Wichtige Gedenkarbeit leisten

Der Verein „Ar.kod.M e. V.“, geleitet von Dmitriy Kostovarov aus Dortmund, sorgt dafür, dass die „Unbekannten“ ihre Namen zurück erhalten

Erwähnenswert ist, dass es in Deutschland Menschen und Organisationen gibt, die sich nicht mit der Organisation der Gedenkfeiertage zum 9. Mai beschäftigen, sondern ausschließlich mit der Suche und Wiederherstellung der Namen von toten und vermissten sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden. Eine dieser Organisationen ist „Ar.kod.M e. V.“ (Allrussisches Kriegsopferdaten-Memorial), die von dem Amateurhistoriker Dmitriy Kostovarov im Jahr 2012 in Dortmund gegründet wurde. Zurzeit ist das einer der wenigen Vereinen, die in Nordrhein-Westfalen eine solche Gedenkarbeit sehr aktiv leisten.
Am 27. Januar 2019 erklärte sich Herr Kostovarov freundlicherweise bereit, uns ein Interview zu geben, in dem er die Geschichte seiner Organisation beschrieb und ausführlich über seine Arbeitsergebnisse und Projekte berichtete. Nach seinen Worten, hat er Anfang der 2000er Jahre das Interesse für die Erforschung von sowjetischen Grabstätte entdeckt. Er war überrascht, dass auf den örtlichen Dortmunder Friedhöfen, auf den für Sowjetbürger angelegten Grabsteinen, keine detaillierten Informationen über die Toten vorliegen. Bestenfalls wurde die Gesamtzahl der Beerdigten angegeben und auf den wenigen Grabsteinen war oft nur die kurze Inschrift  „Unbekannt“ zusehen. Aber jeder dieser Menschen hatte seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal und vielleicht auch Verwandte und Geliebte, für die diese Person auf ewig „vermisst“ geblieben ist.
Der Wunsch, den Menschen bei der Suche nach ihren Verwandten zu helfen und die Namen der verstorbenen Sowjetbürger zu verewigen wurde zum Hauptgrund für die Gründung des Vereines. „Ar.kod.M e. V.“ stellt Namenslisten mit Verstorbenen und Orten, an denen sie begraben sind, zur Verfügung und unterstützt die Hinterbliebenen, die nach Spuren ihrer Angehörigen in Deutschland suchen. Bei Bedarf begleitet er auch Familien aus Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion bei den Besuchen der Grabstätten ihrer Vorfahren, falls solche existieren.

Erste Erfolge auf dem Katholischen Friedhof in Derne

„Auf dem katholischen Friedhof in Derne gibt es das Feld 26, auf dem Ausländer begraben sind. Jetzt ist es schwer vorstellbar, aber vorher gab es hier ein Feld von 140 Metern Länge und jetzt sieht man nur noch einen schmalen Landstreifen. Ein Teil dieses Feldes wurde bereits rekultiviert – heute gehört es zum deutschen Friedhof. Laut Gesetz gibt es für Kriegsopfer-Bestattungen keine Verjährungsfrist, aber die meisten der Beerdigten hier sind schon lange in die Vergessenheit geraten, sie werden von niemandem gesucht (neben den Sowjetbürger sind hier Italiener, Franzosen und Belgier begraben)“, sagt Kostovarov.
In den 1970er Jahren wurde am Rande des Friedhofs eine kleine Säule mit der Inschrift „Hier ruhen 11 unbekannte sowjetische Bürger“ aufgestellt. „Ich habe mich gefragt, woher diese Informationen stammen. Ich habe angefangen, die Einheimischen zu befragen, aber niemand konnte meine Fragen beantworten. Deshalb habe ich mich entschlossen, selbst nach Namen zu suchen “, erinnert sich der Forscher, „Nachdem ich mich an das Stadtarchiv Dortmund und das russischsprachige elektronische Archiv OBD-Memorial gewandt hatte, ist es mir gelungen, Dokumente für 12 Personen zu finden. Es geht um 12 sowjetische Kriegsgefangenen, die 1943 in Derne starben. Die Todesursachen waren unterschiedlich: Einige starben an Hunger und Krankheiten (vor allem Tuberkulose), einige starben nach einem Unfall in der Mine und der Rest – eines gewaltsamen Todes (entweder „Genickbruch“ (das bedeutete Erhängen) oder sie wurden auf der Flucht erschossen). Die weiteren Recherchen in den Archiven der Krankenhäuser und der katholischen Gemeinde St. Aloisius bestätigten, dass auf diesem Friedhof Bestattungen von Sowjetbürger bis 1945 stattfanden. So wurden mit der Hilfe des katholischen Pfarrers in Derne noch neun „Russen“ gefunden, darunter vier Kinder. Jetzt gibt es an diesem Ort zwei neue Grabsäulen, die nach ihrer Aufstellung durch den Bezirksbürgermeister von Scharnhorst eingeweiht wurden“.

