Vielfache Bedrohungen – kein Schutz

Als die Dortmunder Nordstadt, die Westfalenhütte und die Zeche Kaiserstuhl am 5. Mai 1943 durch einen schweren Bombenangriff getroffen wurde, waren im Arbeitskommando 607R, Zeche Kaiserstuhl wohl mehr als 500 sowjetische Kriegsgefangenen. Sie waren dem Bombenhagel schutzlos ausgesetzt, da es ihnen nicht erlaubt war Schutzräume aufzusuchen. 194 von ihnen starben in dieser Nacht. Für die etwa 300 Überlebenden waren jedoch die Bombennächte bei weitem nicht die einzige Gefahr für ihr Leben. Zahlreiche Männer, die dem Bombenhagel entronnen waren,  starben in den folgenden Monaten.

Hunger, schwerste Arbeit und fehlende Versorgung

Hauptgrund für die hohe Sterblichkeit sowjetischer Kriegsgefangener war die ungenügende Ernährung. Wehrmacht und Zechenleitungen wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für den schlechten Ernährungszustand der Männer zu. Schon kurz nachdem sowjetische Kriegsgefangene auf den Zechen des Ruhrgebiets eingesetzt wurden, stellten die Lagerärzte bei den Verstorbenen häufig eine durch Unterernährung bedingte Herzschwäche als Todesursache fest. Doch auch das Risiko bei der Arbeit zu verunglücken war für sowjetische Kriegsgefangene mehr als doppelt so hoch wie für den Rest der Belegschaft. Die Arbeit unter Tage in staubiger und feuchter Umgebung und in ungeeigneter Kleidung verursachten eitrige Geschwüren und Furunkulose. Die Arbeitsbedingungen unter Tage ebenso wie die miserablen Wohnverhältnisse und die schlechte Beheizung der Unterkünfte führten zu Erkältungskrankheiten und in der Folge zu Lungenentzündungen, die oft tödlich endeten. Seit Sommer 1943 wurde zudem Lungentuberkulose zu einem ernsten gesundheitlichen Problem für die Gefangenen.

Mitte 1944 waren 10 % der Kriegsgefangenen im Wehrkreis VI revierkrank und weitere 8 % lazarettkrank. Kranke wurden aus den Arbeitskommandos in das nächste zuständige Kriegsgefangenenlazarett gebracht. Die Lazarette waren jedoch oft so überfüllt, dass die Gefangenen in den Arbeitskommandos blieben mussten. Schwerkranke brachte man in die Lazarette der Stalags VI A Hemer oder VI D Dortmund und ab 1944 in das Stalag VI C Bathorn im Emsland und in seine Zweiglager.

Neun Biographien

Das Los der neun Männer des Arbeitskommandos 607R zeigt beispielhaft wie schnell ihre Kräfte durch schwerste Arbeit, Hunger und fehlende Versorgung erschöpft waren. Die Neun waren mit tausenden anderen im Sommer und Herbst 1942 von den Frontlagern im Stalag VI K in der Senne angekommen. Dort wurden sie registriert und als bergbautauglich gemustert. Am 11. November brachte man sie in das Stalag VI A Hemer, das seit Herbst 1942 ausschließlich für die Zuweisung von Kriegsgefangenen für den Ruhrbergbau zuständig war. Mitte November 1942 kamen die Männer im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl an.

Schneller Tod im Russenlazarett

Semjon Kalinin wurde am 12. Mai 1902 im Gebiet Orlow geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Am 24. Juli 1942 geriet er Woroschilowgrad, dem heutigen Lugansk in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod. Am 17. August 1943 kam er ins Krankenrevier. Man brachte ihn noch in das „Russenlazarett“, wo er am 18. August 1943 an Herzschwäche starb.

