Gegen das Vergessen – Mahn- und Gedenkveranstaltung am 22. Juni an der Westfalenhalle in Dortmund

Für viele Menschen ist die Westfalenhalle in Dortmund mit schönen Erinnerungen an bewegende Konzerte, an spannende Sportereignisse, an interessante politische Veranstaltungen und begegnungsreiche Messen verbunden. Wir sollten aber niemals vergessen, dass dieser Ort für viele Menschen eine ganz andere Bedeutung hatte. Er war ein Ort des Leides und der Not. Ein Ort wo „manche Brust ein Seufzer dehnet, will wir hier gefangen sind“, wie das Moorsoldaten Lied sagt. Und mehr noch, für tausende Menschen war es ein Sterbeort. Im Dortmunder Stadtarchiv befindet sich das Totenbuch für sowjetische Kriegsgefangene mit mehr als 3000 Einträgen über Todesfälle aus dem Stalag VI D an der Westfalenhalle.
Von 1939 bis Anfang 1945 war an und in der Westfalenhalle ein großes Kriegsgefangenenlager. Mehr als 340.000 Menschen durchliefen das Lager, sie wurden zur Zwangsarbeit in Dortmunder Betrieben und im gesamten Umland, im Münsterland und im Sauerland, eingesetzt. Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen war besonders schwer.

Stalag VI D an der Westfalenhallen, die Gebäude des Lagers für sowjetische Kriegsgefangene sind rot eingezeichnet. Die heutigen der Gebäude auf dem Messegelände und die Westfalenhalle sind grau eingezeichnet

Als Nazideutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, war für die Naziführung und die Wehrmacht schon klar, dass es sich um einen Vernichtungskrieg handelte. Mit dem Barbarossoerlass wurde die Zivilbevölkerung zu Opfern dieses Vernichtungskriegs. Außerdem galt für die sowjetischen Kriegsgefangenen „der Kommunist ist kein Kamerad“. Die Wehrmacht rückte von Standpunkt des „soldatischen Kameradentums“ ab und setzte sich über Internationales Recht hinweg. Von 5 Mio sowjetischen Kriegsgefangenen kamen 3 Mio in deutscher Kriegsgefangenschaft um. Das ist eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht und Nazideutschlands.

Ein Schauplatz dieses Verbrechens war das heutige Messegelände rund um die Westfalenhalle, es geschah vor den Augen der Dortmunder*innen.

Bei allen schönen Erinnerungen an diesen Ort verbinden, sollte das niemals vergessen werden.
Gegen das Vergessen hatten der Förderverein Gedenkstätte Steinwache- Internationales Rombergpark Komitee, die Botschafter*innen der Erinnerung und der Historische Verein Ar.kod.M zu einer Mahn- und Gedenkstunde am 22. Juni eingeladen.

Anwar Isaev aus Nookat wurde bei der Gestapo in Dortmund getötet – die Verwandten werden gebeten sich zu melden

Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Dortmund erschossen Gestapo-Leute fast 300 Gefangenen aus Gestapo-Gefängnissen. Unter ihnen war auch Anwar Hasanowitsch Isajew, der vor dem Krieg im Naukatser Gebiet (Nookatskij Gebiet) lebte und auf dem Kolchoz Iski-Naukat gearbeitet hat. Bei unserer Zeitung hat sich die Organisation „Suchbewegung von Kirgisien“ (Unser Sieg – Bizden Zhenisch) gemeldet um die Familienangehörigen von Isaew zu finden. Es ist sehr wichtig die Familie zu finden, denn nur sie kann das Gedenken an ihn beantragen.

Der Leiter einer historischen Vereinigung, Dmitriy Kostovarov, kam auf uns zu und erzählte uns, dass er sich seit 2006 mit der Suche nach Namen insbesondere im Westen Deutschlands beschäftigt. Dank seiner Arbeit stehen auf zahlreichen Friedhöfen heute Stelen mit Namen, erklärte der Vorsitzende des Geschichtsvereins.
„Eines unserer Projekte ist die Suche nach Namen von Menschen, die Opfer der Gestapo Dortmund wurden. In letzten Tagen des Krieges hatte die Gestapo 230 bis 300 Gefangene erschossen. Es waren Belgier, Franzosen, Serben, Polen und, nach unseren Informationen, mindestens 90 sowjetische Bürger. Die Namen derer, die in den letzten Tagen im Gefängnis waren, haben wir gefunden. Unter ihnen war Isajew.


In den Dokumenten ist der letzte Vermerk „entlassen“. In der Sprache der Gestapo heißt das „zum Tode verurteilt“. Die Amerikaner haben kurz nach dem Einmarsch in mehreren Bombentrichtern viele Leichen gefunden, die nur provisorisch mit Erde zugeschüttet waren. Die meisten Leichen wurden nicht identifiziert. Der Kopfschuss und mehrere Tage unter der Erde hatten Leichen so entstellt, dass die nicht mehr identifiziert werden konnten. Persönliche Gegenstände und Papiere, wie etwa Erkennungsmarken, wurden ihnen abgenommen. Bei einigen Deutschen erkannten die Familienangehörige ihre Verwandten. Die Franzosen forderten schon kurz nach dem Krieg, im Namen der Verwandten, Erklärungen über die Opfer, die nicht aus dem Gefängnis zurückgekehrten sind.

Die Suche nach sowjetischen Opfer wurde aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt. Jetzt haben wir 96 Namen gefunden und bemühen uns um die Errichtung eines Denkmals für die erschossenen Kriegsgefangenen mit einer Inschrift in russischer Sprache. – Es ist wichtig die Verwandten zu finden, um zu sehen was in privaten Sammlungen der Soldaten noch vorhanden ist, von denen, die auf der Liste stehen. Jemand muss doch für sie aufstehen, um an sie zu erinnern,“ erzählt der Historiker aus Deutschland.
Im öffentlich zugänglichen Archiv OBD-Memorial haben wir zwei Dokumente gefunden. Im ersten ist Anwar im Jahr 1916 geboren, in zweitem 1920, aber den Geburtsort ist identisch – das Dorf Atenino, Gebiet Tenguschino, Mordowia, ( im Nordwesten Russlands, Anm. d.Ü.). Er wurde schon vor dem Krieg im Naukatser Gebiet zur Armee eingezogen. Wo er vor seiner Einberufung zur Roten Armee gearbeitet und gewohnt hat, ist noch nicht bekannt. Aber nach dem Krieg hat sein Vater – Hasan Iljasowitsch Isaew – eine Suchaktion beantragt, leider ohne Erfolg. Diese Anfrage kam aus der Stadt Fergana, Schtschors Strasse 10, wo der Vater wohnte.
Möglich ist auch, dass Anwars Ehefrau und seine Kinder oder seine Geschwister und weitere Verwandte im Dorf Nookat wohnten.
Für seine Nachkommen ist es sehr wichtig zu wissen, dass Anwar Hasanowitsch Isaew ein guter Soldat blieb. Die Lager und die verschiedenen Arbeitskommando hatten seinen Stolz nicht gebrochen. Er wurde seit November 1941 als „Gefallener“ geführt, aber tatsächlich hat er weiter in der Kriegsgefangenschaft Widerstand gegen die Nazis geleistet. Die Verhaftung durch die Gestapowar sicherlich das Ergebnis seines Widerstands.

