Im Nordosten von Bocholt befindet sich der Stadtwald. Die Stadt Bocholt wirbt für einen Besuch mit schönen Spazierwegen, die zum Flanieren, Spazieren, Laufen und Verweilen einladen. Doch das Gelände hat auch eine andere Geschichte.
Dort wo heute der Stadtwald ist, befand sich von 1939 bis 1944 das Mannschaftsstammlager (Stalag)VI F. Zunächst brachte man polnische und französische Kriegsgefangene dorthin. Die Gefangenen wurden zur Zwangsarbeit in den Stahlwerken und Rüstungsbetrieben des Ruhrgebiets eingesetzt, so z.B. bei Krupp in Essen.
1941 erweiterte man das Lager und im November 1941 trafen die ersten 800 sowjetischen Kriegsgefangenen im Stalag VI F ein. Ihnen sollten bald tausende weitere in deutsche Kriegsgefangenschaft geratene Rotarmisten folgen.
Galt das Stalag VI F nach Begehungen durch das Internationale Rote Kreuz noch 1943 als „relativ erträglich“, so traf dies nicht auf das Lager für sowjetische Kriegsgefangene zu, wo das Internationale Rote Kreuz ohnehin keinen Zutritt hatte. Die sowjetischen Kriegsgefangenen litten auch im Stalag VI F in Bocholt unter mangelnder Ernährung, fehlender Gesundheitsversorgung, katastrophalen Wohnverhältnissen und rassistischer Schikane. Der Friedhof, nur 1500 Meter entfernt an der Vardingholter Straße, legt davon Zeugnis ab.
Ein Obelisk trägt die Inschrift „ HIER RUHEN 1736 RUSSISCHE KRIEGSOPFER“.
Auf verwitterten Steinen stehen statt Namen Nummern.
Durch umfangreiche Recherchen ist es 2006 gelungen 1333 Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen zu ermitteln.
2021 wurden Namenstelen mit den Namen der Verstorbenen errichtet.
Der Historische Verein Ar.kod.M hat am 22. Juni sein Projekt „Holz ist kein Marmor“ fortsetzen und 4 weitere Holztafeln auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund aufgestellt. Das Datum ist bewusst gewählt.
Am 22. Juni 1941 überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion und führte einen Vernichtungskrieg. Dabei ging es nicht nur um die Vernichtung der Staatlichkeit. Es ging um Lebensraum im Osten, dafür sollten Millionen Menschen in der Sowjetunion sterben oder versklavt werden.
Doch der Vernichtungskrieg gegen die Menschen aus der Sowjetunion und Osteuropa setzte sich auch im Ruhrgebiet fort. Die Menschen wurden verschleppt und mussten auf den Zechen, den Stahlwerken und den Betrieben im Ruhrgebiet Zwangsarbeit leisten. Den Menschen mangelte es an ausreichender Nahrung, angemessener Kleidung. Sie litten unter katastrophalen Wohnverhältnissen und fehlender medizinischer Versorgung. Sie mussten bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Die Gefahr Arbeitsunfälle zu erleiden war doppelt so hoch wie bei deutschen Arbeiter*innen. Viele starben an diesem harten Leben. In Dortmund legen tausende Gräber auf dem Internationalen Friedhof davon Zeugnis ab.
Mit den 4 Holztafeln erinnern wir an:
Andrej Turanskij, 44 Jahre, Pjotr Olenikow, 68 Jahre, sind auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 6 begraben.
Grigorij Loginow, 51 Jahre und Stepan Gozakow, 35 Jahre, sind auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 8 begraben.
Über Andrej Turanskij, Pjotr Olenikow und Grigorij Loginow ist wenig bekannt. Wir wissen nichts über ihr Leben und ihr Sterben in Dortmund. Wir haben nur ihre Namen, ihr Alter und ihren Sterbetag in langen Todeslisten gefunden.
Einzig von Stepan Gozakow wissen wir mehr.
Stepan Gozakow wurde am 30.7.1909 im Dorf Tursona im Gebiet Orlow geboren, verheiratet war er und von Beruf Müller. Als Rotarmist geriet er am 11.7.1943 in deutsche Kriegsgefangenschaft und durchlief verschiedene Lager bis er schließlich im August 1943 auf die Zeche Hansemann nach Dortmund Mengede kam. Im Juni 1944 brachte man ihn auf die Zeche Minister Stein, wo er am 16.8.1944 einen Arbeitsunfall erlitt und seinen schweren Kopfverletzungen erlag. Drei Tage später begrub man ihn auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg auf Feld 8, Grabnummer 5. Da war er 35 Jahre alt.
am 22. Juni 1941 wurde die Sowjetunion von der deutschen Wehrmacht überfallen.
Mit einer Gedenkstunde an der Westfalenhalle erinnert der Förderverein Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark Komitee und Ar.kod.M e.V. am 22. Juni 2023 um 18.00 Uhr an den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion und an das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Dortmund.