Friedhof Derne

Registrierung der Grabstätte und Errichtung der Gedenktafel

Ein wichtiger Schritt bei der Verewigung von Namen der Begrabenen ist die Registrierung von Grabstätten. Dmitriy Kostovarov berichtet, dass es in Nordrhein-Westfalen etwa 500 sowjetische Grabstätten gibt, von denen nur 258 registriert wurden. „Aus einigen Quellen habe ich Information bekommen, dass es hier tatsächlich mehr als 1000 gibt. Aber selbst wenn diese Zahlen übertrieben sind, bleibt eine sehr große Anzahl nicht registrierter Grabstätten übrig. Wir müssen die Anzahl der „Unbekannten“ schrittweise reduzieren“, sagt er. Für den Zeitraum 2014-2016 gelang es Dmitriy sowjetische Bestattungen auf 23 Friedhöfen in Dortmund zu registrieren.
Dmitriy Kostovarov erklärt: „Solche Ruhestätte müssen von der Stadt registriert werden, d.h. sie müssen eine Registrierungskarte haben. Diese Karte muss von drei Vertretern bestätigt werden: das sind die Kommune, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation vertreten durch die Russische Botschaft in Berlin. Meine Namenslisten müssen zunächst von den Mitarbeitern der speziellen Abteilung der Botschaft, bzw. des Büros für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit überprüft werden. Das heißt, drei Instanzen müssen die Ergebnisse meiner Arbeit bestätigen.
Die unmittelbare Errichtung des Denkmals ist die Aufgabe der lokalen Verwaltung. Nach dem Gesetz werden solche Fragen heute lokal entschieden. Die Kommune trägt selbst keine Kosten für die Errichtung der Grabstätte oder Gedenktafel – normalerweise kommt der Bund (oder die Bundesebene) für die Ausgaben auf“.