Zur Information:
Die Gestapo – -Geheime Staatspolizei – wurde in den 1930ziger Jahren zur Bekämpfung von Andersdenkenden gegründet. Haftgründe waren kriminelle Handlungen, Diebstahl, Plünderung, fehlende Papiere und Erkennungsmarken bei Kontrollen, politische Äußerungen und Aufrufe zum Widerstand, das Singen politischer Lieder und das Abhöre von „feindlichen“ Radiosendern. Verhaftet wurden Deutsche und Ausländer.
Ironischerweise war eines der wenigen nach den Bombenangriffen der Alliierten „unbeschädigten“ Gebäude in Dortmund das der Gestapo. Nach dem Krieg wurden fast alle Gestapo-Leute gefunden. 1957 gab es einen Gerichtsprozess. Von 64 „Verbrechern“ wurden nur 17 verurteilt. Sie wurden aber innerhalb von 2 Jahren amnestiert. Allgemein bekannt ist , dass diese Nazis nach der Exekution von 300 Gefangenen in Dortmund nach Hemer (in ein anderes Stalag) geflohen sind. Dort haben sie weitere 90 Menschen erschossen. Übrigens …der Bürgermeister der Stadt Dortmund von 1976 bis 1993 war…Offizier der SS. Trotz den journalistischen Entdeckung 1990 hat er noch einige Jahre weiter gearbeitet.

Der Artikel ist am 22.4.2020 auf der Website Wetschnij Bischkek erschienen https://www.vb.kg/doc/387396_anvar_isaev_iz_nookata_ybit_v_gestapo_dortmynda._rodnyh_prosiat_otkliknytsia.html

Autorin Swetlana Laptewa, Übersetzung Dmitriy Kostovarov

Wichtige Gedenkarbeit leisten

Der Verein „Ar.kod.M e. V.“, geleitet von Dmitriy Kostovarov aus Dortmund, sorgt dafür, dass die „Unbekannten“ ihre Namen zurück erhalten

Erwähnenswert ist, dass es in Deutschland Menschen und Organisationen gibt, die sich nicht mit der Organisation der Gedenkfeiertage zum 9. Mai beschäftigen, sondern ausschließlich mit der Suche und Wiederherstellung der Namen von toten und vermissten sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden. Eine dieser Organisationen ist „Ar.kod.M e. V.“ (Allrussisches Kriegsopferdaten-Memorial), die von dem Amateurhistoriker Dmitriy Kostovarov im Jahr 2012 in Dortmund gegründet wurde. Zurzeit ist das einer der wenigen Vereinen, die in Nordrhein-Westfalen eine solche Gedenkarbeit sehr aktiv leisten.
Am 27. Januar 2019 erklärte sich Herr Kostovarov freundlicherweise bereit, uns ein Interview zu geben, in dem er die Geschichte seiner Organisation beschrieb und ausführlich über seine Arbeitsergebnisse und Projekte berichtete. Nach seinen Worten, hat er Anfang der 2000er Jahre das Interesse für die Erforschung von sowjetischen Grabstätte entdeckt. Er war überrascht, dass auf den örtlichen Dortmunder Friedhöfen, auf den für Sowjetbürger angelegten Grabsteinen, keine detaillierten Informationen über die Toten vorliegen. Bestenfalls wurde die Gesamtzahl der Beerdigten angegeben und auf den wenigen Grabsteinen war oft nur die kurze Inschrift  „Unbekannt“ zusehen. Aber jeder dieser Menschen hatte seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal und vielleicht auch Verwandte und Geliebte, für die diese Person auf ewig „vermisst“ geblieben ist.
Der Wunsch, den Menschen bei der Suche nach ihren Verwandten zu helfen und die Namen der verstorbenen Sowjetbürger zu verewigen wurde zum Hauptgrund für die Gründung des Vereines. „Ar.kod.M e. V.“ stellt Namenslisten mit Verstorbenen und Orten, an denen sie begraben sind, zur Verfügung und unterstützt die Hinterbliebenen, die nach Spuren ihrer Angehörigen in Deutschland suchen. Bei Bedarf begleitet er auch Familien aus Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion bei den Besuchen der Grabstätten ihrer Vorfahren, falls solche existieren.

Erste Erfolge auf dem Katholischen Friedhof in Derne

„Auf dem katholischen Friedhof in Derne gibt es das Feld 26, auf dem Ausländer begraben sind. Jetzt ist es schwer vorstellbar, aber vorher gab es hier ein Feld von 140 Metern Länge und jetzt sieht man nur noch einen schmalen Landstreifen. Ein Teil dieses Feldes wurde bereits rekultiviert – heute gehört es zum deutschen Friedhof. Laut Gesetz gibt es für Kriegsopfer-Bestattungen keine Verjährungsfrist, aber die meisten der Beerdigten hier sind schon lange in die Vergessenheit geraten, sie werden von niemandem gesucht (neben den Sowjetbürger sind hier Italiener, Franzosen und Belgier begraben)“, sagt Kostovarov.
In den 1970er Jahren wurde am Rande des Friedhofs eine kleine Säule mit der Inschrift „Hier ruhen 11 unbekannte sowjetische Bürger“ aufgestellt. „Ich habe mich gefragt, woher diese Informationen stammen. Ich habe angefangen, die Einheimischen zu befragen, aber niemand konnte meine Fragen beantworten. Deshalb habe ich mich entschlossen, selbst nach Namen zu suchen “, erinnert sich der Forscher, „Nachdem ich mich an das Stadtarchiv Dortmund und das russischsprachige elektronische Archiv OBD-Memorial gewandt hatte, ist es mir gelungen, Dokumente für 12 Personen zu finden. Es geht um 12 sowjetische Kriegsgefangenen, die 1943 in Derne starben. Die Todesursachen waren unterschiedlich: Einige starben an Hunger und Krankheiten (vor allem Tuberkulose), einige starben nach einem Unfall in der Mine und der Rest – eines gewaltsamen Todes (entweder „Genickbruch“ (das bedeutete Erhängen) oder sie wurden auf der Flucht erschossen). Die weiteren Recherchen in den Archiven der Krankenhäuser und der katholischen Gemeinde St. Aloisius bestätigten, dass auf diesem Friedhof Bestattungen von Sowjetbürger bis 1945 stattfanden. So wurden mit der Hilfe des katholischen Pfarrers in Derne noch neun „Russen“ gefunden, darunter vier Kinder. Jetzt gibt es an diesem Ort zwei neue Grabsäulen, die nach ihrer Aufstellung durch den Bezirksbürgermeister von Scharnhorst eingeweiht wurden“.

Friedhof Derne

Registrierung der Grabstätte und Errichtung der Gedenktafel

Ein wichtiger Schritt bei der Verewigung von Namen der Begrabenen ist die Registrierung von Grabstätten. Dmitriy Kostovarov berichtet, dass es in Nordrhein-Westfalen etwa 500 sowjetische Grabstätten gibt, von denen nur 258 registriert wurden. „Aus einigen Quellen habe ich Information bekommen, dass es hier tatsächlich mehr als 1000 gibt. Aber selbst wenn diese Zahlen übertrieben sind, bleibt eine sehr große Anzahl nicht registrierter Grabstätten übrig. Wir müssen die Anzahl der „Unbekannten“ schrittweise reduzieren“, sagt er. Für den Zeitraum 2014-2016 gelang es Dmitriy sowjetische Bestattungen auf 23 Friedhöfen in Dortmund zu registrieren.
Dmitriy Kostovarov erklärt: „Solche Ruhestätte müssen von der Stadt registriert werden, d.h. sie müssen eine Registrierungskarte haben. Diese Karte muss von drei Vertretern bestätigt werden: das sind die Kommune, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation vertreten durch die Russische Botschaft in Berlin. Meine Namenslisten müssen zunächst von den Mitarbeitern der speziellen Abteilung der Botschaft, bzw. des Büros für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit überprüft werden. Das heißt, drei Instanzen müssen die Ergebnisse meiner Arbeit bestätigen.
Die unmittelbare Errichtung des Denkmals ist die Aufgabe der lokalen Verwaltung. Nach dem Gesetz werden solche Fragen heute lokal entschieden. Die Kommune trägt selbst keine Kosten für die Errichtung der Grabstätte oder Gedenktafel – normalerweise kommt der Bund (oder die Bundesebene) für die Ausgaben auf“.