Nach dem Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfallen hatte, gerieten im Sommer und Herbst 3.000.000 Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Bereits seit Herbst 1939 gab es in Dortmund ein Kriegsgefangenenlager, das Stalag VI D. Die Wehrmacht hatte dafür die Westfalenhalle übernommen und in der Halle ein Lager für polnische und französische Kriegsgefangene eingerichtet. Im September 1941 trafen erstmals sowjetische Kriegsgefangene in Dortmund ein. Auf dem heutigen Messegelände unweit der Westfalenhalle entstand nun im Stalag VI D Dortmund das Lager C für sie.
Lageplan des Lager C im Stalag VI D, Quelle: https://stalag6a6d.fr/AccesPublic/Stalag_VI_D_3.php
Kriegsgefangene leisten Zwangsarbeit
Die Lebensbedingungen im Lager C waren besonders hart. Entkräftet vom langen Weg von den Frontlagern ins Ruhrgebiet, auf dem sie oft weder Wasser und nach Nahrung erhielten, kamen die sowjetischen Kriegsgefangenen im Dortmunder Lager an. Doch auch hier erhielten die Männer nur eine minimale Versorgung. Von Lager aus wurden sie zur Zwangsarbeit auf Zechen, in Stahlwerke und in Rüstungsbetrieben des Ruhrgebiets gebracht. Dort waren sie in umzäunte und bewachte Lagern, den Arbeitskommandos, in der Nähe der Betriebe untergebracht. In den Betrieben mussten die Männer bis zur völligen Erschöpfung schwerste Arbeit leisten. Sie erhielten weder eine ausreichende Ernährung noch geeignete Kleidung für diese Arbeit. Sie litten zudem unter katastrophalen Wohnverhältnissen, mangelnder medizinischer Versorgung und rassistischer Gewalt. Wenn sie völlig erschöpft und nicht mehr arbeitsfähig waren, wurden die Männer in das Stalag VI D zurückgeschickt. Tausende starben dort an den Folgen von Arbeitsunfällen, Krankheiten und Erschöpfung.
Erinnerung heute
Insgesamt gerieten mehr als 5.000.000 Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft, annährend 3.000.000 von ihnen überlebten die Gefangenschaft nicht.
Heute erinnert ein Gedenkstein an das Stalag VI D und das Schicksal der Gefangenen. Der Gedenkstein befindet sich in der Nähe des Eingangsbereichs zu den Messehallen, dort wo einst der Zugang zum Lager C des Stalag VI D war.
4 weitere Holztafel auf dem Internationalen Friedhof aufgestellt
Der Internationale Friedhof erinnert heute mit seinen weitläufigen Rasenflächen mehr an einen Park als an einen Friedhof. Die meisten Toten haben keinen Grabstein, keine namentliche Erinnerung. In ihrer großen Mehrzahl blieben die sowjetischen Kriegsopfer hier bis heute namenlos und leider lässt die geplante Aufstellung der Namensstelen, die den Verstorbenen ihren Namen und damit auch ein Stück ihre Würde zurückgeben könnte, auf sich warten. Deshalb errichtete der Historische Verein Ar.kod.M hier auf dem Internationalen Friedhof vier weitere Holztafeln. Doch Tafeln aus Holz können die erwarteten Namensstelen nicht ersetzten, denn Holz ist kein Marmor.
Wir erinnern an:
Roman Egorenko und Konstantin Sklerow
Roman Egorenkowurde im Jahr 1890 geboren. Über sein Leben und sein Schicksal als Zwangsarbeiter in Dortmund wissen wir nichts. Er starb am 4. Juli 1942 in Dortmund und wurde auf dem Internationalen Friedhof in Dortmund begraben. Seine Bestattung war die erste uns bekannte auf Feld 4.
Konstantin Sklerow wurde im Jahr 1924 geboren. Man verschleppte ihn zur Zwangsarbeit nach Dortmund. Am 2. August 1943 starb er in Dortmund und wurde auf dem Internationalen Friedhof begraben. Seine Bestattung war die letzte uns bekannte von Zivilisten auf Feld 4.
Wir erinnern an:
Georgij Maganakow und Georgij Gebnischwili
Georgij Gebnischwiliwurde am 23. August 1900 in Dorf Tschimljak bei Tiflis geboren, er war verheiratet. Am 22. September 1942 geriet er bei Naltschik in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sein letzter Arbeitseinsatz war in Dortmund Hörde. Er starb am 31. Dezember 1943 und wurde auf dem Internationalen Friedhof begraben. Seine Bestattung war die erste uns bekannte auf Feld 7.
Georgij Maganakow, wurde im Jahr 1904 geboren, von Beruf war er Bergarbeiter. Am 10. Juli 1942 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er kam in das Mannschaftsstammlager VI K danach nach Dortmund und von dort zum Arbeitseinsatz auf die Zeche Hansa in Huckarde. Er starb 11. September 1944. Seine Bestattung war die letzte uns bekannte auf Feld 7.
Als die Dortmunder Nordstadt, die Westfalenhütte und die Zeche Kaiserstuhl am 5. Mai 1943 durch einen schweren Bombenangriff getroffen wurde, waren im Arbeitskommando 607R, Zeche Kaiserstuhl wohl mehr als 500 sowjetische Kriegsgefangenen. Sie waren dem Bombenhagel schutzlos ausgesetzt, da es ihnen nicht erlaubt war Schutzräume aufzusuchen. 194 von ihnen starben in dieser Nacht. Für die etwa 300 Überlebenden waren jedoch die Bombennächte bei weitem nicht die einzige Gefahr für ihr Leben. Zahlreiche Männer, die dem Bombenhagel entronnen waren, starben in den folgenden Monaten.
