Schwarze Löcher, weiße Flecken

Das Ende des 2. Weltkrieg in Europa am 8/9. Mai und der Sieg über den Nationalsozialismus war auch ein Neuanfang in Europa. Wie aber ist es heute um Europa bestellt? 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs zeigen Reden und Taten von Politiker*innen in Europa eine große Unversöhnlichkeit.
Im Jahr 1945 kapitulierte Nazideutschland. Die 50ziger und 60ziger waren eine Zeit des Schweigens und Verschweigens. Dieser Zeit folgte in den 70ziger und 80ziger Jahren eine Zeit der Diskussion und der Aufarbeitung. Die Kommunen gingen damit jedoch sehr unterschiedliche um. Die Dortmunder Stadtgesellschaft gedenkt in jedem Jahr in zahlreichen Veranstaltungen den Opfern der Naziherrschaft und erinnert an den Widerstand mutiger Menschen. Nur wenig Aufmerksamkeit in der Erinnerungsarbeit in Dortmund finden dagegen die zigtausenden Menschen, die in Dortmund Zwangsarbeit leisten mussten und das Stalag VI D an der Westfalenhalle, in dem von 1939 bis 1945 zigtausende Kriegsgefangene waren. Zwar erinnert ein Gedenkstein an das Stalag VI D, dennoch gibt es in der Stadtgesellschaft kaum Erinnerungen an das Lager an der Westfalenhalle.

Gedenkstein an der Westfalenhalle in Dortmund

Was sind die Gründe dafür? Sucht man in den Städten des Ruhrgebiet und des Rheinlands nach Dokumenten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit über „sowjetische Kriegsopfer“, fällt auf, dass es zahlreiche Originaldokumente, Todeslisten, Grabpläne, Akten von Exhumierungen und Umbettungen gibt. Diese Dokumente liegen u.a. in örtlichen oder regionalen Archiven, aber auch beim Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution. Es handelt es sich hier oft um Unterlagen der Wehrmachtsauskunftstelle (WAST). Fotografien und Berichte vom Zeitzeugen sind in Büchern und Ausstellungskatalogen zu sehen und in Foto- und Kinoarchiven (z.b. Holocaust-Spielberg Sammlung, Washington). Die Dokumentenlage für Dortmund ist jedoch sehr spärlich. Tatsächlich hat die Stadt Dortmund im Bombenhagel große Schäden erlitten, aber das gilt auch für andere Städte in Westdeutschland, die dennoch über zahlreich Dokumente, z.B. Listen mit Namen von Kriegsopfer, verfügen.

Auf der Website der Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution zeigt die interaktive Karte mit Standorten von Dokumentenbeständen für Dortmund keine einzige Informationsquelle. Andererseits haben unsere weiteren Nachforschungen bei den Arolsen Archives ergeben, dass dort Dokumente liegen, die in Dortmund erstellt wurden, im Stadtarchiv Dortmund von uns bisher aber nicht aufgefunden werden konnten. Auch über das Stalag VI D, das bis zu seiner Bombardierung im März 1945 betrieben wurde, gibt es in Dortmund nur sehr geringe Dokumentenbeständen. Dokumente und Beweise, die Aufschluss über das Stalag VI D geben könnten, wurden befehlsmäßig vernichtet oder „durch die Bombardierungen zerstört“. Zeitzeugnisse, Papiere, Fotos, Unterlagen der Verwaltung sind gewissermaßen in einem schwarzen Loch verschwunden.

Im Stalag VI K in Stukenbrock und im Stalag VI A in Hemer, die beide etwa die Größe des StalagsVI D in Dortmund hatten, wurden nach ihrer Befreiung eine sehr große Anzahl Fotos aufgenommen und zahlreiche Filme gedreht. Für Dortmund gibt es lediglich 3 Fotos aus dem Psychiatrischen Klinikum in Aplerbeck und ein Kurzfilm über Aplerbeck, der 1 Minute 28 Sekunden lang ist und auf dem höchstwahrscheinlich auch die Exhumierungen in Warstein zusehen sind. Nach der Bombardierung des Stalag VI D befanden sich auf dem Dortmunder Stadtgebiet, auf Werks- und Zechengeländen und in Privatgebäuden, viele Lager und Arbeitskommandos, die zu einem großen Teil dem Stalag VI D unterstellt waren. Im Januar 1945 lebten mehr als 43000 ausländische Arbeitskräfte, darunter 15.000 Kriegsgefangene, in Dortmund. Auch wenn das Stalag in Dortmund durch Bombenangriffe schwerbeschädigt war, lebten in den Lagern der zahlreichen Arbeitskommandos, bis zum Einmarsch der Amerikaner Anfang April 1945, noch tausende Menschen. Es ist schwer vorstellbar, dass es keinerlei Fotos und Filmdokumente von der Befreiung dieser Lager geben soll. Zudem fehlen Dokumente über den Verbleib dieser Menschen nach ihrer Befreiung und über ihre Rückführung fast gänzlich.Nach offiziell amerikanischen Angaben wurden in Dortmund 4038 sowjetische Bürger befreit.

Während es sowohl über das Stalag VI K in Stukenbrock als auch das Stalag VI A in Hemer umfangreiche Veröffentlichungen gibt, sucht man eine solche für das Stalag VI D in Dortmund bisher vergeblich. Bürgerschaftliches Engagement, eine wissenschaftliche Aufarbeitung und die Errichtung von Gedenkstätten vor Ort haben dazu beigetragen, dass die Lager in Stukenbrock und Hemer nicht in Vergessenheit geraten konnten. Zwar wurde auf dem Gelände des Stalag VI D in Dortmund ein Gedenkstein erreichtet, eine stadtgeschichtliche Aufarbeitung fand aber bisher nicht statt. Noch immer fehlt eine Gedenkstätte auf dem Gelände der Westfalenhalle. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Dortmund in Bezug auf die Kriegsopfer, insbesondere auf die Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, und auf das Stalag VI D, ist bisher nicht geschehen und so weist die Erinnerungskultur in Dortmund, auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, noch viele weißen Flecken auf.