Archivarbeit: Methoden und Herausforderungen

Die Wiederherstellung der Namen von Sowjetbürgern in Nordrhein-Westfalen weist eine Reihe von Merkmalen auf. „Im Westen Deutschlands sieht die Situation bei der Suche nach den Namen von Sowjetbürgern aus objektiven historischen Gründen anders aus“, behauptet Kostovarov, „Wenn in der DDR diese Arbeit wegen militärischer Verluste der Sowjetunion sogar unterstützt wurde, war die Erinnerungspolitik in Bundesrepublik Deutschland anders: Lange Zeit war niemand daran interessiert, die Erinnerung an den Krieg zu überdenken“.
Er erklärt: „Nach dem Krieg haben die Verbündeten in den besetzten Gebieten selbst nicht nach den Toten gesucht, sondern Anfragen an die deutsche Verwaltung gerichtet. Sie baten darum, ihnen Listen mit den Namen aller Personen zu schicken, die Zwangsarbeit leisteten und in Deutschland starben. Natürlich wurden die deutschen Beamten von niemandem überprüft – das war auch unrealistisch. Das heißt, die Berechnung der Todesfälle lag im Ermessen der örtlichen Behörden, die entweder versuchten, Massenverbrechen zu verbergen, oder wegen der Dringlichkeit der Anfrage diese Aufgabe einfach vernachlässigt haben“.
„Einen Namen zu finden ist keine leichte Aufgabe, weil sie oft falsch aufgeschrieben wurden,“ erzählt Kostovarov, „Die Deutschen, die das kyrillische Alphabet nicht kannten, schrieben die Namen nach Gehör auf, d.h. eine Person kann in der Lagerdokumentation unter einem Namen aufgelistet und gleichzeitig unter einem völlig anderen Namen begraben sein. Manchmal kann man nur durch einen Vergleich der Lebensjahre und der ersten Buchstaben des Namens verstehen, um wen es geht. Dies ist eine mühsame Arbeit, da man Dokumente aus verschiedenen Quellen sorgfältig vergleichen und lange Namenslisten durchsehen muss.
Die notwendigen Dokumente findet man in verschiedenen Quellen. Wenn es sich beispielsweise um einen toten Kriegsgefangenen handelt, könnte er bei drei offiziellen Stellen registriert worden sein. Im Arbeitskommando, das einem bestimmten Unternehmen zugeordnet war, im Durchgangslager und in den Archiven der Kirchengemeinden , die Aufzeichnungen über die Bestatteten führten (für katholische und evangelischen Friedhöfe sind das beispielsweise die sogenannten Kirchenbücher). Das heißt, wenn die Lagerdokumente vernichtet wurden, bleiben zwei weitere Quellen. Eine andere Möglichkeit sind die Dokumente von Krankenhäusern und Krankenkassen – die Unternehmen haben dort ihre Mitarbeiter angemeldet, manchmal auch die Zwangsarbeiter.  Diese Dokumente sind aber schwer zu finden, da sie häufig vernichtet wurden oder verloren gegangen sind“.
„Unser größter Vorteil ist, dass die meisten Archive für Benutzer frei zugänglich sind“, sagt Kostovarov, „In Russland ist das zuallererst die elektronische Datenbank OBD-Memorial, die Informationen über die sowjetischen Militärangehörigen und Zivilisten enthält, die während des Zweiten Weltkrieges sowie in der Nachkriegszeit gestorben und vermisst sind. Jedoch sind diese Informationen oft unvollständig, da beispielsweise die Orte der Bestattung der Soldaten nicht angegeben wurden. Hier können die deutschen Stadtarchive und Archive der Kirchengemeinden behilflich sein, dort findet man detaillierte Pläne für Friedhöfe, Listen von Beerdigten; Dokumente von Krankenkassen und Krankenhäusern sieht man aber seltener. Z. B. besitzt das Dortmunder Stadtarchiv Namenslisten der in Deutschland verstorbenen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die von der Friedhofsverwaltung nach Aufforderung der Britischen Kommission in den Jahren 1946 bis 1951 angefertigt wurden. Die Lagerdokumente kann man wiederum bei OBD-Memorial oder in den Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, (Arolsen Archive – Internationales Zentrum über die Verfolgung im Nationalsozialismus) in Bad Arolsen finden (z. B. die sogenannten „weißen Blätter“)“.


Zivile Ostarbeiter oder Kriegsgefangene?

Manchmal ist es nicht so einfach festzustellen, ob der in Deutschland begrabene Sowjetbürger ein Kriegsgefangener oder ein Zivilist war. Dmitriy Kostovarov glaubt, dass dieser Sachverhalt manchmal falsch dargestellt wird, denn es wird oft davon ausgegangen, dass die meisten Ostarbeiter Zivilisten waren, dass viele dieser Menschen freiwillig für den deutschen Staat gearbeitet haben und darüber hinaus das Recht auf ein Gehalt hatten sowie auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen.
In den Archiven kann man wirklich Dokumente mit dem Titel „Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft“ finden, aber seiner Meinung nach bedeutet das nur, dass „die Person bedroht wurde und weiter unter Zwang gearbeitet hat, nur mit einem anderen Status. In der Realität hat sich sein schwieriges Schicksal nicht geändert“.

