Sowjetische Kriegsgefangene leisten Widerstand

Bis heute suchen Familien aus der ehemaligen Sowjetunion nach ihren Angehörigen, die während des 2. Weltkriegs nach Deutschland verschleppt wurden und nicht nach Hause zurückkehrten. Meistens haben sie für diese Suche nur wenig Erinnerungsstücke, z.B. Briefe oder Fotos. Eine Familie sandte eine Anfrage an uns und bat um unsere Mithilfe bei der Suche. Sie besitzt einen Brief aus der Nachkriegszeit, der Auskunft über das Schicksal ihres Angehörigen gibt. In diesem Brief berichtet der Mitgefangene Nikolai Pimburskij der Familie von Jakow Martinowitsch Pugolowkin über dessen Arbeit im Widerstand.

Jakow Martinowitsch Pugolowkin

(Brief an Jakow Martinowitsch Pugolowkins Familie)

Der Verfasser des Briefes nennt Jakow Martinowitsch Pugolowkin versehentlich Jakow Michailowitsch

26. April 1961

Guten Tag Pawel Kuzmitsch,

Ich schreibe in der Hoffnung, dass Jakow Michailowitsch inzwischen zuhause ist. Ihre Nachricht, durch die ich erfuhr, dass er noch nicht nach Hause zurückkehrte war, hat mich sehr erschüttert.
Jakow Michailowitsch und ich waren vom Herbst 1942 bis Herbst 1944 gemeinsam in Westdeutschland, in der Stadt Dortmund. Dort arbeiteten wir als Sanitäter im Lazarett für sowjetischen Kriegsgefangene. Das Lazarett war groß. Es gab viele Baracken für verschiedene Kranke: in einer Baracke waren solche mit Magenkrankheiten, in einer anderen die chirurgischen Fälle u.s.w.
Ich betreute die Schwerkranken in der Tuberkulosebaracke. In unserer Baracke gab es auch Räume für Patienten mit anderen ansteckenden Krankheiten: z.B. Typhuskranke . Kurz gesagt: die Baracke galt als infektiöse und die Deutschen hatten Angst zu uns zu kommen.
Jakow Michailowitsch war Sanitäter und für die Erfassung von Zahlen zuständig. Er bewegt sich wohl in allen Baracken. Er registrierte auch die Gesundgeschriebenen, die wieder in die Arbeitskommandos geschickte wurden, außerdem er gab Informationen über die Anzahl der verbliebenen Leute an die Serben-Übersetzer, die die Lebensmittel bestellten: Suppe und Brot.

Ich und Jakow Michailowitsch waren Mitglieder einer Geheimorganisation und Freunde. In meiner Baracke befand sich ein kleiner Untersuchungsraum, dort war ich ungestört. Jakow Michailowitsch brachte mir Flugblätter, welche ich mit Kohlepapier vervielfältigte und ihm zurückgab. Er wählt zuverlässige Leute unter den Entlassenen aus und übergab ihnen die Flugblätter für die Verbreitung in den Arbeitskommandos, darüber hinaus gab er den Leuten Instruktionen und Aufgaben, wie und welche Sabotageakte gegen die Deutsche durchgeführt werden können: in Betrieben Brände legen, Maschinen und Werkbänke unbrauchbar machen usw. Alle dies macht er mit großer Vorsicht. Ich vervielfältigte aber nur die Flugblätter. Man schützte mich, damit keiner etwas über mich erfährt, denn für mich war es leicht in der Baracke, die als hochinfektiös galt, Flugblätter zu vervielfältigen. Außerdem habe ich auf Anweisung von Jakow Michailowitsch mehrere Kranke länger als infektiöse krankgeschrieben z.B. mit Krätze, so dass sie bei uns mehrere Monate in Quarantäne lagen.

Im Herbst 1944 verhafteten die Deutschen Jakow Michailowitsch und brachten ihn in ein Straflager. Es war aber nicht weit von unserem Lager entfernt. Man brachte ihn noch 3 Mal zu uns in die Banja. Bei dieser Gelegenheit sprach ich mit ihm. Er sagt mir, die Deutschen hätten ihn verhört und immer nach Flugblättern gefragt. Sie wüssten aber nichts Genaues, sondern hätten nur Vermutungen. Er sagte mir auch, die Flugblattaktionen müssten zeitweise unterbrochen werden bis die Deutschen sich beruhigt hätten.
Kurz danach überführten die Deutschen alle Ärzte und Sanitäter aus unserem Lazarett in verschiedene andere Lager. Sie vermuteten, dass bei uns irgendwelche Aktion durchgeführt würden und wollten alle Verbindungen zerschlagen.

Auch mich brachten sie in ein anderes Lager. Es stellte sich heraus, dass ich an Tuberkulose erkrankt war. Ich spürte die Krankheit bereits, war aber noch auf den Beinen. Kurze Zeit später wurde ich sehr schwach und hatte jeden Tag bis zu 40 Grad Fieber. Als Schwerkranker hörte ich, dass Jakow Michailowitsch im Gefängnis sitzt. (Wahrscheinlich war er in Gestapo-Haft Anm. d.Ü.). Er hatte versucht durch ein Fenster in einem höheren Stockwerk zu fliehen. Beim Abseilen stürzte er ab und wurde schwer verletzt. Die Deutschen haben ihn wieder inhaftiert. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Ich war damals dem Tode nah und erinnere mich nicht, von wem ich über seinen Fluchtversuch erfuhr.

Bald darauf wurden wir von den Alliierten befreit und der sowjetischen Mission übergeben. Als ich 1945 nach Hause kam, wurde ich als Invalide des Vaterländischen Krieges eingestuft und bekam eine Rente. Ich war schwerkrank und die Ärzte sagten meiner Frau, ich würde die nächsten 2 Wochen nicht überleben. Dennoch blieb ich am Leben und war 3 Jahre krank. 1948 wurde ein neues Medikament – Streptomycin – zugänglich. Es bewirkte, dass ich schnell gesund wurde. Seit 1948 arbeite ich als Lehrer. Es geht mir gut.

Jakow Michailowitsch war ein wahrer Sohn seines Vaterlandes, ein echter Patriot der Sowjetischen Heimat, tapfer, ein furchtloser Kämpfer mit großer Seele, ein verständnisvoller Kamerad, ein großartiger Mensch, alle mochten ihn. Sein Sohn kann auf seinen Vater stolz sein.
Auch Kameraden, von denen ich positiven Empfehlungen erhielt, wussten nichts über Jakow Michailowitsch. Möglicherweise habe ich mich schuldig gemacht habe, weil ich Ihnen nicht sofort über meine Begegnung mit Jakow Michailowitsch geschrieben habe, aber ich war todkrank und ich konnte niemandem schreiben.

Ich sende Ihnen meine Glückwünsche zum 1. Mai!
Ich verneige mich vor Ihnen und wünsche Ihnen Glück

Nikolai Pimburskij
Moskau“