Erinnerung an Wassili Josifowitsch Gaschto

Die Familie Gaschto besuchte in Erinnerung an ihren Urgroßvater Wassili Josifowitsch Gaschto die Informations- und Gedenkstätte Stalag VI A und den Friedhof am Höcklinger Weg.
Die Familie lebt derzeit in Krefeld. Sie stammt aber aus Mariupol und musste wegen des Krieges in der Ukraine nach Deutschland fliehen. Ihr Urgroßvater hatte als sowjetischer Kriegsgefangener auf der Henrichshütte in Hattingen Zwangsarbeit geleistet und war im Stalag VI A gestorben. Irina Gaschto fand nach längerer Recherche die Personalkarte von Wassili Gaschto. Auf einer Internetplattform sammelte sie weitere Informationen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland fasste die Familie den Plan das Grab ihres Urgroßvaters besuchen. Sie statteten auch der Informations- und Gedenkstätte Stalag VI A Hemer einen Besuch ab.

Wassili Josifowitsch Gaschto

Wassili Gaschto stammte aus dem Dorf Kasatschi im Gebiet Rostow. Dort wurde er am 24. Juni 1899 geboren.
Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wurde auch er eingezogen. Im Frühjahr und Sommer 1942 befand sich die Rote Armee auf dem Rückzug. Wassili Gaschto geriet am 8. Mai 1942 bei Feodosia auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft. Man brachte ihn wie tausende andere in das Stalag VI K in der Senne, da wurde er registriert. Am 1. August kam er in das Stalag VI A nach Hemer und am 3. August in das Arbeitskommando 1558 auf die Henrichshütte nach Hattingen. Am 8. September kehrte er, bereits schwer erkrankt, nach Hemer zurück.

Mahnmal auf dem Friedhof am Höcklinger Weg in Hemer

Nach kurzer Zeit im Stalag VI A starb Wassili Gaschto am 10. September 1942 an Herzschwäche. Tagelange Fußmärsche ohne Verpflegung und Erholungspausen, lange Zugfahrten in offenen Waggons, Hunger und Durst, die fehlende medizinische Versorgung und die harte Arbeit auf der Henrichshütte hatten seine Gesundheit schnell zerrüttet. Man begrub ihn am 11. September 1942 in einem Massengrab auf dem Friedhof am Höcklinger Weg. Wassili Josifowitsch Gaschto wurde 43 Jahre. Er hinterließ eine Ehefrau und mehrere Kinder.

Mahngang auf dem Internationalen Friedhof

Am Karfreitag fand auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund ein Mahngang statt.  Dmitriy Kostovarov erinnerte mit einer kurzen Ansprache an die sowjetischen Kriegsopfer:

Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

würde ich alle bekannten Namen der sowjetischen Kriegsopfer, die hier begraben sind, verlesen, würde das 6 Stunden und 13 Minuten dauern . 4473 Namen sowjetischer Kriegsopfer sind bekannt, wie viele es wirklich sind, wissen wir bis heute nicht. Diese Menschen sind in Dortmund ums Leben gekommen, sie stammten aus alle 15 Sowjetrepubliken und sehr viele von ihnen kam aus der Ukraine.

Erinnerung an Mark Sabeljewitsch Bolschakow

Heute möchte ich an einen Verstorbenen erinnern.
Mark Sabeljewitsch Bolschakow, er wurde am 12. September 1912 geboren, von Beruf war er Elektromonteur. Er stammte aus dem Dorf Lewino im Gebiet Tambow, das auf halber Strecke zwischen Moskau und Wolgograd liegt. Bereits am 23. Juni 1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft und kam in ein Gefangenenlager in Ostpreußen. Er wollte sich mit der Gefangenschaft nicht abfinden und unternahm dort Fluchtversuche. Deshalb durfte er das Lager nicht mehr verlassen. Seine Personalkarte hat den Vermerk „Achtung“ und „Darf nicht mehr in Arbeitseinsatz“. Mehr als 2 Jahre verbrachte er in Lagern in Ostpreußen. An 3. September 1943 wurde er in das westfälische Hemer in das Kriegsgefangenenlager Stalag VI A gebracht und von dort zum Arbeitseinsatz auf die Zeche Hugo in Gelsenkirchen-Buer. Dort unternahm er einen weiteren Fluchtversuch, er wurde gefasst und in ein Straflager nach Dortmund auf die Zeche Dorstfeld gebracht. Gemeinsam mit Alexej Pawlowskij, dessen Bild auf Feld 3 zu sehen ist, unternahm er am 22. Dezember 1943 einen weiteren Fluchtversuch. Bei diesem Fluchtversuch wurden beide erschossen. Mark Bolschakow ist, wie auch Alexej Pawlowskij, auf Feld 3 begraben. Seit kurzem erinnert eine Holztafel an Mark Bolschakow. Diese Holztafel wurde durch eine private Initiative auf Feld 3 aufgestellt. Aber viele Jahrzehnte gab es für ihn, wie für alle sowjetischen Kriegsopfer keine namentliche Erinnerung. Der Friedhof erinnert auch heute mehr an einen Park als an eine Begräbnisstätte.