Aktueller Gedenkprojekt auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg

Ein weiteres Großprojekt von Dmitriy Kostovarov ist die Einrichtung von Stelen mit Namen der sowjetischen Bürger auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund, der Teil des dortigen Hauptfriedhofs ist. Hier sind Tausende von sowjetischen Zwangsarbeitern begraben, die während des Krieges in Dortmunder Betrieben, u.a. für die Dortmunder-Union-Brückenbau AG, die Stahlwerke der Hoesch AG und auf Kohlezechen Arbeit leisteten.
Kostovarov erzählt: „Nach Vereinbarung mit der UdSSR sollten die Alliierten den Vertretern der sowjetischen Militärmission Informationen über sowjetische Bestattungen in Westdeutschland zur Verfügung stellen, und 1946 gab die britische Militärmission schließlich die Zahl der Todesopfer an: Es waren 4985 Menschen. Aber in Moskau fand ich im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation ein Dokument, dass auf diesem Dortmunder Friedhof 17.000 Sowjetbürger beerdigt sein sollen. Dieses Dokument wurde von der sowjetischen Militärmission zusammengestellt. Und es scheint mir glaubwürdig zu sein“.
Woher kam eine so große Anzahl? Er erklärt: „Sie gingen bei der  Berechnung von der gesamten Fläche der Gräberfelder aus und berechneten die Anzahl der Bestattungen auf einfache mathematische Weise. Zum Beispiel beträgt auf dem Friedhof in Stukenbrock die Länge einer Grabreihe 112 Meter, darauf gibt es 15 bis 25 Gräber. In einem Grab wurden 10 bis 15 Personen beerdigt. Oft wurden die Menschen aber am Ende des Krieges so begraben, dass die alliierten Streitkräfte, als sie 1945 in Stukenbrock eintrafen, Arme und Beine aus den Gräbern herausragen sahen. Das heißt, in jedem Grab wurden mehr Menschen begraben, als vorgesehen war. Daher ging die sowjetische Kommission von der maximalen Bestattungsdichte aus. Sie berechnete, wie viele Menschen in jedem einzelnen Grab  maximal begraben werden konnte. Die erste Zahl war 65.000, aber das ist natürlich auch überschätzt, da die Berechnungsmethode sehr vereinfacht ist“. Dmitriy Kostovarov gibt zu, dass 17.000 Menschen wahrscheinlich auch zu hoch geschätzt sind für den Dortmunder Hauptfriedhof, ist jedoch fest davon überzeugt, dass auf diesem Friedhof mindestens 10.000 Sowjetbürger beerdigt sind.
Kann man diese Theorie widerlegen? „Man kann z. B. stichprobenartige Grabungen durchführen und die Dichte der Bestattungen untersuchen“, sagt Kostovarov, „Ich habe mit älteren Einheimischen gesprochen und sie behaupteten, sie haben am Ende des Krieges hier einen riesigen Graben gesehen, in den man hunderte Toten geworfen hat. Das sind Massengräber, deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass in jedem Grab mehr Menschen liegen, als wir wissen“.
Er gibt ein Beispiel: „In den Archiven gibt es Friedhofspläne. Zum Beispiel gibt es 135 Einzelgräber auf dem 8. Feld, und gemäß den Listen sollten hier 875 Menschen begraben worden sein. Wie kann man 135 Gräber mit 875 Menschen füllen? Und es gibt noch viele ähnliche Unstimmigkeiten“.
Dmitriy Kostovarov möchte, dass die Namen hier gestorbener sowjetischer Zwangsarbeiter in Granit gemeißelt werden. Doch wurde dieses von der Bezirksregierung Arnsberg, der Russischen Botschaft und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahre 2015 unterschriebene gemeinsame Projekt noch nicht angefangen.
Kostovarov erzählt: „Der Bund hat 750.000 € für das Projekt bereitgestellt, 58 Stelen sollten auf 11 Feldern errichtet werden, mit kyrillischen Inschriften auf beiden Seiten“. Zuerst soll aber ein Büro beauftragt werden, das die Kostenschätzung verifiziert – erst danach kann die Bezirksregierung Arnsberg das notwendige Geld bereitstellen. Der Backeler Bezirksbürgermeister Karl-Heinz Czierpka (SPD) sagt, der Baubeginn sei für 2021 vorgesehen. „Das Problem ist, dass wenn das vom Bund bereitgestellte Geld nicht möglichst bald für das Projekt ausgegeben wird, das ganze Vorhaben gestoppt  werden könnte und dann müsse man von vorne anfangen“, beschwert sich Kostovarov.

Schülerprojekt: die Errichtung von Tontafeln – ist dieses Projetkt ausreichend?

Auf der Rasenfläche des Friedhofs sind viele Holzstelen mit Tontafeln zu sehen, auf denen die Namen und Lebensdaten geschrieben sind. Das ist das Ergebnis eines Gedenkprojektes der Europaschule Dortmund, das mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. durchgeführt wurde. Auf diesen Tontafeln sind rund 650 sowjetische Bürger verewigt. Die Namenslisten haben die Schüler von einer Bildungsreferentin des Volkbundes Deutschen Kriegsgräberfürsorge e. V. bekommen.
Dmitriy Kostovarov, der selbst eine Registrierungskarte mit 4466 Namen erstellte, sieht in diesem  Projekt eine würdige Initiative – so lernt die junge Generation, sich mit der  Vergangenheit zu beschäftigen. Gleichzeitig findet er schade, dass die Namen nur in lateinischen Buchstaben geschrieben sind, viele davon fehlerhaft. „Ich habe ihnen ein gemeinsames Projekt mit der russischen Sonntagsschule angeboten, damit russische Schüler die richtige Schreibweise der Namen prüfen, aber leider keine Antwort erhalten“, sagt er, „Die Kinder übertragen die Namen oft aus den Quellen, ohne zu bedenken, dass diese fehlerhaft sind und sie deshalb die Namen falsch wiedergeben. Sie wissen nicht, woher dieser Mensch stammt, was er erlebt hat. Für sie mag diese Aufgabe interessant sein, aber für diejenigen, die historische Authentizität schätzen, ist das nicht praktikabel. Schließlich müssen auch die Anliegen der Hinterbliebenen aus der ehemaligen Sowjetunion berücksichtigt werden. “.
Auf einer der Säulen sind inzwischen ein Paar Tontafeln vom Unwetter beschädigt und verdreht, die hölzerne Säule ist ebenfalls beschädigt… Eine Erinnerung an die Kurzlebigkeit des menschlichen Gedächtnisses.

Die Tontafeln auf den Stelen wurden von Schüler*innen der Europaschule erstellt

Zusammenarbeit mit der Russischen Botschaft

Bei seiner Tätigkeit ist für Dmitriy Kostovarov die Unterstützung von staatlichen Stellen selbstverständlich sehr wichtig. In erster Linie ist hier die Russische Botschaft in Berlin zu nennen. Dort gibt es ein Büro für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit (zurzeit geleitet von Olga Titkova), dessen Ziel auch die Pflege der russischen, bzw. sowjetischen Grabstätten und die Wiederherstellung der Namen der unbekannten Soldaten und Zivilisten ist.
Kostovarov erklärt: „Sie müssen offiziell die Registrierung von Bestattungen in ganz Deutschland durchführen. Ehrenamtliche schicken ihnen Namenslisten, sie überprüfen diese und erstellen eine Registrierungskarte. Wenn die Botschaft das Dokument beglaubigt, unterschreiben die Vertreter des Volkbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Oberbürgermeister bzw. der Landrat in der jeweiligen Kommune das Dokument“.
Laut dem Forscher wird diese Arbeit jedoch, aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten und Personalverschiebungen, seit 2016 nicht mehr so aktiv durchgeführt. Er sieht den Hauptgrund für diese Veränderungen darin, dass in der Botschaft verschiedene Personen arbeiten und für einige die Organisation von Feierlichkeiten z. B. zum 9. Mai eine größere Priorität hat.
Aber Dmitriy Kostovarov ist optimistisch. „Wenn es nicht möglich ist, die Bestattungen zu registrieren, kann man die Namen trotzdem z. B. auf der Webseite unserer Organisation veröffentlichen, denn unsere Hauptaufgabe ist zu ermöglichen, dass die Menschen ihre Verwandten finden können“, schließt er.

Besonderheiten der Erinnerungskultur in Deutschland

„Die Erinnerung an die sowjetischen Zwangsarbeiter in Deutschland fehlt oft im gesamten Diskurs über die Kriegsopfer“, sagt Dmitriy Kostovarov, „In Deutschland wird versucht, von der schrecklichen Vergangenheit zu abstrahieren, und jede neue Information über die gefundenen Kriegsopfer kann als Vorwurf wahrgenommen werden. Es gibt traditionelle Gedenkorte, die seit langem als Symbol für NS-Verbrechen gelten, zum Beispiel Auschwitz. Auch die Tatsache, dass Auschwitz sich außerhalb Deutschlands befindet, spielt eine Rolle. Denn zuzugeben, dass eine große Anzahl von Opfern aus dieser Zeit noch nicht identifiziert wurde und auf den zahlreichen Friedhöfen moderner deutscher Städte begraben ist, fällt Vielen schwer. Aus menschlicher Sicht kann ich das gut verstehen, aber die Folge ist, dass viele Opfer des Nationalsozialismus vergessen bleiben. In der deutschen Gesellschaft gibt es natürlich keinen Widerstand gegen meine Arbeit, doch die Unterstützung verschiedener Menschen und Organisationen zu gewinnen, ist immer eine schwierige Aufgabe“.
Es gibt jedoch unter den Deutschen Menschen, die nicht gleichgültig sind und bereit sind zu helfen. Vor kurzem entwickelte Hannelore Tölke, die für die Partei DIE LINKE in der Bezirksvertretung in Dortmund-Huckarde sitzt, Interesse an Kostovarovs Arbeit. Sie trat sogar dem Verein bei. Sie interessiert sich auch für Themen, die in der Politik und in der Gesellschaft oft verschwiegen werden. „Für unseren Verein ist das ein großer Gewinn, denn wir brauchen Leute, die sich in erster Linie für die historische Authentizität interessieren und dafür arbeiten“, sagt Kostovarov.