Archivarbeit: Methoden und Herausforderungen

Die Wiederherstellung der Namen von Sowjetbürgern in Nordrhein-Westfalen weist eine Reihe von Merkmalen auf. „Im Westen Deutschlands sieht die Situation bei der Suche nach den Namen von Sowjetbürgern aus objektiven historischen Gründen anders aus“, behauptet Kostovarov, „Wenn in der DDR diese Arbeit wegen militärischer Verluste der Sowjetunion sogar unterstützt wurde, war die Erinnerungspolitik in Bundesrepublik Deutschland anders: Lange Zeit war niemand daran interessiert, die Erinnerung an den Krieg zu überdenken“.
Er erklärt: „Nach dem Krieg haben die Verbündeten in den besetzten Gebieten selbst nicht nach den Toten gesucht, sondern Anfragen an die deutsche Verwaltung gerichtet. Sie baten darum, ihnen Listen mit den Namen aller Personen zu schicken, die Zwangsarbeit leisteten und in Deutschland starben. Natürlich wurden die deutschen Beamten von niemandem überprüft – das war auch unrealistisch. Das heißt, die Berechnung der Todesfälle lag im Ermessen der örtlichen Behörden, die entweder versuchten, Massenverbrechen zu verbergen, oder wegen der Dringlichkeit der Anfrage diese Aufgabe einfach vernachlässigt haben“.
„Einen Namen zu finden ist keine leichte Aufgabe, weil sie oft falsch aufgeschrieben wurden,“ erzählt Kostovarov, „Die Deutschen, die das kyrillische Alphabet nicht kannten, schrieben die Namen nach Gehör auf, d.h. eine Person kann in der Lagerdokumentation unter einem Namen aufgelistet und gleichzeitig unter einem völlig anderen Namen begraben sein. Manchmal kann man nur durch einen Vergleich der Lebensjahre und der ersten Buchstaben des Namens verstehen, um wen es geht. Dies ist eine mühsame Arbeit, da man Dokumente aus verschiedenen Quellen sorgfältig vergleichen und lange Namenslisten durchsehen muss.
Die notwendigen Dokumente findet man in verschiedenen Quellen. Wenn es sich beispielsweise um einen toten Kriegsgefangenen handelt, könnte er bei drei offiziellen Stellen registriert worden sein. Im Arbeitskommando, das einem bestimmten Unternehmen zugeordnet war, im Durchgangslager und in den Archiven der Kirchengemeinden , die Aufzeichnungen über die Bestatteten führten (für katholische und evangelischen Friedhöfe sind das beispielsweise die sogenannten Kirchenbücher). Das heißt, wenn die Lagerdokumente vernichtet wurden, bleiben zwei weitere Quellen. Eine andere Möglichkeit sind die Dokumente von Krankenhäusern und Krankenkassen – die Unternehmen haben dort ihre Mitarbeiter angemeldet, manchmal auch die Zwangsarbeiter.  Diese Dokumente sind aber schwer zu finden, da sie häufig vernichtet wurden oder verloren gegangen sind“.
„Unser größter Vorteil ist, dass die meisten Archive für Benutzer frei zugänglich sind“, sagt Kostovarov, „In Russland ist das zuallererst die elektronische Datenbank OBD-Memorial, die Informationen über die sowjetischen Militärangehörigen und Zivilisten enthält, die während des Zweiten Weltkrieges sowie in der Nachkriegszeit gestorben und vermisst sind. Jedoch sind diese Informationen oft unvollständig, da beispielsweise die Orte der Bestattung der Soldaten nicht angegeben wurden. Hier können die deutschen Stadtarchive und Archive der Kirchengemeinden behilflich sein, dort findet man detaillierte Pläne für Friedhöfe, Listen von Beerdigten; Dokumente von Krankenkassen und Krankenhäusern sieht man aber seltener. Z. B. besitzt das Dortmunder Stadtarchiv Namenslisten der in Deutschland verstorbenen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die von der Friedhofsverwaltung nach Aufforderung der Britischen Kommission in den Jahren 1946 bis 1951 angefertigt wurden. Die Lagerdokumente kann man wiederum bei OBD-Memorial oder in den Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, (Arolsen Archive – Internationales Zentrum über die Verfolgung im Nationalsozialismus) in Bad Arolsen finden (z. B. die sogenannten „weißen Blätter“)“.


Zivile Ostarbeiter oder Kriegsgefangene?

Manchmal ist es nicht so einfach festzustellen, ob der in Deutschland begrabene Sowjetbürger ein Kriegsgefangener oder ein Zivilist war. Dmitriy Kostovarov glaubt, dass dieser Sachverhalt manchmal falsch dargestellt wird, denn es wird oft davon ausgegangen, dass die meisten Ostarbeiter Zivilisten waren, dass viele dieser Menschen freiwillig für den deutschen Staat gearbeitet haben und darüber hinaus das Recht auf ein Gehalt hatten sowie auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen.
In den Archiven kann man wirklich Dokumente mit dem Titel „Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft“ finden, aber seiner Meinung nach bedeutet das nur, dass „die Person bedroht wurde und weiter unter Zwang gearbeitet hat, nur mit einem anderen Status. In der Realität hat sich sein schwieriges Schicksal nicht geändert“.