Hunger, schwerste Arbeit und fehlende Versorgung
Hauptgrund für die hohe Sterblichkeit sowjetischer Kriegsgefangener war die ungenügende Ernährung. Wehrmacht und Zechenleitungen wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für den schlechten Ernährungszustand der Männer zu. Schon kurz nachdem sowjetische Kriegsgefangene auf den Zechen des Ruhrgebiets eingesetzt wurden, stellten die Lagerärzte bei den Verstorbenen häufig eine durch Unterernährung bedingte Herzschwäche als Todesursache fest. Doch auch das Risiko bei der Arbeit zu verunglücken war für sowjetische Kriegsgefangene mehr als doppelt so hoch wie für den Rest der Belegschaft. Die Arbeit unter Tage in staubiger und feuchter Umgebung und in ungeeigneter Kleidung verursachten eitrige Geschwüren und Furunkulose. Die Arbeitsbedingungen unter Tage ebenso wie die miserablen Wohnverhältnisse und die schlechte Beheizung der Unterkünfte führten zu Erkältungskrankheiten und in der Folge zu Lungenentzündungen, die oft tödlich endeten. Seit Sommer 1943 wurde zudem Lungentuberkulose zu einem ernsten gesundheitlichen Problem für die Gefangenen.
Mitte 1944 waren 10 % der Kriegsgefangenen im Wehrkreis VI revierkrank und weitere 8 % lazarettkrank. Kranke wurden aus den Arbeitskommandos in das nächste zuständige Kriegsgefangenenlazarett gebracht. Die Lazarette waren jedoch oft so überfüllt, dass die Gefangenen in den Arbeitskommandos blieben mussten. Schwerkranke brachte man in die Lazarette der Stalags VI A Hemer oder VI D Dortmund und ab 1944 in das Stalag VI C Bathorn im Emsland und in seine Zweiglager.
Neun Biographien
Das Los der neun Männer des Arbeitskommandos 607R zeigt beispielhaft wie schnell ihre Kräfte durch schwerste Arbeit, Hunger und fehlende Versorgung erschöpft waren. Die Neun waren mit tausenden anderen im Sommer und Herbst 1942 von den Frontlagern im Stalag VI K in der Senne angekommen. Dort wurden sie registriert und als bergbautauglich gemustert. Am 11. November brachte man sie in das Stalag VI A Hemer, das seit Herbst 1942 ausschließlich für die Zuweisung von Kriegsgefangenen für den Ruhrbergbau zuständig war. Mitte November 1942 kamen die Männer im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl an.
Schneller Tod im Russenlazarett
Semjon Kalinin wurde am 12. Mai 1902 im Gebiet Orlow geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Am 24. Juli 1942 geriet er Woroschilowgrad, dem heutigen Lugansk in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod. Am 17. August 1943 kam er ins Krankenrevier. Man brachte ihn noch in das „Russenlazarett“, wo er am 18. August 1943 an Herzschwäche starb.
Egor Merkulow wurde im Jahr 1917 im Gebiet Woronesch geboren. Von Beruf war Arbeiter, er war verheiratet. Am 28.Oktober 1941 geriet er auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft. Auch er überlebte den Bombenangriff am 5. Mai 1943, doch bereits am 15. Mai 1943 brachte man ihn in das Lazarett im Stalag VI A Hemer, wo er am 20. Mai 1943 an Lungenentzündung starb. Iwan Rjabinin wurde am 24. Januar 1921 im Gebiet Mogilow geboren. Er war in der Landwirtschaft tätig. Am 14. Juni 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft. Den Bombenangriff am 5. Mai 1943 überlebte er, am 8. Juli 1943 brachte man ihn ins Krankenrevier und dann in das Stalag VI C Bathorn, wo er am 16. Juli 1943 an Lungen-TBC starb.
Tod im Arbeitskommando 607R
Makar Buscha wurde im Mai 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Im April 1942 geriet im Donbass in deutsche Kriegsgefangenschaft. Bei dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 wurde er verletzt und war vom 9. Mai bis 25. Juni im Krankenrevier. Am 2. Juli 1943 kehrt er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück. Am 24. Juli erlitt er bei einem Arbeitsunfall eine Quetschung des Ellenbogens. Am 13. Mai 1944 starb er im Krankenrevier der Arbeitskommandos 607R an Lungenentzündung. Grigorij Prazko wurde am 19. Januar 1923 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war von Beruf Arbeiter. Im Juni 1942 geriet er bei Kertsch in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 blieb er im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl . Vom 7. Juli bis 2. September 1943 war er im Krankenrevier. Dann kehrte er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück. Am 17. März 1944 starb er im Arbeitskommando 607R an Erstickung.
Tod im Emsland
Efim Bidorisch wurde im Jahr 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war verheiratet und arbeitete in der Landwirtschaft. Am 26. September 1941 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod, von wo er am 13. September 1943 in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurückkehrte. Am 19. Juli 1944 kam er ins Lagerlazarett, am 8. August 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Wietmarschen, wo er am 27. Oktober 1944 starb.