Aufgaben für die Zukunft

Trotz der Schwierigkeiten ist Dmitriy Kostovarov voller Optimismus und möchte auf der politischen Ebene seine Tätigkeit weiterführen. Er möchte eine Standardisierung der Bestattungsregistrierung sowie eine Standardisierung der Form von Denkmälern erreichen.
Der Forscher erklärt: „Ich möchte, dass die russischen und deutschen Behörden zu dem Verständnis kommen, dass eine einheitliche Form der Bestattungsregistrierung eingeführt werden muss, das für alle Bundesländer obligatorisch wird. Die Städte müssen sich aktiv daran beteiligen, denn es gibt sogar ein Gesetz aus dem Jahr 1952 über die dauerhafte Erhaltung von Kriegsgräbern, und eine deutsch-russische Vereinbarung von 1992. Diese Vereinbarung besagt, dass Deutschland verpflichtet ist, Denkmäler für die sowjetischen Verstorbenen zu erhalten und weitere Namenssuchen durchzuführen. Wir brauchen auch eine einheitliche Form von Denkmälern, auf denen die Namen in kyrillischen und lateinischen Buchstaben geschrieben sind. Diese Maßnahmen sind jedoch nur in enger Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern möglich“.

Mahnmal auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund

Maria Timofeeva

Dieser Text wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Bonner Leerstellen: Unbekannte Orte der NS-Gewalt“ der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Bonn vorbereitet

Gedenken zum 9. Mai – Tag des Sieges und der Befreiung vom Nationalsozialismus

Der sowjetische Schriftsteller und Journalist Konstantin Simonow als Berichterstatter am 8. Mai bei der Unterzeichnung der Kapitulation dabei. In seinen Lebenserinnerungen, in denen er über seine Begegnungen mit dem sowjetischen Marschall Goergi Shukow schreibt, berichtet er über dieses denkwürdige Ereignis:

„Sich in die Seele eines anderen Menschen zu versetzen ist nicht leicht, aber man kann sich denken, daß Shukow sich in diesen Stunden nicht nur als Befehlshaber der Front fühlte, die Berlin eingenommen hatte oder als Stellvertreter des Oberkommandierenden, sondern als der Mensch, welcher in diesem Saale jene Armee und jenes Volk vertrat, das mehr als alle anderen getan hatte. Und als Vertreter dieser Armee und dieses Volkes kannte er besser als jeder andere die Ausmaße des Vollbrachten und die durchgestandenen Mühen. In seinem Verhalten gab es weder Hochmut noch Herablassung. Für sein Volk war der soeben beendete Krieg ein Kampf auf Leben und Tod gewesen, und er gab sich mit einer strengen Einfachheit, die unter solchen Umständen dem Sieger ansteht. Auch wenn sich in der Folge unter den besiegten deutschen Generälen und den sich mit uns den Sieg teilenden Verbündeten Leute befanden, die im nachhinein das Ausmaß unseres Beitrages zu diesem Sieg bestritten, so herrschte doch damals, im Mai 1945, in Hinsicht darauf eine bemerkenswerte Einhelligkeit der Meinungen.
Daran ließ nicht einmal das Verhalten des Feldmarschalls Keitel Zweifel aufkommen, der die Kapitulation unterzeichnete. Das muß man ihm lassen: Er führte sich mit der gebührenden Würde auf. Doch gab es daneben in seinem Verhalten auch etwas anderes, Unerwartetes. Man hätte meinen können, daß weder seine politischen Ansichten noch seine Gedanken an die eigene Zukunft ihn drängten, sich Shukow gegenüber mit größerer Aufmerksamkeit zu verhalten als zu den anderen im Saale sitzenden Vertretern des Oberkommandos der Verbündeten. Die Logik des verlorenen Krieges erwies sich jedoch, entgegen Keitels eigenem Willen, als stärker. Als ich ihn während der Prozedur der Kapitulation beobachtete, bemerkte ich mehrmals, daß er Shukow mit unverwandter Aufmerksamkeit beobachtete, gerade ihn und nur ihn. Das war die bittere und tragische Neugier des Besiegten gegenüber jener Kraft, die Shukow hier verkörperte, gegenüber der am meisten gehaßten Kraft, die vorrangig den Ausgang des Krieges entschieden hatte.
Seit ich nun Artikel und Bücher lese, die im nachhinein das Ausmaß unseres Beitrages am Sieg über das faschistische Deutschland in Zweifel ziehen, muß ich immer wieder an Karlshorst zurückdenken, an die Kapitulation und das Gesicht von Feldmarschall Keitel, der mit einer fast unheimlichen Neugier auf Shukow blickte.“
Quelle: Konstantin Simonow, Aus der Sicht meiner Generation, Verlag Volk und Welt, Berlin 1990, Seite 322 bis 324

Kranzniederlegung durch Russisches Generalkonsulat auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg

Anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hat das Russische Generalkonsulat, vertreten durch den stellv. Generalkonsul Wladimir Kuzmin, auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund ein Blumengebinde niedergelegt. In einer kurzen Ansprache betonte er wie wichtig dem Russischen Generalkonsulat gerade an diesem Tag der Besuch dieses Gedenkortes in Dortmund ist.

Wir können so nicht wegfahren

Am 2. Mai 1945, genau einen Monat nach der Befreiung des Stalag 326 (VI K) Senne, weihten die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof, der ganz in Nähe des Lagers war, einen Obelisken ein. Dieser Obelisk trägt in russischer, englischer und deutscher Sprache die Inschrift:


HIER RUHEN DIE IN DER FASCHISTISCHEN GEFANGENSCHAFT ZU TODE GEQUÄLTEN 65000 RUSSISCHEN SOLDATEN – RUHET IN FRIEDEN KAMERADEN! 1941-1945

Am Ostermontag, dem 2. April 1945, übergab die Wehrmacht das Stalag 326 (VI K) in der Senne kampflos an US-amerikanischen Truppen. Bereits seit Ende März war die Lagerleitung  handlungsunfähig. Der sowjetische Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko, der sich als Kriegsgefangener im Stalag befand, erinnerte sich: „31. März. Das Lager befand sich faktisch in den Händen der Kriegsgefangenen. … Die Deutschen zeigten sich nicht mehr im Lager und die Mitarbeiter des sowjetischen Stabes bewegten sich frei auf dem Lagerterritorium. In jeder Baracke führten sie Gespräche über die entstandene Situation, über die bevorstehende Befreiung und die Notwendigkeit, zu Kämpfen bereit zu sein.“ (Quelle: Das Stammlager 326 (VI K) Senne 1941-1945, Sowjetische Kriegsgefangene als Opfer des Nationalsozialistischen Weltanschauungskrieges, K. Hüser, R.Otto, Verlag Regionalgeschichte, Bielefeld 1992, Seite 172)


