Opferzahlen aus der Nachkriegszeit und Nachforschungen heute

Die Erinnerung an die Opfer des zweiten Weltkriegs, die als Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen in deutschen Lagern ihr Leben verloren haben, basiert in Westdeutschland auf Datenerhebungen, die der alliierte Kontrollrat durchführen ließ. In jedem Ort mussten kommunale deutsche Verwaltungen Zahlen über die verstorbenen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen und die Bestattungsorte zusammenstellen, dabei konnten sie nur auf Dokumente aus deutschen Verwaltungen und Betrieben zurückgreifen. Von 1945 bis 1953 sammelten die Vertreter der vier Siegermächte Daten über die Verbrechen der Nazis und fertigten Namenslisten an. In der Regel sandten Offiziere der jeweiligen Militärverwaltung Anfragen an die städtischen Verwaltungen, um Opferzahlen und Namen zu erhalten. Die Antworten, die von den Alliierten nicht in Zweifel gezogen wurden, bildeten die Grundlage für Ergebnisprotokolle. Am Ende ergab sich die Zahl der Opfer und eine, für die damalige Zeit, annähernd vollständige Namensliste der Kriegsopfer. Die Alliierten erstellten für jeden noch so kleinen Ort Ergebnisprotokolle und legten die Opferzahlen fest. Die Erfassung der Namen erfolgte nach Nationalitäten getrennt. Später wurden in Lagern und Behörden weitere Karteien und Archive gefunden. Da waren die Ergebnisprotokolle mit den Opferzahlen bereits angefertigt und kommuniziert.

Während des Krieges sind Dokumente von verstorbenen Kriegsgefangenen an die WASt (Wehrmachtsauskunftstelle) nach Berlin gesandt worden. Für Dokumente, die durch Bombenangriffe zerstört wurden, sind bei der WASt häufig Ersatzdokumente erstellt worden. Leider ging ein Teil dieser Dokumente in den letzten Monaten des Krieges in den Kriegswirren für immer verloren.
Erst Jahre später wurden die Dokumente der WASt nach Nationen aufgeteilt, katalogisiert und erforscht. Diese Aufteilung war erst in den 1960er Jahren abgeschlossen. Dennoch wurden die Opferzahlen in den Kommunen in den allermeisten Fällen nicht korrigiert.

Heute stehen für Nachforschungen zahlreiche Archive zur Verfügung, in denen eine sehr große Zahl Dokumente lagern, die Aufschluss über die Identität der Verstorbenen geben können. Diese Dokumente zeigen uns heute das Ausmaß der Verbrechen.
Das Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution https://arolsen-archives.org/
ermöglicht Recherchen und Anfragen. Bei der Dokumentationsstelle Dresden steht die „Datenbank sowjetische Kriegsgefangene“ zur Verfügung https://www.stsg.de/cms/dokstelle/content/auskuenfte/sowjetische-buerger/kriegsgefangene/datenbank/db-kriegsgefangene
Über 3 Mio. Dokumente von Verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen befinden sich im Gesamtarchiv des Verteidigungsministeriums der Russische Föderation (Общая База Данных – Мемориал OBD-Memorial) in Podolsk bei Moskau www.obd-memorial.ru

Zu den Beständen gehören Dokumente aus der Kriegszeit und der Nachkriegszeit, u.a. Todeslisten, Arbeitshefte aus Betrieben, Arbeitskarten, Transportlisten und Überführungskarten und Namens- und Opferlisten, die im Auftrag der Alliierten nach Kriegsende angefertigt wurden. Alle diese Dokumente sind für Interessierte offen auf den Internetseite von „OBD-Memorial“ zu sehen und sie ermöglichen heute neue Erkenntnisse durch Informationen, die nach dem Krieg nicht zugänglich waren. Mithilfe von Dokumenten der Roten Armee kann die falsche Schreibweise des Namens in vielen Fällen korrigiert werden. Der Zugang zu diesen Dokumente macht es möglich fast vollständige Namensliste von Kriegsopfer zu erstellen. Die Resultate dieser Nachforschungen ergeben höhere und viel glaubwürdiger Zahlen von Opfern, die in einem verbrecherischen Krieg gestorben sind.