Daniil Kowalenko wurde im Jahr 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Von Beruf war Zimmermann. Am 3. Juni 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft. Bei dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 wurde er verletzt. Vom 9. Mai bis 27. Juli war er im Krankenrevier. Am 30. Juli 1943 kehrt er in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurück. Dort erlitt er am 9. August 1943 bei einem Arbeitsunfall eine Quetschung der Hand. Am 7. Juni 1944 kam er ins Lagerlazarett. Am 19. Juni 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Alexisdorf, wo er am 11. September 1944 starb.
Pjotr Kriwoschejew wurde am22.Juni 1914 im Gebiet Nikolajew geboren. Von Beruf war er Tischler, er war verheiratet. Am 23. Mai 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 brachte man ihn am 7. Mai nach Bockum-Hövel in das Arbeitskommando 503R Zeche Radbod, von wo er am 5. Oktober 1943 in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl zurückkehrte. Am 20. Juni 1944 kam er ins Lagerlazarett. Am 14. Juli 1944 brachte man ihn in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Alexisdorf, wo er am 22. Juli 1944 starb. Alexej Tschumankow wurde am 13. März 1909 im Gebiet Amur geboren. Er war Landarbeiter und verheiratet. Am 21. Juli 1942 geriet er bei Rostow in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach dem Bombenangriff am 5. Mai 1943 blieb er im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl. Am 26. Juli 1944 brachte man ihn ins Lagerlazarett. Von dort am 5. September 1944 zunächst in das Stalag VI C Bathorn, Zweiglager Wesuwe und am 7. September in das Zweiglager Alexisdorf, wo er am 4. November 1944 starb.
Erinnerung an die Zwangsarbeiter
Einige der Kriegsgefangenen brachte man nach der Bombennacht am 5. Mai 1943 für kurze Zeit von der Zeche Kaiserstuhl, die sich im Besitz von Hoesch befand, auf der Zeche Radbod in Bockum-Hövel, die ebenfalls Hoesch gehörte. Auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Radbod wurde unlängst eine Geschichtsstele zur Erinnerung an die Menschen, die auf der Zeche Radbod Zwangsarbeit leisten mussten, errichtet. Erfreulich wäre es, wenn auch in Dortmund Erinnerungsorte für die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen der zehn Dortmunder Zechen geschaffen würden.
Heute ist es auch hierzulande Tradition am 8. und am 9. Mai Blumen an Ehrenmalen und Gräbern sowjetischer Kriegsopfer niederzulegen. Dieses Gedenken erinnert daran, wie schwer der Sieg über den Hitlerfaschismus von der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion erkämpft wurde. Nahezu jede Familie hat den Verlust von Angehörigen zu beklagen.
Damals mussten Millionen Menschen aus der Sowjetunion Zwangsarbeit in Deutschland leisten. So auch im Ruhrgebiet. Viele sind an der harten Arbeit und ihren fürchterlichen Lebensbedingungen gestorben.
Familien, die am 9. Mai nicht nach Deutschland zum Grab ihres Angehörigen reisen können, bitten daher den Historischen Verein Ar.kod.M e.V. das Grab am 9. Mai zu besuchen und mit Blumen an die Verstorbenen zu erinnern.
Als in den späten Abendstunden des 8. Mai 1945 in Berlin Karlshorst die bedingungslose Kapitulation von deutschen Generälen unterschrieben wurde, endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Für die Alliierten war es der Tag des Sieges über Hitlerdeutschland und die Wehrmacht. Für Millionen Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge bedeutete dieser Tag ihre Befreiung aus Zwangsarbeit und den faschistischen Lagern. Für die Menschen überall in Europa war es die Befreiung von deutscher Besatzung und vom Faschismus.
Auch die Gefangenen des Stalag VI K in der Senne kamen frei. Bereits Anfang April besetzen Britischen Truppen das Kriegsgefangenenlager Stalag VI K. Die Überlebenden, zumeist sowjetische Kriegsgefangene, beschlossen zum Gedenken an die tausenden Rotarmisten, die im Stalag VI K ums Leben gebracht wurden, ein Denkmal auf dem Lagerfriedhof zu errichten. Dieses Denkmal wurde unter großer Anteilnahme am 2. Mai 1945 eingeweiht.
Auch heute noch kommen viele Menschen, in Erinnerung an den Tag der Befreiung, um den 8. Mai herum auf den Friedhof des Stalag VI K nach Stukenbrock und legen dort Blumen nieder. Die Motive der Besucher*innen mögen sehr unterschiedlich sein und nicht immer geht es nur um ein Gedenken an die Opfer des Krieges und den Tag der Befreiung vom Faschismus.
Unter den Besucher*innen am 8. Mai sind auch Familien, die ganz persönlich eines Angehörigen gedenken wollen, der im Stalag VI K umkam. Sie kommen zum Grab ihres Großvater oder Urgroßvaters und legen dort Blumen nieder. So erinnern sie am Tag des Sieges und der Befreiung daran, mit welchen großen persönlichen Verlusten für die Familien aus der Sowjetunion dieser Sieg erkämpft wurde.