Aktueller Gedenkprojekt auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg

Ein weiteres Großprojekt von Dmitriy Kostovarov ist die Einrichtung von Stelen mit Namen der sowjetischen Bürger auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund, der Teil des dortigen Hauptfriedhofs ist. Hier sind Tausende von sowjetischen Zwangsarbeitern begraben, die während des Krieges in Dortmunder Betrieben, u.a. für die Dortmunder-Union-Brückenbau AG, die Stahlwerke der Hoesch AG und auf Kohlezechen Arbeit leisteten.
Kostovarov erzählt: „Nach Vereinbarung mit der UdSSR sollten die Alliierten den Vertretern der sowjetischen Militärmission Informationen über sowjetische Bestattungen in Westdeutschland zur Verfügung stellen, und 1946 gab die britische Militärmission schließlich die Zahl der Todesopfer an: Es waren 4985 Menschen. Aber in Moskau fand ich im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation ein Dokument, dass auf diesem Dortmunder Friedhof 17.000 Sowjetbürger beerdigt sein sollen. Dieses Dokument wurde von der sowjetischen Militärmission zusammengestellt. Und es scheint mir glaubwürdig zu sein“.
Woher kam eine so große Anzahl? Er erklärt: „Sie gingen bei der  Berechnung von der gesamten Fläche der Gräberfelder aus und berechneten die Anzahl der Bestattungen auf einfache mathematische Weise. Zum Beispiel beträgt auf dem Friedhof in Stukenbrock die Länge einer Grabreihe 112 Meter, darauf gibt es 15 bis 25 Gräber. In einem Grab wurden 10 bis 15 Personen beerdigt. Oft wurden die Menschen aber am Ende des Krieges so begraben, dass die alliierten Streitkräfte, als sie 1945 in Stukenbrock eintrafen, Arme und Beine aus den Gräbern herausragen sahen. Das heißt, in jedem Grab wurden mehr Menschen begraben, als vorgesehen war. Daher ging die sowjetische Kommission von der maximalen Bestattungsdichte aus. Sie berechnete, wie viele Menschen in jedem einzelnen Grab  maximal begraben werden konnte. Die erste Zahl war 65.000, aber das ist natürlich auch überschätzt, da die Berechnungsmethode sehr vereinfacht ist“. Dmitriy Kostovarov gibt zu, dass 17.000 Menschen wahrscheinlich auch zu hoch geschätzt sind für den Dortmunder Hauptfriedhof, ist jedoch fest davon überzeugt, dass auf diesem Friedhof mindestens 10.000 Sowjetbürger beerdigt sind.
Kann man diese Theorie widerlegen? „Man kann z. B. stichprobenartige Grabungen durchführen und die Dichte der Bestattungen untersuchen“, sagt Kostovarov, „Ich habe mit älteren Einheimischen gesprochen und sie behaupteten, sie haben am Ende des Krieges hier einen riesigen Graben gesehen, in den man hunderte Toten geworfen hat. Das sind Massengräber, deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass in jedem Grab mehr Menschen liegen, als wir wissen“.
Er gibt ein Beispiel: „In den Archiven gibt es Friedhofspläne. Zum Beispiel gibt es 135 Einzelgräber auf dem 8. Feld, und gemäß den Listen sollten hier 875 Menschen begraben worden sein. Wie kann man 135 Gräber mit 875 Menschen füllen? Und es gibt noch viele ähnliche Unstimmigkeiten“.
Dmitriy Kostovarov möchte, dass die Namen hier gestorbener sowjetischer Zwangsarbeiter in Granit gemeißelt werden. Doch wurde dieses von der Bezirksregierung Arnsberg, der Russischen Botschaft und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahre 2015 unterschriebene gemeinsame Projekt noch nicht angefangen.
Kostovarov erzählt: „Der Bund hat 750.000 € für das Projekt bereitgestellt, 58 Stelen sollten auf 11 Feldern errichtet werden, mit kyrillischen Inschriften auf beiden Seiten“. Zuerst soll aber ein Büro beauftragt werden, das die Kostenschätzung verifiziert – erst danach kann die Bezirksregierung Arnsberg das notwendige Geld bereitstellen. Der Backeler Bezirksbürgermeister Karl-Heinz Czierpka (SPD) sagt, der Baubeginn sei für 2021 vorgesehen. „Das Problem ist, dass wenn das vom Bund bereitgestellte Geld nicht möglichst bald für das Projekt ausgegeben wird, das ganze Vorhaben gestoppt  werden könnte und dann müsse man von vorne anfangen“, beschwert sich Kostovarov.