Egor Merkulow wurde im Jahr 1917 im Gebiet Woronesch geboren. Von Beruf war Arbeiter, er war verheiratet. Am 28.Oktober 1941 geriet er auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Auch er überlebte den Bombenangriff am 5. Mai 1943, doch bereits am 15. Mai 1943 brachte man ihn in das Lazarett im Stalag VI A Hemer, wo er am 20. Mai 1943 an Lungenentzündung starb.

Iwan Rjabinin
wurde am 24. Januar 1921 im Gebiet Mogilow geboren. Er war in der Landwirtschaft tätig. Am 14. Juni 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Den Bombenangriff am 5. Mai 1943 überlebte er, am 8. Juli 1943 brachte man ihn ins Krankenrevier und dann in das Stalag VI C Bathorn, wo er am 16. Juli 1943 an Lungen-TBC starb.

Tod im Arbeitskommando 607R

Makar Buscha wurde im Mai 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Im April 1942 geriet im Donbass in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Bei dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 wurde er verletzt und war vom 9. Mai bis 25. Juni im  Krankenrevier. Am 2. Juli 1943 kehrt er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück. Am 24. Juli erlitt er bei einem Arbeitsunfall eine Quetschung des Ellenbogens.
Am 13. Mai 1944 starb er im Krankenrevier der Arbeitskommandos 607R an Lungenentzündung.

Grigorij Prazko
wurde am 19. Januar 1923 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war von Beruf Arbeiter. Im Juni 1942 geriet er bei Kertsch in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 blieb er im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl . Vom 7. Juli bis 2. September 1943 war er im Krankenrevier. Dann kehrte er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück.
Am 17. März 1944 starb er im Arbeitskommando 607R an Erstickung.

Tod im Emsland

Efim Bidorisch wurde im Jahr  1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Am 26. September 1941 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod, von wo er am 13. September 1943 in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurückkehrte.
Am 19. Juli 1944 kam er ins Lagerlazarett, am 8. August 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Wietmarschen, wo er am 27. Oktober 1944 starb.

Daniil Kowalenko wurde im Jahr 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Von Beruf war Zimmermann. Am 3. Juni 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Bei dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 wurde er verletzt. Vom 9. Mai bis 27. Juli war er im  Krankenrevier. Am 30. Juli 1943 kehrt er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück. Dort erlitt er am 9. August 1943 bei einem Arbeitsunfall eine Quetschung der Hand.
Am 7. Juni 1944 kam er ins Lagerlazarett. Am 19. Juni 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Alexisdorf, wo er am 11. September 1944 starb.

Pjotr Kriwoschejew wurde am22.Juni 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Von Beruf war er Tischler, er war verheiratet. Am 23. Mai 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod, von wo er am 5. Oktober 1943 in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurückkehrte.
Am 20. Juni 1944 kam er ins Lagerlazarett. Am 14. Juli 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Alexisdorf, wo er am 22. Juli 1944 starb.

Alexej Tschumankow
wurde am 13. März 1909 im Gebiet Amur geboren. Er war Landarbeiter und verheiratet. Am 21. Juli 1942 geriet er bei Rostow in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 blieb er im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl.
Am 26. Juli 1944 brachte man ihn ins Lagerlazarett. Von dort am 5. September 1944 zunächst in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Wesuwe und am 7. September in das Zweiglager Alexisdorf, wo er am 4. November 1944 starb.

Erinnerung an die Zwangsarbeiter

Einige der Kriegsgefangenen brachte man nach der Bombennacht am 5. Mai 1943 für kurze Zeit von der Zeche Kaiserstuhl, die sich im Besitz von Hoesch befand, auf der Zeche Radbod in Bockum-Hövel, die ebenfalls Hoesch gehörte.
Auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Radbod wurde unlängst eine Geschichtsstele zur Erinnerung an die Menschen, die auf der Zeche Radbod Zwangsarbeit leisten mussten, errichtet. Erfreulich wäre es, wenn auch in Dortmund Erinnerungsorte für die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen der zehn Dortmunder Zechen geschaffen würden.