Reihe zwei, Zweiter von links

Mehr als 80 Jahre galt Abdul Junussow als vermisst. Seine Ehefrau hatte aus Duschanbe in Taschikistan zweimal eine Anfrage zum Verbleib ihres Mannes nach Moskau gesandt. Die Antwort lautete „ Vermisst bei Charkow “ 2017 stellte der Enkel, mit Unterstützung von Experten, Nachforschungen im Internet an. „Bereits nach einer halben Stunde hatte ich die Antwort“ berichtete er. Einer der Experten hatte Abdul Junussows Personalkarte 1 gefunden und antwortete: „Dein Großvater war als Kriegsgefangene in Westdeutschland. Er war im Stalag VI K in Stukenbrock und kam von dort ins Stalag VI A in Hemer, gestorben ist er im Kreis Unna.“ Ein Stempel auf der Personalkarte 1 besagt, dass Abdul Junussow Kriegsgefangener in Heeren-Werwe im Arbeitskommando 72 war und durch „Brustquetschung“ ums Leben kam. Wahrscheinlich hatte er einen tödlichen Arbeitsunfall unter Tage. Die Karte gibt an, dass er auf dem Evangelischen Friedhof Heeren-Werve „Reihe 2, 2. von links“begraben ist. Im Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution gibt es einen Plan des Friedhof, auf dem die Gräber verzeichnet sind.

Die Vorbereitung einer Reise nach Deutschland dauerte dann noch zwei Jahre. Mit Unterstützung des historischen Vereins „Ar.kod.M“ besuchte Abdul Junussows Enkel, zusammen seiner Frau, Anfang September das Grab seines Großvater. Er brachte eine kleine Platte mit einem Gedenkspruch mit und Erde vom Grab seiner Großmutter. Am Grab des Großvater hielt er eine kurze muslimische Trauerzeremonie ab.



Gedenken in Stukenbrock

Am 7. September fand auf dem russischen Soldatenfriedhof des ehemaligen Stalag 326 in Stukenbrock die alljährliche Mahn- und Gedenkveranstaltung statt. In einer sehr persönlichen Rede erinnerte der Schauspieler Rolf Becker an das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. Er kritisierte die NATO und die Außenpolitik der Bundesregierung und betonte die besondere Verantwortung Deutschlands für die Erhaltung des Friedens.

In der Zeit von 1941 bis 1945 befand sich in Stukenbrock eines der größten Lager für sowjetische Kriegsgefangene. Von hier aus wurden sie zur Zwangsarbeit nach Westdeutschland, insbesondere ins Ruhrgebiet, gebracht. Viele Tausend starben jedoch bereits im Stalag 326 an Hunger, Krankheit und Vernachlässigung. Ein Obelisk, der 1945 von Überlebenden des Lagers errichtet wurde, trägt die Inschrift
„Hier ruhen die in faschistischer Gefangenschaft zu tode gequält 65000 russischen Soldaten. Ruht in Frieden Kameraden
1941-1945

Das letzte Lebenszeichen kommt aus Gelsenkirchen

Für die meisten Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die im Krieg ihren Vater oder ihren Großvater verloren haben, ist es wichtig zu wissen, wo ihr Angehöriger bestattet ist und einen Ort des Gedenkens und der Erinnerung zu haben.