Schülerprojekt: die Errichtung von Tontafeln – ist dieses Projetkt ausreichend?

Auf der Rasenfläche des Friedhofs sind viele Holzstelen mit Tontafeln zu sehen, auf denen die Namen und Lebensdaten geschrieben sind. Das ist das Ergebnis eines Gedenkprojektes der Europaschule Dortmund, das mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. durchgeführt wurde. Auf diesen Tontafeln sind rund 650 sowjetische Bürger verewigt. Die Namenslisten haben die Schüler von einer Bildungsreferentin des Volkbundes Deutschen Kriegsgräberfürsorge e. V. bekommen.
Dmitriy Kostovarov, der selbst eine Registrierungskarte mit 4466 Namen erstellte, sieht in diesem  Projekt eine würdige Initiative – so lernt die junge Generation, sich mit der  Vergangenheit zu beschäftigen. Gleichzeitig findet er schade, dass die Namen nur in lateinischen Buchstaben geschrieben sind, viele davon fehlerhaft. „Ich habe ihnen ein gemeinsames Projekt mit der russischen Sonntagsschule angeboten, damit russische Schüler die richtige Schreibweise der Namen prüfen, aber leider keine Antwort erhalten“, sagt er, „Die Kinder übertragen die Namen oft aus den Quellen, ohne zu bedenken, dass diese fehlerhaft sind und sie deshalb die Namen falsch wiedergeben. Sie wissen nicht, woher dieser Mensch stammt, was er erlebt hat. Für sie mag diese Aufgabe interessant sein, aber für diejenigen, die historische Authentizität schätzen, ist das nicht praktikabel. Schließlich müssen auch die Anliegen der Hinterbliebenen aus der ehemaligen Sowjetunion berücksichtigt werden. “.
Auf einer der Säulen sind inzwischen ein Paar Tontafeln vom Unwetter beschädigt und verdreht, die hölzerne Säule ist ebenfalls beschädigt… Eine Erinnerung an die Kurzlebigkeit des menschlichen Gedächtnisses.

Die Tontafeln auf den Stelen wurden von Schüler*innen der Europaschule erstellt

Zusammenarbeit mit der Russischen Botschaft

Bei seiner Tätigkeit ist für Dmitriy Kostovarov die Unterstützung von staatlichen Stellen selbstverständlich sehr wichtig. In erster Linie ist hier die Russische Botschaft in Berlin zu nennen. Dort gibt es ein Büro für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit (zurzeit geleitet von Olga Titkova), dessen Ziel auch die Pflege der russischen, bzw. sowjetischen Grabstätten und die Wiederherstellung der Namen der unbekannten Soldaten und Zivilisten ist.
Kostovarov erklärt: „Sie müssen offiziell die Registrierung von Bestattungen in ganz Deutschland durchführen. Ehrenamtliche schicken ihnen Namenslisten, sie überprüfen diese und erstellen eine Registrierungskarte. Wenn die Botschaft das Dokument beglaubigt, unterschreiben die Vertreter des Volkbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Oberbürgermeister bzw. der Landrat in der jeweiligen Kommune das Dokument“.
Laut dem Forscher wird diese Arbeit jedoch, aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten und Personalverschiebungen, seit 2016 nicht mehr so aktiv durchgeführt. Er sieht den Hauptgrund für diese Veränderungen darin, dass in der Botschaft verschiedene Personen arbeiten und für einige die Organisation von Feierlichkeiten z. B. zum 9. Mai eine größere Priorität hat.
Aber Dmitriy Kostovarov ist optimistisch. „Wenn es nicht möglich ist, die Bestattungen zu registrieren, kann man die Namen trotzdem z. B. auf der Webseite unserer Organisation veröffentlichen, denn unsere Hauptaufgabe ist zu ermöglichen, dass die Menschen ihre Verwandten finden können“, schließt er.