Auch Alexandr und Vitali Belous, die im vergangenen Jahr vor Krieg und Zerstörung aus der Ukraine geflohen waren, besuchten den Friedhof. Alexandrs Großvater, Anatoli Ruge, geriet als Rotarmist in deutsche Kriegsgefangenschaft. Man brachte ihn in das Stalag VI K, wo er im März 1944 starb. Er hinterließ eine Ehefrau und eine kleine Tochter.
Alexandr und Vitali Belous an dem Platz, an dem sich das Grab von Anatoli Ruge befindet. Vitali sucht den Namen seines Urgroßvaters auf einer Stele auf dem Friedhof des Stalag VI K
Eine Tafel an seiner Grabreihe erinnert heute an Anatoli Ruge. Alexandr Belous, sein Enkel, hat diese Tafel aufgestellt. Er sagt: „Uns ist das Gedenken wichtig, es bedeutet uns sehr viel.“
Am 5. Mai 1943 wurde die Dortmunder Nordstadt, die Westfalenhütte und die Zeche Kaiserstuhl durch einen schweren Bombenangriff getroffen, der viele Todesopfer forderte. Zu den Opfern gehörten auch 194 sowjetische Kriegsgefangene des Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl.
Nach Unterlagen der Stadt Dortmund kamen am 5. Mai 1943 35 Zivilarbeiter*innen sowie 28 französische und 240 „russische“ Kriegsgefangene um. Sie wurden zunächst als Opfer des Bombenangriffs gemeldet. Die Zahl der getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen korrigierte die Stadt Dortmund später. Auch die Männer des Arbeitskommandos 607R wurden aus der Liste gestrichen. Ins Sterbebuch trug man sie nicht ein. Ihre Überreste wurden anonym auf dem Internationalen Friedhof begraben. In Dortmund wurden sie schnell vergessen.
Doch vor wenigen Jahren konnte eine Verlustliste des Stalag VI A Hemer ausfindig gemacht werden. Sie nennt die 194 sowjetischen Kriegsgefangenen namentlich, die bei dem Bombenangriff am 5. Mai. 1943 auf Zeche Kaiserstuhl umkamen. Erst heute kennen wir die Namen und das Schicksal der Männer des Arbeitskommandos 607R.
Sowjetische Kriegsgefangenene leisten Zwangsarbeit auf Ruhrgebiets Zechen
Von der Reichsvereinigung Kohle war seit Sommer 1941 gefordert worden sowjetische Kriegsgefangene auf den Zechen einzusetzen. Mit dieser Forderung setzte sie sich, nach anfänglicher Weigerung der Nazioberen, im Sommer 1942 durch. Mit dem Einsatz von sowjetischen Kriegsgefangenen sollte der Arbeitskräftemangel, der durch die zunehmende Einberufung von Bergleuten zur Wehrmacht entstanden war, beseitigt werden. Die Kohle wurde gebraucht, um den Energiebedarf der Stahlwerke und Rüstungsbetriebe zu befriedigen.
Zur schnellen Zuweisung der Gefangenen funktionierte die Wehrmacht im Oktober 1942 das Stalag (Mannschaftsstammlager) VI A im sauerländischen Hemer zu einem speziellen „Bergbaulager“ um. Bereits im Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl aus anderen Stalags in das Stalag IV A gebracht und von dort kamen sie sofort in die Arbeitskommandos auf die Zechen des Ruhrgebiets. Die Gefangenen waren nun Bergleute, doch für die harte Arbeit erhielten sie keinen angemessenen Lohn. Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignete Kleidung, ohne eine entsprechende Unterkunft und ohne die notwendige Gesundheitsversorgung waren sie in umzäunten und bewachten Lagern untergebracht und mussten auf den Zechen schuften. Bombenangriffen waren sie ausgeliefert, da es ihnen nicht erlaubt war Schutzräume aufzusuchen.
Das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl
Auch auf der Zeche Kaiserstuhl setzte man auf Zwangsarbeit. Um die Jahreswende 1942/1943 dürften mehr als 500 sowjetische Kriegsgefangene im Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl gewesen sein. Knapp die Hälfte von ihnen kam aus frontnahen Lagern, wo sie seit ihrer Gefangennahme unter schwierigsten Bedingungen in Gewahrsam waren. Ein Viertel war bereits im Reichsgebiet und kam aus Stalags mit landwirtschaftlichen oder kleinindustriellen Arbeitskommandos. Ein weiteres Viertel war aus dem Stalag VI K in der Senne, das speziell für sowjetische Kriegsgefangene errichtet worden war. Aus den Lagern brachte man die Gefangenen in das Stalag VI A und nach wenigen Tagen auf die Zeche Kaiserstuhl.
Die 10 Männer der Bildergalerie kamen mit einer größeren Gruppe am 11. November aus dem Stalag VI K Senne im Stalag VI A Hemer an. Bereits am 16. November wurden sie an die Zeche Kaiserstuhl geleifert.