Nadeshda und ihre beiden Söhne hatten, mit Unterstützung verschiedener Organisationen in Russland, viele Jahre nach ihrem Vater und Großvater gesucht. Die Suche war sehr schwierig. Das Researche Centre in Jekaterinburg fand zwar Dokumente, wichtige Daten, wie der Vatername, der bei Namensgleichheit für die Identifizierung des Toten besonders wichtig ist, und das Geburtsdatum stimmten nicht. Da das Researche Centre keine deutschen Dokumente ausgewertet hatte, konnte die Identität nicht eindeutig bestimmt werden. Ar.kod.M erklärte sich bereit die Suche zu unterstützen, weitere Nachforschungen anzustellen und auch Dokumente deutscher Stellen auszuwerten. Schließlich wurde in Gelsenkirchen eine Personalkarte 1 mit Angaben gefunden, die zu dem Verstorbenen passten. Leider war der Ort, an dem er begraben wurde, nicht genau bezeichnet.

Die Familie entschloss sich trotzdem nach Gelsenkirchen zu fahren und den Ort, an dem ihr Vater und Großvater die letzten Monate seines Lebens verbracht hat, kennen zu lernen. Ar.kod.M hat die Familie auf dieser Reise begleitet. In Gelsenkirchen besuchte sie Friedhöfe, auf denen sowjetische Kriegsgefangenen begraben sind. Vermutlich hat Nadeshdas Vater vor seinem Tod auf einer Zeche in Gelsenkirchen gearbeitet, deshalb besuchte die Familie auch Schacht Hugo II in Gelsenkirchen-Buer.

Nach 70 Jahren – Gedenken für den verstorbenen Großvater

Vor 2 Jahren fand Igor in der Datenbank OBD-Memorial die Personalkarte 1 seines Großvaters. Die Familie hatte mehr als 70 Jahre nach dem Verstorbenen gesucht. Die Personalkarte 1 gibt Auskunft über das Schicksal von Igors Großvater Pawel Alekseewitsch Terentjew .
Er gerät bereits im Herbst 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach der Registrierung im Lager 367 in Polen wird er nach Hemer in das Stalag VI A geschickt. Hunger, Kälte, das völliger Fehlen der einfachsten Versorgung und die lange Reise in offenen Güterwagen haben ihn krankgemacht. Kurz nach der Ankunft im Stalag VI A in Hemer stirb er. Beerdigt wird er auf dem Friedhof Höcklingser Weg in Hemer. Obwohl der Ort seiner Beisetzung auf der Personalkarte 1 genau vermerkt ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen, wo genau sein Grab ist.
Der Friedhof wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten umgestaltet.

Gemeinsam mit seiner Frau besuchte Igor den Friedhof am Höcklinger Weg. Mitgebracht hatte er ein Säckchen Erde vom Grab seiner Großmutter. Igor verstreute die Erde nahe dem orthodoxen Kreuz auf dem Friedhof und nahm ein Säckchen Erde aus Hemer mit nach hause. Die Erde soll auf dem Grab seiner Großmutter verstreut werden.

Mein Herz hängt an diesem Ort

Anfang August besuchte Swetlana Kommissarova aus Moskau das oberbergische Hückeswagen. Sie kam, um das Grab ihres Großvaters zu pflegen. Vor einigen Jahren hatte sie, mit Unterstützung von Ar.kod.M e.V., das Grab ihres Großvaters Konstantin Samarin auf einem kleinen Friedhof in Hückeswagen-Vosshagen gefunden. 1941 und 1942 wurden dort vierundvierzig sowjetische Kriegsgefangene begraben. Swetlana Kommisarova setzt sich sehr für die würdige Gestaltung des Friedhofs ein. Sie sagte „Mein Herz hängt an diesem Ort.“ Außerdem hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Angehörige der 43 Verstorbenen ausfindig zu machen.

Nachkriegszeit


In jedem Ort wurde die Zahl der Opfer unter den Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen durch Behörden zusammengestellt, dabei konnten die alliierten Militärbehörden nur auf Dokumente der deutschen Verwaltungen und Betriebe zurückgreifen. Von 1945 bis 1953 sammelten die Vertreter der vier Siegermächte Daten über die Verbrechen der Nazis und fertigten Namenslisten an. In der Regel sandten Offiziere der jeweiligen Militärverwaltung Anfragen an die städtischen Verwaltungen oder an örtliche Betriebe, um Opferzahlen und Namen zu erhalten. Die Antworten, die von den Alliierten nicht  in Zweifel gezogen wurden, bildeten die Grundlage für Ergebnisprotokolle. Am Ende ergab sich die Zahl der Opfer und eine, für die damalige Zeit annähernd vollständige Namensliste der Kriegsopfer.  Die Alliierten erstellten für jeden noch so kleinen Ort Ergebnisprotokolle und legten die Opferzahlen fest. Die Erfassung der Namen erfolgte anfangs nach Nationalitäten getrennt.



