dabei unterstützt. Der Eigentümer war sehr warmherzig und hat sich an die Presse gewandt, die über Swetlanas Besuch berichtet hat. In der kleine Stadt Hückeswagen, die nur 16.000 Einwohner hat, leben fast 2000 Bürgerinnen und Bürger aus der ehemaligen Sowjetunion, die durch Swetlanas Besuch von dem Friedhof und den Gräbern erfahren haben.
Als Swetlana, nach ihrem Urlaub, wieder nach Moskau geflogen ist, haben wir uns auf dem Flughafen versprochen, alle Namen der Verstorbenen für die Familien ausfindig zu machen. Aus Moskau hat Swetlana unsere Suchaktion weiter betrieben. In kurzer Zeit haben wir für fast alle Namen die richtigen Schreibweise gefunden und die Namen um den Vaternamen ergänzt und diese dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der russischem Botschaft mitgeteilt. Von Moskau aus hat meine Bekannte die Familie des Verstorbenen in Grab 3 in Russland gefunden und kurz danach die Familie für das Grab Nummer 8. Geplant war nun auf weiteren Gräbern Grabplatten aufzustellen. Da sich der Abstimmungsprozess zwischen den Beteiligten hinzog, hat Swetlana die Platten für die ersten drei Gräber aus eigener Tasche bezahlt und mich um Hilfe gebeten. Aus ästhetischen Gründen sollte zwischen dem 1. und 3. Grab keine Lücke sein und auf den ersten 3 Gräbern Platten aus Marmor aufgestellt werden. Ich musste die günstigste Lösung finden. Swetlana hatte Kontakt mit der Familie aufgenommen, dessen Angehöriger in Grab 2 beerdigt ist. Diese Familie stellte nun eigene Recherchen an. Eine Urenkelin hat sogar über ihren Urgroßvater und sein Schicksal in Deutschland ein Referat in ihrer Schule gehalten. So habe ich erfahren, dass der Kriegsgefangene von Grab 2 zusammen mit meinem Großvater, im Jahr 1937, bei Dynamo Kiew Fußball gespielt hat.

2016 haben der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und die Botschaft der Russische Föderation ein Projekt begonnen. Auf allen Gräbern sollten Grabplatten mit den Namen der Verstorbenen aufgestellt werden. Nach meinen Recherchen wurde eine Namensliste mit den vollständigen Namen in kyrillischer Schrift und den Grabnummern angefertigt. Ein Steinmetz aus Dorsten, mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion,

hat auf seinen Arbeitslohn verzichtet und nur das Material berechnet. Die ganze Umgestaltung des Friedhofs wurde von Freiwilligen durchgeführt. Swetlana hat noch einige Male ihren Urlaub im Hückeswagen verbracht. Bei der Reinigung und Instandhaltung der Gräber hat sie viele Freunde und Bekannte gefunden.

Auch die Mitglieder des Vereins „Kreisgeschichte“ haben großes Interesse an der Neugestaltung des Friedhofs gezeigt und mir weitere Informationen gegeben. Ich habe herausgefunden, dass auf dem kommunalen Friedhof in Hückeswagen, am Rand des Friedhofs, das Feld F existierte. Auf diesem Feld lag eine Platte mit der Inschrift „Hier ruhen 10 Russen, 1 Belgier, 1 Pole und 1 unbekannte Nationalität“, ohne Namen, ohne Grabreihe. Das war für mich Anlass genug für neue Recherchen. Ich begann meine Suche im Archiv in Remscheid und parallel bei OBD-Memorial. Dort fand ich 10 Namen von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen mit Sterbedatum und Grabnummer. Die Grabnummern gehen mit Lücken von 211 bis 224. In Remscheid war noch ein weiteres Dokument mit dem Namen eines Jungen, der in Hückeswagen gestorben ist. Das Datum passte genau zu einer Lücke in den laufenden Grabnummern. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich um den Namen des „Unbekannten“ handelt. Für einige Gestorbene habe ich die Personalkarte 1 gefunden und konnte daher für diese Opfer den Namen noch um den Vatername ergänzen. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde ein weiteres Projekt des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Botschaft der Russische Föderation begonnen. Heute gibt es auf Feld F des kommunalen Friedhofs in Hückeswagen zwei Platten mit elf Namen in lateinischer und kyrillischer Schrift.
So hat die Anfrage von Swetlana auch zu einer vollständigen Namenslisten von Kriegsopfern in einem kleinen Ort im Bergischem Land geführt.