Alexander Kolesin wurde im Jahr 1921 im Gebiet Jaroslawl geboren, von Beruf war er Müller. Am 25.9.1941 geriet er bei Dnperpetrowsk in deutsche Kriegsgefangenschaft
Alexej Garan wurde im Jahr 1918 im Gebiet Nikolajew geboren. Von Beruf war er Techniker. Im Mai 1942 geriet er bei Charkow in deutsche Kriegsgefangenschaft
Sergej Iwanschenko wurde im Jahr 1924 auf der Krim geboren. Er war Schüler. Am 8. Juli 1942 geriet er bei Woroschilowgrad, dem heutigen Lugansk, in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Grigori Skorochod wurde im Jahr 1901 im Gebiet Rostow geboren. Er arbeitete in der Landwirtschaft und war verheiratet. Im Juni 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft
Boris Ippolitiow wurde im Jahr 1919 in Leningrad geboren. Von Beruf war er Tischler. Am 19.5.1942 geriet er auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft. Pawel Dobrij wurde im Jahr 1910 im Gebiet Smolensk geboren. Er war verheiratet und von Beruf Schuhmacher. Am 29.9.1941 geriet er auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft
Nikolaj Eskow wurde im Jahr 1923 im Gebiet Kursk geboren. Von Beruf war er Handwerker. Am 16. Juni 1942 geriet er bei Charkow in deutsche Kriegsgefangenschaft Efim Petrow wurde 1910 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war verheiratet und von Beruf Tischler. Im Juli 1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft
Pawel Maltschenko wurde im Jahr 1918 im Gebiet Nikolajew geboren. Er war in der Landwirtschaft tätig. Am 4.7.1942 geriet er bei Sewastopol in deutsche Kriegsgefangenschaft
Dmitrij Borisenko wurde 24.10.1925 in Mogilew geboren. Er war Schüler. Am 24.9.1941 geriet er bei Melitopol (Ukrainische SR) in deutsche Kriegsgefangenschaft
Die 10 Männer des Arbeitskommandos 607 R Zeche Kaiserstuhl starben am 5. Mai 1943 mit 184 weiteren sowjetischen Kriegsgefangenen bei dem schweren Bombenangriff auf den Dortmunder Norden.
80 Jahren sind vergangen, jetzt erst sagen wir – WE REMEMBER
Mit der Aufstellung von weiteren Holztafeln auf den Grabfeldern 9, 13 und 19 gedachte der Historische Verein Ar.kod.M e.V. am 2. Mai 2023 vier Menschen, die auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg begraben sind.
Die Holztafeln erinnern an: zwei Erwachsene – Sinaida Bakumenko und Hasi Fardinow
und an zwei Kindern – Nikolaj Scharpan und Karina Sewostjanowa
Das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und ihrer Kinder war besonders tragisch. Die jungen Frauen und Mädchen wurden zumeist aus der Ukraine verschleppt. Bis zum Herbst 1942 wurden Schwangere aus der Zwangsarbeit entlassen und in ihre Heimat zurückgeschickt, danach gab es keine Entlassung aus der Zwangsarbeit mehr. Geburten und Sterbefälle in den Lagern, in denen Zwangsarbeiterinnen aus der ehemaligen Sowjetunion waren, wurden von der Stadt Dortmund mitleidlos registriert. Der kleine Nikolaj Scharpan wurde nur ein Jahr alt. Seine Beerdigung ist als letzte Besetzung auf dem Feld Nummer 9 eingetragen. Sein trauriges Schicksal teilten leider viele Kinder. Mehr als 100 Kinder sind auf Feld 9 begraben. In Grab 202 wurden Maria Tischinirowa, 1 Jahr und Iwan Iwantschuk, beerdigt, in Grab 203 Stanislaw Bonas, 4 Wochen, und Wasilij Makow, 2 Jahre. Die Beisetzung von Kindern setzte sich fort bis zum Grab 300. Dort liegen Zhanetta Stepanowa, 1 Jahr, und Nikolaj Scharpan, ebenfalls 1 Jahr. Insgesamt sind 117 Todesfälle von Kindern auf dem Internationalen Friedhof offiziell registriert. Die lückenhaften Registrierungspapiere lassen noch weitere verstorbene Kinder vermuten.
Ihre Mütter mussten auch während der Schwangerschaft und nach der Geburt schwerste Arbeit leisten. Die Ernährung war schlecht, eine gesundheitliche Versorgung für die jungen Mütter und ihre Kinder gab es nicht. Die Frauen hatte kaum Möglichkeiten ihre Kinder zu versorgen, so hatten die Kinder nur geringe Überlebenschancen. Genau das war die Absicht der Nazis. Diese Kinder sollten nicht überleben, ihre Mütter wurden nur als Arbeitskräfte gebraucht. Auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg sind Beerdigungen von Kindern auf den Felder 9, 13 und 19 bekannt. Diese Kinder sind die unschuldigsten Opfer des Krieges, wir erinnern an diese unschuldigen Seelen mit besonderer Erschütterung.
Im April 2023 war Anatoli Artemenko in der Gedenkstätte Stalag 326 zu Gast. In einem bewegenden Vortrag schilderte er das Leben seines Großvater Iwan Semjenowitsch Artemenko, der im Stalag 326 als sowjetischer Kriegsgefangener inhaftiert war.