Fast 5 Jahre war das Stalag 326 (VI K) in der Senne ein Ort des Leidens und Sterbens für tausende Kriegsgefangene. Im Mai 1941 begann die Wehrmacht dieses Lager in der Senne zu errichten. Für wen es gebaut wurde, zeigte sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Anfang Juli kamen die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen hier an. Auf dem Lagergelände befanden sich zu dieser Zeit  weder Unterkünfte noch sanitäre Anlagen für die Gefangenen. Mit minimalen Lebensmittelrationen waren sie sich selbst überlassen. Viele starben an Vernachlässigung, Hunger, Krankheiten und fehlender medizinischer Versorgung. Die Baracken und Einrichtungen des Lagers wurden erst später von den Gefangenen errichtet. Ab November 1942 erhielt das Stalag 326 (VI K) auf Drängen der Reichsvereinigung Kohle u.a. die Funktion eines zentralen Aufnahmelagers für sowjetische Kriegsgefangene, die im Ruhrbergbau eingesetzt werden sollten. War ein Kriegsgefangener für den Bergbau einsatzfähig, wurde er nach der Registrierung, Entlausung und ärztlichen Untersuchung in das Stalag VI A nach Hemer versandt und von dort auf die Zechen im Ruhrgebiet verteilt.  Mehr als 300.000 sowjetische Kriegsgefangene durchliefen das Stalag 326 (VI K).
In einem in der Zeitung „Roter Stern“ 1958 veröffentlichten Artikel erinnert sich Generalsmajor Viktor Fedorowitsch Choperskij, der im April 1945 als sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 war. “Im April 1945 öffneten sich die Tore des Lagers Freiheit, Freiheit, Russen, Polen, Jugoslawen Franzosen umarmten sich, küssten sich, weinten… Aber nicht allen gelang es, den Tag der “zweiten Geburt“ zu erleben… Dem Blick öffnete sich ein weites Feld mit den Hügeln der unbekannten Gräber. Hier ruht die Bevölkerung einer ganzen Stadt.…“ Es entstand der Wunsch, an die tausenden im Lager umgekommen zu erinnern. „Wir können nicht so wegfahren beschlossen die ehemaligen Gefangenen. Wir errichten den Kameraden ein Denkmal. Möge es ewig daran erinnern, was Faschismus ist. Tage und Nächte arbeitete der Soldat und Künstler Alexander Mordan, er schuf eine Skizze nach der anderen auf der Suche nach einer steinernen Verkörperung der Gefühle der tiefen Trauer und des Glaubens an die Zukunft. Ihnen half Kapitän Smirnov, ein Leningrader Ingenieur für Wärmetechnik, der die Arbeitszeichnungen machte.

Die drei Architekten vor ihrem Denkmal. Von links: Smirnow, Choperskij, Mordan
Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Broschüre, Hrsg: Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage

Sie beschlossen, ein fast 10 m hohes Denkmal zu errichten. Zum Ausheben der Grube kamen zuerst 12 Freiwillige und nach einigen Tagen arbeiteten schon etwa 200 Menschen. Der Wärmetechniker N.P. Smirnov wurde technischer Bauleiter.
Die Ausschachter und Verputzer, die das Denkmal mit Marmor verkleideten, Betonierer, Schlosser und Steinmetze arbeiteten so schnell, dass es schien, als ob auf dem Platz unaufhörlich ein menschliches Fließband arbeitete. Alle 10 Minuten wechselten die Schichten – eine größere Anstrengung hielt der Organismus nicht aus. An ihre Stelle traten andere. Und so vom frühen  Morgen bis zum späten Abend. In Rekordzeit formte die Schlosserbrigade von Pavel Blozkij aus Schienen der ehemaligen Lagerschmalsparbahn ein metallenes Skelett für das Denkmal. Zum ersten Mal in seiner Praxis begann Ingenieur Viktor Choperskij, der Leiter des Baues wurde, die Arbeit ohne mechanische Hilfsmittel. Ständig war er im Einsatz. Gemeinsam mit einigen Kameraden fuhr er in einem alten Geländewagen „villis“ durch die ausgebombten Städte und suchte nach Marmor, Granit, bunten Kacheln und Fliesen. Er war sowohl ein diplomatischer Leiter wie ein technischer Leiter und sogar Spediteur. Der Bau erhielt störungsfrei alles Notwendige. Und dann war das Denkmal fertig. Tag und Nacht stand eine Ehrenwache….Die ehemaligen Gefangenen richteten den ganzen Friedhof her. Sie machten eine monumentale Umzäunung, einen Platz für die Trauerzeremonien, stellten marmorne Tafeln auf die Gräber..“ Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Hrsg. Arbeitskreis Blumen  für Stukenbrock e.V., 4. Auflage

Einweihung des Obelisken am 2. Mai 1945
Quelle: https://blumen-fuer-stukenbrock.eu/friedhof.php

Der Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko erinnert sich: „Am 2. Mai wurde das Denkmal nach einer Trauerfeier enthüllt. Den Blicken der Anwesenden bot sich ein 9,5 Meter hoher heller Obelisk, verkleidet mit Marmor, Granit und Keramikplatten. Das Denkmal schmückte eine rote Fahne aus Kunststoff (mit Hammer und Sichel). Bei der Enthüllung des Denkmals waren zugegen: 9000 befreite Häftlinge des Lagers 326; viele Sowjetbürger aus den umliegenden Lagern; polnische und jugoslawische Soldaten, die sich im benachbarten Lager befanden; amerikanische Soldaten und deutsche Einwohner von Stukenbrock.“ Quelle: Das Lager 326, Augenzeugenberichte, Fotos, Dokumente, Hrsg. Arbeitskreis Blumen  für Stukenbrock e.V., Porta Westfalica 1988, Seite 51.


In der Nachkriegszeit wurde die Rote Fahne vom Obelisken entfernt und durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt. Alle Bemühungen, das ursprüngliche Aussehen des Obelisken wiederherzustellen, blieben bis heute erfolglos.

Und ein weiteres Denkmal wurde auf dem benachbarten Gemeindefriedhof errichtet. Im Jahr 1941 erschoss die Wehrmacht, der das Stalag 326 (VI K) Senne unterstand und die es bewachte, 42 sowjetische Offiziere wegen Arbeitsverweigerung. Sie wurden auf dem nahen Friedhof der St.-Achatius Gemeinde begraben. Nach der Befreiung errichteten ehemaligen Gefangenen des Stalags dort ein Denkmal für die Ermordeten. Es trug in russischer, deutscher und englischer Sprache die Inschrift.

„Hier ruhen russische Soldaten – die ersten Opfer der faschistischen Gefangenschaft 1941 – 1945“

Das kleine Denkmal auf dem Gemeindefriedhof
Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Broschüre, Hrsg: Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage

Das Denkmal wurde, mit Genehmigung des damaligen nordrhein-westfälischen Innenministers, in der Nachkriegszeit gesprengt. Der Verbleib der sterblichen Überresten der 42 ermordeten Offiziere ließ sich bis heute nicht klären und ist ungewiss. Die sterblichen Überreste einiger Ermordeten sollen umgebettet worden sein und erlebten eine wahre Odyssee. Zunächst sollen 21 Gebeine nach Bielefeld gebracht worden sein von dort zum Friedhof des Lagers nach Stukenbrock, wo sie beigesetzt worden sein sollen. Heute steht auf dem Platz des kleinen Denkmals ein Mahnmal für die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Gedenken in der Bittermark – Karfreitag 2020

Ein tragisches Kapitel in der Geschichte der Stadt Dortmund sind die Ereignisse in der Bittermark im Frühjahr 1945. Gemeint ist das grausame Verbrechen der Nazis in den letzten Kriegstagen.