Jugendliche aus Kasachstan besuchen den Internationalen Friedhof in Dortmund

Drei Jugendliche aus Kasachstan, die zur Zeit an der Uni Dortmund einen Kurs besuchen, haben gemeinsam mit Dmitriy Kostovarov den Internationalen Friedhof in Dortmund besucht. Wie in den meisten Familien aus der ehemaligen Sowjetunion, haben auch die Familien der Jugendlichen Angehörige im 2. Weltkrieg verloren.

Die jungen Leute interessierten sich dafür, wie viele Menschen auf dem Internationalen Friedhof begraben sind und aus welchen Ländern sie kamen. Zum Gedenken an die Opfer zündeten sie Kerzen an und legen Blumen an einem Gedenkstein nieder.

Rede anlässlich der Gedenkfeier am 22. Juni 2019 auf dem Internationalen Friedhof

Lieber Freundinnen und Freunde,

die Nacht von 21. auf den 22. Juni ist die kürzeste Nacht des Jahres. 1941 war der junge Igor Iwanowski in dieser Nacht mit seiner Freundin Janinka in Grodno unterwegs. Sie waren, am frühen Morgen, auf dem Weg zu Janinkas Elternhaus „als plötzlich ein seltsames, fremdes, zunächst leises, dann schnell anschwellendes Geräusch die nächtliche Ruhe der Stadt störte. Janinka blieb stehen.
„Was ist das? Was brummt da? Sind das Flugzeuge?“
Natürlich, Flugzeuge näherten sich. Ihm (Igor Iwanoski) wollte nicht in den Kopf, dass so unsinnig und zur Unzeit jenes Schreckliche begann, das die Menschen in den letzten Wochen als düstere Vorahnung geängstigt und bedrückt hatte. Er hatte sich an eine schwache Hoffnung geklammert, das Angstgefühl in sich verdrängt und sich leidenschaftlich gewünscht, dieses Schreckliche möge vorübergehen. Jetzt schien es wahr zu werden.
Janinka stürzte entsetzt und schutzsuchend zu ihm, und er hatte sie gerade mit kalten Händen umarmt, als mächtige Detonationen ganz in der Nähe sie in die Stengel des Kartoffelkrauts warfen. Eine Reihe feurig-schwarzer Pilze erhellte den Morgen, mächtige heiße Wellen schlugen ihnen in den Rücken, schleuderten Erde auf sie.
Er wartete, bis das erste dröhnende Krachen vorüber war, und sprang auf…
Betäubt von der Detonation, konnte er erst gar nicht verstehen, was sie ihm mit seltsam dünner Stimme zurief: „Lauf zur Brücke!…“ Natürlich, er mußte über die Brücke zum Stab, er wußte nun, was geschehen war, und konnte nicht anders handeln.
Ohne sich weiter umzuschauen, vorwärts gestoßen von den Schlägen der Detonation, stürzend und wieder aufspringend, eilte er zur Brücke… Er trug das gerade noch erhaschte Bild des Mädchens mit sich, wie sie erschrocken … mitten im betauten, blühenden Kartoffelkraut zurückblieb.“
Quelle: Wassil Bykau, Romane und Novellen, Band 2, Pahl-Rugenstein, 1985, Köln, Seite 405 f.

Die jungen Leute sehen sich nicht wieder, Igor Iwanowski fällt wenige Monate später.
Igor Iwanowski ist eine literarische Figur, erdacht von dem weissrussischen Schriftsteller Wassil Bykau.