Iwan Semjenowitsch Artemenko wurde am 2. Februar 1904 im Dorf Ljubjanka im Gebiet Kiew, in der Ukraine, geboren. Er hatte 3 Brüder. Seine Familie besaß damals eine größere Landwirtschaft. Der landwirtschaftliche Betrieb wurde in den 1920ziger Jahren kollektiviert. Iwan arbeitet danach auf der Kolchose. Er erwarb Kenntnisse in der Landwirtschaft und darüber hinaus entwickelte er in verschiedenen Gewerken handwerkliche Fähigkeiten, zum Beispiel bei der Herstellung von Keramiken und als Zimmermann. Mit seiner Ehefrau Maria hatte er 3 Söhne und ein Tochter.
Quelle: Gedenkstätte Stalag 326
Soldat in der roten Armee
Im Sommer 1941, nachdem Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfallen hatte, wurde Iwan Artemenko zum Militärdienst in die Rote Armee einberufen und bei der Verteidigung Kiews eingesetzt. Die Schlacht um Kiew begann Mitte August 1941. Kiew wurde eingekesselt. Ende September war die Rote Armee geschlagen. Die Wehrmacht besetzte Kiew und die große Teile der Ukraine. Hunderttausende Rotarmisten gerieten in Kriegsgefangenschaft. Lange Fußmärsche, keine Verpflegung, campieren auf freien Feld, Hunger und Durst, Krankheiten und Seuchen führten dazu, dass mehr als 130000 kriegsgefangenen Rotarmisten der Kesselschlacht um Kiew in den folgenden Monaten umkamen. Verwundete hatten kaum eine Überlebenschance.
Untergetaucht in der besetzten Ukraine
Auch Iwan Artemenko wurde verwundet. Er erlitt eine Verletzung am Bein. Zu seinem Glück geriet er nicht in Kriegsgefangenschaft. Er hielt sich versteckt und wurde von einer Krankenschwester gesundgepflegt. Für ihn war es lebensgefährlich in von der Wehrmacht besetzten Gebieten unterzutauchen. Und ebenso war es sehr gefährlich für die Menschen, die ihn versteckt hielten und gesund pflegten, versprengte Rotarmisten zu verbergen und zu unterstützen. Nach seiner Gesundung kehrte er im Frühjahr 1942 in sein Dorf zurück. Auch das Kiewer Gebiet, in dem sein Dorf lag, war von Deutschland besetzt. Er musste sich nach seiner Rückkehr weiterhin versteckt halten. Das war möglich, weil sein Cousin Bürgermeister des Dorfes war. Im Herbst 1943 wurde das Gebiet Kiew von der Roten Armee befreit.
Wieder in der Roten Armee
Zwar war nun die Zeit der Heimlichkeit und des Versteckens vorüber, aber er musste erneut Soldat werden. Am 22. Juni 1944 begann die Offensive der Roten Armee auf allen Fronten. An der Ukrainischen Front, wo Iwan Artemenko Soldat war, begann am 13. Juli die militärische Operation zur Rückeroberung Lembergs. Er nahm an dieser Offensive teil und erlitt eine Verletzung an der Schulter. An den Kämpfen war auch die SS beteiligt, die verwundete Rotarmisten bei der Gefangennahme sofort tötete. Iwan entging nur knapper mit Not seiner Ermordung durch die SS, indem er sich bei dem Erschießungskommando totstellte. Bei seiner Einheit nahm man jedoch an, er sei tot und übermittelte seiner Ehefrau die Nachricht, dass er am 25. Juli gefallen sei.
In Kriegsgefangenschaft geraten
Am 30. Juli geriet er bei Sambor in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zunächst brachte man ihn in das Stalag 367 Wartheland, einem Zweiglager des Stalag 367 Tschensdochau. Dort wurde er als verwundet registriert. Auf seiner Personalkarte I ist der Vermerk „vulnus sclop et fractura humerid“, das heißt er hatte eine Schusswunde und eine Fraktur der Schulter erlitten. Wegen der herannahenden Front wurde das Stalag 367 im August 1944 aufgegeben.