Bis heute ist nicht bekannt wie viele Menschen in der Bittermark und im Rombergpark ermordet wurden. Dennoch sind viele Namen von deutschen und französischen Opfern bekannt, da ihre Angehörigen in der Nachkriegszeit nach ihnen gesucht haben. Diese Möglichkeit gab es für Angehörige aus Osteuropa und Sowjetunion nicht.
Eine Identifizierung war unmöglich, den Ermordeten wurden Papiere, Erkennungsmarken oder andere privaten Gegenstände vor der Ermordung abgenommen. Sie sollten für immer anonym bleiben. Das gehörte zum rassistischen Programm der Nazis.


Da die Beweislage schlecht ist, haben wir die verfügbaren Dokumente auf eine andere Art untersucht. Was haben alle genannten Namen gemeinsam? Unsere Ergebnisse zeigen, die Ermordeten wurden aus „politischen“ oder „wirtschaftlichen“ Gründen verhaftet und zu einer Gestapostelle gebracht. Das Wichtigste aber ist, dass alle diese Namen den Vermerk „entlassen“ oder „von der Gestapo entlassen“ tragen. Die Gestapo hat diese Menschen nicht frei gelassen. Dieser Vermerk war für die Inhaftierten das Todesurteil. Die Gestapo-Akten zeigen, dass auch sowjetische Bürger *innen in den letzten Monaten mit der Begründung „politisch“ oder „Arbeitsverweigerung“ in Gestapo – Haft genommen wurden. Und mindestens 98 von ihnen haben den Vermerk „entlassen“.

Dazu gehörten:
Tscherepanow, Anton Andreewitsch, letzte Meldung 02.03.1945,
letzter Nachweis: von Gestapo abgeholt

Kamalow Michael Jakupwaliewitsch, letzte Meldung 19.03.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen

Wynetzki Iwan Egorowitsch, letzte Meldung 27.03.1945,
letzter Nachweis: durch Gestapo entlassen

Haew, Iwan Petrowitsch, letzte Meldung 27.03.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen

Issajew, Anwar Hassanowitsch, letzte Meldung 01.04.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen

Seizew, Wladimir Iwanowitsch, letzte Meldung 01.04.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen

Litwin, Trofim Efimowitsch, letzte Meldung 01.04.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen

Grebenjuk, Anton Kirillowitsch, letzte Meldung 01.04.1945,
letzter Nachweis: 4 K entlassen


Mahngang auf dem Internationalen Friedhof Gründonnerstag 2020

Rede Dmitriy Kostovarov anlässlich der Gedenkfeier Karfreitag 2019 auf dem Internationalen Friedhof

Liebe Freundinnen und liebe Freunde, Meine Damen und Herren,

Jedes einzelne Grab, auf jedem kleinen oder großen Friedhof, in jedem Land ist die Ruhestätte eines Menschen. Bis zum Augenblick seines Sterbens hat er sein Leben, sein eigenes Schicksal, seine Familie und Verwandten. Er hat Gefühle, Pläne und Hoffnungen. Es ist absolut unwichtig aus welchem Land er kommt, ob er freiwillig an einem Ort lebt oder verschleppt wurde. Auch dieser Friedhof ist für viele Menschen die letzte Ruhestätte. Diese Menschen hatten ein Recht zu leben, aber ihr Leben wurde durch den Krieg beendete. Wie viele Menschen hier beerdigt wurden, wissen wir bis heute nicht. Jahr für Jahr kommen neue Dokumente und Erkenntnisse ans Licht. Diese Dokumente bringen neue Zahl von Verstorbenen. Dieses Dokument zeigen uns einzelne Schicksale.

Wer waren diese Menschen, die hier begraben sind? Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen aus Sowjetunion ….. Männer, Frauen, Kinder. In ihrer Heimat waren sie Arbeiter und Arbeiterinnen, Studentinnen und Studenten, Bäuerinnen und Bauern, Ingenieure oder Lehrerinnen. Sie waren Söhne und Töchter, Väter und Mütter, sie hatten Familien. Sie wurden Opfer eines schrecklichen Krieges.

Sie wurden Opfer der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Nazis verübt haben. Sie mussten als billige Arbeitskraft für Hitler´s Rüstungsindustrie schuften, in der Landwirtschaft und in kleinen Betrieben und hier in Dortmund zu tausenden auf den Zechen und in den Stahlwerken. Sie hatten keine Rechte und mussten bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Wenn sie ihre Kraft und ihre Gesundheit verloren hatten, wenn sie krank wurden, dann schickten ihre Arbeitgeber sie zum Sterben in die Lager zurück. Sie erhielten fast keine Medikamente und kaum medizinische Versorgung. Wenn sie starben, wurden sie ohne Namen auf diesem Friedhof begraben.


Doch die Erinnerung an jeden Einzelnen bleibt. Noch heute erinnern sich die Familienangehörige der Verstorbenen an sie. Ihre Familienangehörigen wollen etwas über das Schicksal der Verstorbenen erfahren. Ihre Familienangehörigen wollen wissen wo das Grab ist, wie das Grab aussieht und in welchem Zustand es ist. Die Familienangehörigen wollen wissen welches Andenken man heute in Deutschland pflegt, an die verstorbenen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen, die Opfer der Nazis wurden, wer sich heute an sie erinnert. Die Angehörigen wollen aber auch nach ihren eigenen Vorstellungen an den Gräbern trauern und die Grabstätten nach ihren Traditionen herrichten. Dazu gehören die Weihe der Gräber nach den Traditionen der orthodoxen Kirchen, die leisen Gebete der Muslime und die Einsegnung der Gräber nach katholischer und protestantischer Tradition. Die Angehörigen möchten eine persönliche Erinnerung, ein Foto des Verstorbenen, auf den Gräbern zurücklassen. Sie möchten, dass die Namen der Verstorbenen auf einem Kreuz, einem Obelisken oder einer Stele eingetragen sind.

Die meisten Verstorbenen aus Sowjetunion wurden hier anonym begraben, nicht einmal die Verwaltung der Stadt Dortmund kennt bis heute alle Namen. Die Verstorbenen sind Opfer der Nazis. Nach dem Willen der Nazis sollte jede Erinnerung an die Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, die zu Tode gequält wurden, ausgelöscht werden. Nichts, nicht einmal ein Grab, sollte an sie erinnern. Für die Angehörigen bleiben die Menschen, die hier begraben sind, in ihren Gedanken und in ihrer Erinnerung. Die Namen der Verstorbenen auf einem Denkmal, hier auf dem Friedhof , wäre für die Angehörigen und auch für uns alle ein Symbol der Erinnerung.

Vergessene Namen in Hamm

In den frühen Morgenstunden des 3. April 1944 ereignete sich auf der Zeche Sachsen, im Flöz Präsident, durch die Entzündung eines Gas-Luft-Gemischs, eine Schlagwetterexplosion. 169 Bergleute verloren ihr Leben.

Auf dem Friedhof in Dasbeck erinnern ein Gedenkstein an eine verheerende Schlagwetterexplosion. Eine Gedenkplatte nennt die Namen der deutschen Bergleute.

Wer aber waren die verunglückten Bergleute?
Am Unglücksmorgen arbeiten im Streb vier deutsche und 76 sowjetische Hauer, 18 sowjetische Kriegsgefangene, 9 Ostarbeiter sowie 25 Deutsche waren im Streckenvortrieb und in der Strebförderung beschäftigt. Außerhalb des Explosionsorts und bei Rettungsarbeiten starben weitere Bergleute. Die schreckliche Bilanz waren 169 Tote, von denen 127 ihr Grab unter Tage fanden. Unter den Toten waren 56 deutsche und 113 ausländischen Bergleute.

