Gestorben, eingeäschert … verschwunden

Als in Dortmund die Zahl der Einwohner Mitte der 1930ziger Jahre auf fast 550.000 Einwohner angewachsen war, wurde das Krematorium umgebaut und auf Gas umgestellt. Bis dahin brauchte man zur Einäscherung einer Leiche 41 Kilogramm Kohle, doch in Kriegszeit wurde dieser Brennstoff für anderer Zwecke gebraucht. Von 1939 bis Oktober 1944 hatte Dortmund das modernste Krematorium in Deutschland. Als im Oktober 1944 die Gasleitung beschädigt wurde, setzte man die Einäscherungen aus.

Krematorium Dortmund

In den Papieren des Krematoriums fand die Britische Kommission 1945 eine Namensliste westlicher Kriegsopfer, die eingeäschert wurden. Unter den 97 „von der Gestapo hingerichteten und in Krematorium eingeäscherten“ Kriegsgefangene waren auch zwei Namen vom Juni 1942, die ungewöhnlich klangen. Es handelte sich tatsächlich um Sowjets. Diese Entdeckung führte zu der Frage: Gab es möglicherweise weitere sowjetische Opfer? Kurze Zeit später legte die Dortmunder Stadtverwaltung eine Liste mit genau 100 „russischen Namen“ vor. Diese Menschen wurden in Dortmund „eingeäschert“ und in Wewelsburg „beerdigt“. Im September und Oktober 1942 wurden 98 „Russen“ eingeäschert. Stehen die Namen wohl möglich auch in den Dokumenten der Gestapo? Und wirklich ein Vergleich mit den Akten der Gestapo zeigt, mehrere Namen sind in beiden Listen. In den Gestapoakten findet sich bei den Namen der Vermerk „von der Gestapo abgeholt“ und „aus Gestapohaft entlassen“.
Noch spannender wird es, wenn man Dokumente aus der Datenbank OBD-Memorial zu diesem Fall untersucht. Für 8 eingeäscherte „Russen“ gibt es dort Dokumente aus der Einwohnermeldekartei des zuständigen Standesamts in Büren mit dem Eintrag „…wohnhaft in Wewelsburg“ .. „ist in Wewelsburg…verstorben“. Als Sterbedatum ist der gleiche oder der nächste Tag nach der „Entlassung“ aus Gestapohaft in Dortmund angegeben.
Ist es glaubwürdig, dass 98 Menschen, die im KZ Wewelsburg waren, zuerst dort von der Gestapo verhaftet und nach Dortmund gebracht wurden, dann, nach ihrer Entlassung aus der Gestapohaft, am darauffolgenden Tag in Wewelsburg verstarben, danach nach Dortmund geschafft und dort eingeäschert wurden? Nach Dokumentenlage brachte man jedenfalls die Urnen mit der Asche nach Wewelsburg. Im März 1943 wurden, nach einem Vermerks des SS-Grupenführer Schobel, 55 Urnen der im Oktober eingeäscherten Russen „..wieder an HfH-Do überstellt“. Die Asche der Ermordeten hatte man auf den Felder rund das SS-Lager Wewelsburg verstreut.


Die Britische Kommission stellte in Dortmund wegen fehlender Dokumente keine weiteren Untersuchungen an.

Dennoch ist merkwürdig, dass in 4 Jahren für das Krematorium in Dortmund nur für zwei Monate täglichen Einäscherungen von Kriegsgefangenen belegt sind. In einigen Monaten gibt es zwei-drei Tage an denen Einäscherung stattfanden. Dann folgen mehrere Monaten, ohne dass die Einäscherung von Kriegsgefangenen dokumentiert wäre.

Andererseits ergibt sich aus den Dokumenten ein Vorgehen der Gestapo. Mehrere Personen, hinter deren Namen sich der Vermerk „entlassen“ befindet, wurden noch am selben Tag im Krematorium eingeäschert. In den Jahren 1941 bis 1944 gibt es hunderte Namen in den Listen der Gestapo-Dortmund mit diesem Vermerk.
Das Dortmunder Krematorium war eines der modernsten in Deutschland. Dort wurden nicht nur Einäscherungen für Dortmund, sondern auch für Bochum, Bielefeld und sogar für Berlin gemacht . So sind auf einem Gräberfeld auf dem Friedhof Blumenstraße in Bochum, auf dem sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen beerdigt sind, 309 Urnen begrabenen, die mit große Wahrscheinlichkeit aus dem Dortmunder Krematorium kamen. Auf diesem Friedhof wurden während des Krieges auch sowjetische Bürger beerdigt.


Noch trauriger wird die Geschichte durch einen weiteren Punkt. Von 98 „Russen“ erscheinen nur 97 im Wewelsburg auf einer Gedenktafeln. Alexander Kwetkin aus der ukrainischen Stadt Pawlopol hat kein Platz an diesem Ehrenort gefunden. Er hatte sehr oft Pech. Zuerst hat ein Dolmetscher seinen Namen nicht als Kwetkin sondern Quetkin registriert, danach kam er in das SS-Lager Wewelsburg.

Die Tafel in der Gedenkstätte Wewelsburg zeigt die Namen der dort Ermordeten

Ist Alexander Kwetkins Schicksal ein Einzelfall oder gibt es möglicherweise weitere Opfer aus dem SS-Lager Wewelsburg , die von der Gestapo Dortmund ermordet und deren Asche im Wewelsburg verstreut wurde und die heute vergessen sind. Oder sind möglicherweise hunderte Opfer der Gestapo in Dortmund geblieben? Wurden sie hier eingeäschert und wo sind sie begraben? Klarheit können nur weitere Nachforschungen bringen. Jedenfalls sollten alle Opfer der Gestapo, deren Asche in Wewelsburg verstreut wurde, einen Platz auf der Gedenktafel finden.