Besonderheiten der Erinnerungskultur in Deutschland

„Die Erinnerung an die sowjetischen Zwangsarbeiter in Deutschland fehlt oft im gesamten Diskurs über die Kriegsopfer“, sagt Dmitriy Kostovarov, „In Deutschland wird versucht, von der schrecklichen Vergangenheit zu abstrahieren, und jede neue Information über die gefundenen Kriegsopfer kann als Vorwurf wahrgenommen werden. Es gibt traditionelle Gedenkorte, die seit langem als Symbol für NS-Verbrechen gelten, zum Beispiel Auschwitz. Auch die Tatsache, dass Auschwitz sich außerhalb Deutschlands befindet, spielt eine Rolle. Denn zuzugeben, dass eine große Anzahl von Opfern aus dieser Zeit noch nicht identifiziert wurde und auf den zahlreichen Friedhöfen moderner deutscher Städte begraben ist, fällt Vielen schwer. Aus menschlicher Sicht kann ich das gut verstehen, aber die Folge ist, dass viele Opfer des Nationalsozialismus vergessen bleiben. In der deutschen Gesellschaft gibt es natürlich keinen Widerstand gegen meine Arbeit, doch die Unterstützung verschiedener Menschen und Organisationen zu gewinnen, ist immer eine schwierige Aufgabe“.
Es gibt jedoch unter den Deutschen Menschen, die nicht gleichgültig sind und bereit sind zu helfen. Vor kurzem entwickelte Hannelore Tölke, die für die Partei DIE LINKE in der Bezirksvertretung in Dortmund-Huckarde sitzt, Interesse an Kostovarovs Arbeit. Sie trat sogar dem Verein bei. Sie interessiert sich auch für Themen, die in der Politik und in der Gesellschaft oft verschwiegen werden. „Für unseren Verein ist das ein großer Gewinn, denn wir brauchen Leute, die sich in erster Linie für die historische Authentizität interessieren und dafür arbeiten“, sagt Kostovarov.

Aufgaben für die Zukunft

Trotz der Schwierigkeiten ist Dmitriy Kostovarov voller Optimismus und möchte auf der politischen Ebene seine Tätigkeit weiterführen. Er möchte eine Standardisierung der Bestattungsregistrierung sowie eine Standardisierung der Form von Denkmälern erreichen.
Der Forscher erklärt: „Ich möchte, dass die russischen und deutschen Behörden zu dem Verständnis kommen, dass eine einheitliche Form der Bestattungsregistrierung eingeführt werden muss, das für alle Bundesländer obligatorisch wird. Die Städte müssen sich aktiv daran beteiligen, denn es gibt sogar ein Gesetz aus dem Jahr 1952 über die dauerhafte Erhaltung von Kriegsgräbern, und eine deutsch-russische Vereinbarung von 1992. Diese Vereinbarung besagt, dass Deutschland verpflichtet ist, Denkmäler für die sowjetischen Verstorbenen zu erhalten und weitere Namenssuchen durchzuführen. Wir brauchen auch eine einheitliche Form von Denkmälern, auf denen die Namen in kyrillischen und lateinischen Buchstaben geschrieben sind. Diese Maßnahmen sind jedoch nur in enger Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern möglich“.

Mahnmal auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

Maria Timofeeva

Dieser Text wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Bonner Leerstellen: Unbekannte Orte der NS-Gewalt“ der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Bonn vorbereitet