Für 55 Heessener Knappen fand auf dem Dasbecker Friedhof, unter Anteilnahme der Bevölkerung, eine Trauerfeier statt. Die ausländischen Bergleute nannte man nicht. Erst 1947 wurde für die verunglückten sowjetischen Bergleute ein Denkmal mit ihren Namen errichtet. Es befand sich auf dem Zechengelände, wurde aber 1987 abgebaut und zerstört. Fraglich ist, ob dies absichtlich geschah oder ein Versehen war.

Quelle montan.dok/BBA/54/851

Jedenfalls sind 113 Opfer des Grubenunglücks heute namenlos. So begann die Suche nach den ausländischen Opfern. Frühere Anfragen in Hamm gaben wenig Hoffnung ihre Namen noch zu finden. Nach Auskunft des Knappenvereins gab es keine Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern. Heute stehen aber verschiedene Quellen zur Verfügung, um Dokumente von sowjetischen Kriegsgefangenen ausfindig zu machen. Vielleicht ließen sich durch Recherchen in Dokumenten der Wehrmacht, die in verschiedenen Archiven liegen, wenigstens einige Namen ermitteln. Und wie ist die Dokumentenlage für die Kriegs- und die Nachkriegszeit im Stadtarchiv in Hamm?

Ein Besuch dort war mit keinen hohen Erwartungen verbunden. Doch schon eine erste Sichtung der bereitgestellten Akten war überraschenderweise erfolgreich. Bereits das erste Blatt der Akte war eine Liste mit allen Namen der am 3.04.1944 verunglückten sowjetischen Kriegsgefangenen, einschließlich Hinweisen auf die Registrierungsorte und -nummern. Letzteres ist für die Recherche besonders hilfreich, denn bei der Registrierung erhielt jeder Kriegsgefangene eine Erkennungsmarke, die ihn auf seinem Weg durch die Lager und Arbeitskommandos begleitete. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Namen und Vornamen bei der Registrierung oft falsch aufgenommen wurden. Eine Durchsicht der Dokumente bestätigte diese Annahme, auch bei den vorliegenden Listen sind zwei Drittel der Namen falsch geschrieben.
Andere Bestände des Stadtarchivs in Hamm zeigen die Lage der Gräber, die Grabnummerierung, eine Namensliste aus der Nachkriegszeit, die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach Angaben der Kommune erstellt wurde, und den Schriftwechsel mit verschiedenen Behörden und der Stadt, in dem alle Fragen der Grabpflege angesprochen wurden.

Im Stadtarchiv der Stadt Hamm gibt es also zahlreiche Dokumente über die am 3. April bei der Schlagwetterexplosion verunglückten sowjetischen und polnischen Bergleute. 75 Jahre nach dem Ende des Krieges wäre es an der Zeit an sie zu erinnern und ihnen mit einem Gedenkstein ihre Namen zurückzugeben.

16. März 1944 – schweres Grubenunglück auf der Zeche Hansa in Dortmund-Huckarde

Auf dem Friedhof in Dortmund-Huckarde befindet ein Gräberfeld mit 73 Grabsteinen, die Inschriften auf den Steinen sind verwittert und kaum noch lesbar. Die Grabsteine erinnern an die Bergleute, die vor 76 Jahren bei einem Grubenunglück ums Leben kamen.
Während des Schichtwechsels am 16. März 1944 ereignete sich auf Zeche Hansa ein schweres Unglück. Gegen 5.30 wurden mehrere Schlagwetterexplosionen in der 1. nördlichen Abteilung der 8. Sohle ausgelöst. Ausfahrende Bergleute berichteten von verletzten Kollegen. Schnell waren Grubenwehren aus mehreren Zechen zur Stelle. Sie konnten 37 Verletzte bergen. 94 Bergleute jedoch starben. 29 Toten wurden geborgen, 25 Deutsche und 4 Russen.
Die 25 deutschen Bergleute wurden auf dem Huckarder Friedhof, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, beigesetzt. An der Trauerfeier nahmen mehr als 1000 Menschen teil. Die 4 Russen, sowjetische Kriegsgefangene, wurden nicht auf diesem Friedhof beigesetzt, sondern vermutlich auf dem Ausländerfriedhof am Rennweg begraben, ebenso wie wahrscheinlich auch 4 sowjetischen Kriegsgefangenen, die einige Tage später an ihren Verletzungen starben.
Zeitgenössische Veröffentlichungen geben an, dass 65 Bergleute, darunter 28 überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, im Brandfeld blieben.
Vasilii Iwanowitsch Artijchin und Wasilii Iljitsch Wawilow gehörten zu den sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Brandfeld blieben.



Vasilii Artijchin, geboren 6.6.1913, war von Beruf Schlosser. Am 17.7.1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er wurde im Stalag XI A in Dörnitz registriert und erhielt die Erkennungsmarken mit der Nr. 120554, ab November war er im Bau Batl.151, dann bei verschiedenen Arbeitskommandos. Am 9.9.1943 wurde er zum Stalag VI A nach Hemer überstellt. Ab Oktober 1943 war Vasilii Artijchin auf der Zeche Hansa. Seine Personalkarte trägt den Vermerk „Am 16.3.1944 inf. Grubenunglück auf Zeche Hansa, Dortmund Huckarde vermisst“.

Wasilii Iljitsch Wawilow, geboren am 14.1.1919, war von Beruf Bauer. Er wurde am 18.9.1941 gefangengenommen und im Stalag X B in Sandbostel registriert. Er erhielt eine Erkennungsmarke mit der Nr. 127642. Am 23.8.1943 wurde er nach Hemer, ins Stalag VI A, überstellt. Ab 28.8.1943 war er auf der Zeche Hansa. Auch seine Personalkarte trägt den Vermerk „Am 16.3.1944 inf. Grubenunglück auf Zeche Hansa, Dortmund Huckarde vermisst“.

Seit 1942 wurden auf den Zechen im Ruhrgebiet die zur Wehrmacht eingezogenen Bergleute durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ersetzt. Auf der Zeche Hansa waren im Jahre 1944 54 % der Bergleute Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter aus der Sowjetunion, aus Polen, Frankreich und Belgien. Sie alle waren in Huckarde in der Nähe der Zeche in Barackenlagern untergebracht und legten jeden Tag den Weg vom Lager zur Zeche zurück.
Das Grubenunglück vom März 1944 blieb in Huckarde in trauriger Erinnerung. Noch immer waren die meisten Bergleute nicht geborgen. Am 7. Januar 1952 brach man die Brandmauer auf der 8. Sohle auf. 10 Bergleuten wurden gefunden, die Identifizierung der Toten war nicht möglich. Zur Erinnerung an die Toten der Grubenunglücke von 1940 und 1944 auf der Zeche Hansa wurde am 16. März 1952 eine Bronzefigur, geschaffen von Wilhelm Wulff, eingeweiht.

Friedhof Huckarde

Luftbilder aus den 60ziger Jahren zeigen eine Neugestaltung des Gräberfeldes. 73 Grabkissen erinnern an die verunglückten Bergleute vom 16. März 1944. Auf den Steinen in der 2. und 3. Reihe finden sich auch die Namen von sowjetischen, französischen, polnischen und belgischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern, darunter auch die Namen von Wasilii Warwilow und Vasilii Artijchin.