Alexander Gribzow aber ist keine literarische Figur. Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er war verheiratet und kam aus dem Rjasaner Gebiet 200 km südöstlich von Moskau.
https://obd-memorial.ru/html/info.htm?id=300704679
Aufgerufen 23.6.2019
Er war 33 Jahre als er am 10. Oktober 1941 in Wjasma, 250 km westlich von Moskau, von der Wehrmacht gefangenen genommen wurde.
Mitte November wurde er im Stalag VI C, Bathorn, registriert. Trotz der Strapazen auf der Reise war er gesund.
Das Stalag VI C gehörte zu den Emslandlagern. Es wurde 1938 als Strafgefangenenlager  errichtet. Gleich nach Kriegsbeginn, im September 1939, übernahm die Wehrmacht das Lager. Das Wehrkreiskommando VI in Münster richtete in Bathorn, nach dem Stalag VI A in Hemer und VI B in Versen, sein drittes Mannschaftsstammlager (Stalag) VI C ein. Die Emslandlager Groß Hesepe, Dalum, Wietmarschen und Alexisdorf wurden dem Stalag in Bathorn als Zweiglager unterstellt.
Am 18.11. kam Alexander Gribzow ins Lager Dalum und am 8.12. wurde er in das Lager Alexisdorf gebracht.

Ein Zeitzeuge aus der Region erinnert sich „an ein russisches Arbeitskommando, das konnten wohl ein paar hundert Mann gewesen sein, die marschierten von Alexisdorf zu Fuß in Richtung Hoogsteede. Draußen herrschte der Winter, es hatte gerade geschneit, da musste der Großteil der russischen Männer barfuß im Schnee zur Arbeit laufen… Bekleidet waren sie lediglich mit ihrem leichten Drillichanzug, Tuchanzug. (…) Viele russische Gefangene sind in Alexisdorf elendig zugrunde gegangen, weil sie kaum etwas anzuziehen hatten, die Verpflegung schlecht und unzureichend war und weil sie zudem körperlich hart arbeiten mussten. Natürlich wurden unter diesen Umständen viele krank (Lungen-TB, Kreislaufschwächen,  Diphtherie). Da die Verpflegung im Lazarett nicht besser wurde, sind viele einfach verhungert.“
Quelle: https://www.diz-emslandlager.de/lager/lager15.htm
Aufgerufen 23.6.2019

Alexander Gribzow lebte noch und kam am 8. Mai 1942 nach Ochtrup in das Arbeitskommando 628, das sich vermutlich in der Weberei Laurenz befand.
Am 15. Juli wurde er in das Stalag VI D nach Dortmund gebracht, wahrscheinlich war er da bereits krank. Am 30. August 1942 starb er im Stalag VI D. Die Wehrmacht teilte der Stadt Dortmund seinen Namen nicht mit und er wurde als Unbekannter auf dem Hauptfriedhof begraben.

Gedenken an Alexander Gribzow

Insgesamt gerieten etwa 5,5 Mio Soldaten der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenen, etwa 3 Mio Rotarmisten überlebten die deutsche Kriegsgefangenschaft nicht. Der Umgang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen ist das größte Verbrechen der Wehrmacht.
Dieses Verbrechen ist bis heute nicht völlig aufgearbeitet. Obwohl es inzwischen zahlreiche Untersuchungen gibt, liegt noch vieles im Dunkel und schlimmer noch, oft beruhen unsere Sichtweisen bis heute auf Dokumenten aus der Nazizeit und auf Narrativen die Wehrmachtsgenerälen, wie z.B. Gotthard Heinrici, in der Nachkriegszeit geschaffen haben.
siehe dazu: Johannes Hürter (Hrsg.) Notizen aus dem Vernichtungskrieg, Die Ostfront 1941/42 in den Aufzeichnungen des Generals Heinrici, WGB, Darmstadt, 2016, Seite 21