Personalkarte 1 von Iwan Semjenowitsch Artemenko, Quelle Gedenkstätte Stalag 326
Kriegsgefangener im Stalag 326
Am 18. August kam Iwan im Stalag 326 Stuckenbrock an. Man brachte ihn zunächst ins Lazarett, wo er von sowjetischen Ärzten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, behandelt wurde. Nach Berichten von Zeitzeugen aus dem Lagerlazarett des Stalag 326 hatten die sowjetischen Ärzte das Ziel mit allen Mitteln das Leben möglichst vieler Kriegsgefangener zu erhalten. Die Ärzte taten alles um Erkrankte und Verletzte solange wie mögliche im Lazarett zu behalten
Doch im Oktober 1944 wurde Iwan aus dem Lazarett entlassen und kam ins Lager. Die Lebensbedingungen waren hart, die Verpflegung war völlig unzureichend: morgens ein Stück Brot und Marmelade, mittags eine Wassersuppe, der sogenannte Balanda. Viele Gefangene versuchten durch die Herstellung von Kleidung oder kunsthandwerklichen Gegenständen, die sie gegen Essen eintauschen konnten, ihre Verpflegung aufzubessern. Auch Iwan versuchte das und nähte Hüte, die er durch den Stacheldrahtzaun gegen Brot eintauschte. Dabei wurde er von einer deutschen Bäuerin bemerkt. Sie erreichte, dass er auf ihrem Hof arbeiten konnte. Für ihn war das die Rettung, wie er später seiner Familie berichtete. Im Winter, wenn die Bauern weniger zu tun hatten, besserten sie ihr Einkommen durch die Herstellung von Blechspielzeug in Heimarbeit auf. Er half bei der Heimarbeit und in der Landwirtschaft. So haben ihm seine landwirtschaftlichen Kenntnisse und sein handwerkliches Geschick das Überleben gesichert. Am 2. April 1945 wurde das Stalag 326 von US-Truppen besetzt. Amerikanische Offiziere führten mit den Gefangenen Interviews und berichteten ihnen, dass die aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Rotarmisten mit Verfolgung rechnen müssten. Sie boten die Emigration in die USA an. Doch Iwan wollte in seine Heimat und zu seiner Familie zurückkehren. Seine Familie wurde im April 1945 von der Nachricht über sein Überleben überrascht. Sie hatten in für Tod gehalten und schon eine Trauerfeier für ihn geplant.
Rückkehr in die Heimat
Nach seiner Entlassung aus dem Stalag 326 wurde er nach Kiew gebracht. Von dort war es nicht weit bis zu seinem Dorf Ljubjanka. Doch eine Rückkehr zu seiner Familie und in sein Dorf bedeutet das nicht. Er kam, wie die meisten Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, in ein Filtrationslager, wo er befragt und überprüft wurde. Einmal erhielt er die Erlaubnis seine Familie zu besuchen. Dann brachte man ihn in ein Arbeitslager in den Donbass. Wieder half ihm sein handwerkliches Geschick. Er musste nicht auf den Zechen oder in den Stahlwerken des Donbass arbeiten. Er arbeitet als Keraminkmeister in einer Töpferei , wo Haushaltsgeschirr hergestellt wurde. Erst nach dem Tod Stalins erhielt er die Erlaubnis zu seiner Familie zurückzukehren. In all den langen Jahren im Lager war nie Anklage gegen ihn erhoben worden. Nach seiner Rückkehr arbeitete er in seinem Dorft Ljubjanka als einfacher Arbeiter. Er betreute die Pferde im Kolchos. Mit seinem Sohn, der in Tchernobyl lebte, baute er ein Haus.
Anatoli Artemenko im Gespräch mit Dmitriy Kostovarov
Erinnerungen an den Großvater
Seine Enkelkinder besuchten ihn in den Sommerferien. Sein Enkel Anatoli erinnert sich an unbeschwerte Ferien im Dorf bei seinen Großeltern, wenn er mit den anderen Kindern die Wälder und Wiesen durchstreifte, im nahegelegenen Bach fischte oder mit dem Großvater die Pferde versorgte. Der Großvater betrieb im Nebenerwerb eine Töpferwerkstatt, wo er Haushaltsgeschirr, Teller, Tassen, Schüsseln und Krüge, herstellte. Er lehrte auch seine Enkel das Töpfern und in den Ferien begleiteten ihn seine Enkel oft, wenn der Großvater sein Geschirr auf dem Markt in Tschornobyl verkaufte. So erinnert sich Anatoli Artemenko an den Großvater. Von der Zeit seiner Gefangenschaft im Stalag sprach der Großvater selten, doch wenn er über seine Gefangenschaft sprach, erzählte er von der Zeit, in der auf dem Hof der deutschen Familie lebte. Seine Enkelkinder besuchten ihn in den Sommerferien. Sein Enkel Anatoli erinnert sich an unbeschwerte Ferien im Dorf bei seinen Großeltern, wenn er mit den anderen Kindern die Wälder und Wiesen durchstreifte, im nahegelegenen Bach fischte oder mit dem Großvater die Pferde versorgte. Der Großvater betrieb im Nebenerwerb eine Töpferwerkstatt, wo er Haushaltsgeschirr, Teller, Tassen, Schüsseln und Krüge, herstellte. Er lehrte auch seine Enkel das Töpfern und in den Ferien begleiteten ihn seine Enkel oft, wenn der Großvater sein Geschirr auf dem Markt in Tschornobyl verkaufte. So erinnert sich Antatoli Artemenko an den Großvater.
Von der Zeit seiner Gefangenschaft im Stalag sprach der Großvater selten, doch wenn er über seine Gefangenschaft sprach, erzählte er immer von der Zeit, in der auf dem Hof der deutschen Familie lebte.
Späte Anerkennung
Eine Anerkennung für seine Zeit in der Roten Armee und die Teilnahme am Krieg erhielt er erst am Ende seines Lebens, Mitte der 1960ziger Jahre. Man überreichte ihm eine Medaille als Auszeichnung. Eine Entschädigung oder Entschuldigung von deutscher Seite erhielt Iwan Artemenko, er wie vielen tausend andere sowjetische Kriegsgefangenen, nie. Erst 2015 sprach der Deutsche Bundestag den überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen eine symbolische Entschädigung zu, da lebten nur noch 3000 von ihnen.