Doch die Dokumente aus der Nazizeit und unsere Sichtweise auf diese Dokumente bedürfen einer kritischen Überprüfung. Denn geben sie nicht die Verfahrensweisen und das Verwaltungshandeln der Nazis wieder? 78 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion und mehr als 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs stehen für Nachforschungen zahlreiche Archive zur Verfügung, in denen eine sehr große Zahl von Dokumenten lagert.
Über 3 Mio. Dokumente von Verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen im Gesamtarchiv des Verteidigungsministeriums der Russische Föderation (Общая База Данных – Мемориал, OBD-Memorial) im Podolsk bei Moskau zeigen heute das Ausmaß der Verbrechen der Wehrmacht. Die Dokumente sind für Interessierte auf der Internetseite von „OBD-Memorial“ www.obd-memorial.ru zu sehen und sie ermöglichen heute neue Erkenntnisse durch Informationen, die nach dem Krieg nicht zugänglich waren.
Erlaubt mir zum Schluss noch eine Bemerkung zur Geschichtsarbeit in Dortmund. In Dortmund ist viel getan worden, um die Erinnerung an die Opfer des Hitlerfaschismus und an den Widerstand gegen das verbrecherische Naziregime wachzuhalten, dennoch liegt noch Vieles im Dunkeln. Das gilt ganz besonders für die tausenden sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Dortmund gearbeitet haben und gestorben sind. 4 Jahre lang, vom Herbst 1941 bis Anfang 1945, fuhren beinahe täglich Leichenwagen von der Westfalenhalle zum Hauptfriedhof. Sie brachten die Verstorbenen aus dem Stalag hierher und hier wurden sie anonym begraben.
Ich sage es mit den Worten unseres Oberbürgermeisters, der Karfreitag in der Bittermark Brecht mit den Worten zitierte: „ Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn keiner mehr an ihn denkt“. Nehmen wir die Aufforderung ernst und sorgen wir dafür, dass das Leben und Leiden der sowjetischen Kriegsgefangenen in den zahlreich Arbeitskommandos und das Sterben im Stalag in Erinnerung bleiben und die Verstorbenen nicht Unbekannte bleiben, sondern eine würdige Ruhestätte hier auf dem Internationalen Friedhof finden.

Hannelore Tölke

Personalkarte

Jeder Kriegsgefangene hatte eine Personalkarte mit alle persönlichen Daten. Sie begleitete den Kriegsgefangenen durch die Lager, jede Personalkarte eröffnet für uns das tragische Schicksal eines Kriegsopfers. In der Personalkarte 1 wurden folgende Informationen eingetragen:
der Name,
der Vorname und der Vatername,
das Geburtsdatum und der Geburtsort ,
der Name der Mutter, um jüdische Wurzeln zu finden, die Staatsangehörigkeit,
alle beruflichen und militärische Daten,
wann und wo in Kriegsgefangenschaft geraten,
der Gesundheitszustand ein Foto (nicht immer) und die Fingerabdrücke.

Die zweite Seite hatte Information über Gefängnisaufenthalte, die medizinische Behandlung, den Weg durch die Wehrmachtkreise und die Lager, Arbeitseinsätze in verschiedenen Betrieben (Arbeitskommando).

Die „Personalkarte 1“ wurde bei der Registrierung oft von Hilfspersonal aus verschiedensten Ländern ausgefüllt. Die Eintragung der Daten erfolgte dabei sehr häufig nach Gehör. Nach einem langen Weg bis ins Lager waren die Menschen ausgehungert, erschöpft und oft so geschwächt, dass sie bei der Registrierung dem Hilfspersonal, das ihre Daten aufgenommen hat auch wegen der Verständigungsschwierigkeiten keine genaueren Erklärungen zur Person geben konnten. Dadurch kam es beim Ausfüllen der Personalkarten häufig zu Fehlern. Diese Fehler haben die Gefangenen auf ihrem Weg durch die Lager und, wenn sie dort verstorben sind, bis zu ihrem Tot und noch darüber hinaus begleitet.

Personalkarte 1