Die Gräber wurden eingeebnet

Stellen wir vor wie der Friedhof Ende 1945 aussah. Überall hier auf 11 Gräberfelder standen 1320 weiße Kreuze für Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen und deren Kinder. Auf jedem Kreuz war ein Name. Dazwischen standen auf den 621 Gräbern der verstorbenen Kriegsgefangenen, deren Namen bekannt waren, Holzstangen und Blechschilder mit ihren Namen und Erkennungsmarkennummern. Mehr als 3000 verstorbene Kriegsgefangene aus dem Kriegsgefangenenlager Stalag VI D, das in Dortmund an der Westfalenhalle war, wurden laut Sterbebuch anonym begraben, ohne Kreuz, ohne Erinnerung.

Stellen wir uns vor auf diesem Friedhof ständen heute 4473 Kreuze für die sowjetische Kriegsopfer, deren Namen wir kennen. Die große Zahl der Kreuze würden das Ausmaß des Leidens und Sterbens der sowjetischen Kriegsopfer augenfällig machen. Doch Kreuze kamen für die Landesregierung Ende der 1950ziger Jahre nicht in Frage. Die Landesregierung entschied, dass der Preis von 70 DM je Kreuz bei der Vielzahl der Grabmale zu hoch sei. Die Gräber wurden eingeebnet. Es entstand die parkähnliche Anlage, wie wir sie heute sehen.

Erst vor 8 Jahren wurde ein Projekt ins Leben gerufen. Endlich sollten die sowjetischen Kriegsopfer namentlich genannt werden. 58 Stelen aus Marmor sollten auf den Grabfeldern aufgestellt werden. Dieses Projekt wurde bis heute nicht realisiert. Die Stadt Dortmund nennt, trotz Anfrage, bis heute die Gründe nicht. Doch es ist an der Zeit, dass auch der sowjetischen Kriegsopfer mit ihren Namen gedacht wird
.

Erinnerung an die Opfer der Bittermark-Morde

Mit einer Gedenkveranstaltung in der Bittermark im Dortmunder Süden gedachten etwa 800 Menschen der Opfer der Bittermarkmorde.
In der Karwoche 1945 wurden in den südlichen Waldungen der Stadt Dortmund und an anderen Stellen etwa 300 Menschen von der Gestapo ermordet. Unter den Ermordeten waren die Mitglieder einer Widerstandsgruppe aus Dortmund. Die Namen der deutschen Opfer kennen wir und auch ihre Herkunft, ihre Geschichte und oft auch die Umstände ihres Todes. Alljährlich werden ihren Namen verlesen und über ihr Leben und Sterben wird gesprochen und auf Tafeln berichtet.

Doch die meisten Ermordeten waren Zwangsarbeiter*innen: Sowjetbürger, Franzosen, Belgier, Niederländer, Polen, Serben. Während die deutschen Opfer von ihren Angehörigen, von Freunden und Arbeitskollegen identifiziert werden konnten, kennen wir die Namen der meisten Zwangsarbeiter*innen auch heute nicht und selbst wenn uns die Namen bekannt sind, wissen wir oft nichts über ihr Leben, ihre Herkunft und über ihr Sterben, denn kein Zeitzeuge, kein Angehöriger konnte über sie erzählen und auch heute wird den meisten ermordeten Zwangsarbeiter*innen nur mit dürren Worten gedacht.

Es wäre an der Zeit auch den wenigen Spuren der Menschen, die nach Deutschland verschleppt wurden und hier Zwangsarbeit leisten mussten, nachzugehen. Diese Menschen haben in den Dortmunder Betrieben zusammen mit deutschen Arbeiter*innen gearbeitet. Sie waren jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit auf den Straßen Dortmunds zu sehen. Sie wurden wegen Kleinigkeiten eingekerkert. Sie saßen mit den deutschen Widerstandskämpfer*innen im Gefängnis und wurden mit ihnen zusammen ermordet. Die Erinnerung an die Opfer der Nazis ist unteilbar, das Gedenken in der Bittermark sollte es auch sein.

Vier Holztafeln erinnern an sowjetische Kriegsopfer

Der Historische Verein Ar.kod.M errichtete auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund vier Holztafeln. Erinnert wird mit diesen Holztafeln an :

Michail Danilowitisch Liwar
Er wurde 1907 in Poltawa geboren, er war verheiratet. Am 17. Februar 1942 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sein letzter Arbeitseinsatz war in Dortmund Eving. Er starb am 11. Januar 1943 an Herzschwäche und wurde in Grab 1 auf Feld 3 begraben.

Mark Sabeljewitsch Bolschakow

Er  wurde 12. September 1912 im Dorf Lewina geboren. Am 23. Juni 1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Gemeinsam mit Alexej Pawlowskj, unternahm er am 22. Dezember 1943 einen Fluchtversuch. Bei diesem Fluchtversuch wurden beide erschossen. Mark Bolschakow ist, ebenso wie Alexej Pawlowskij, auf Feld 3 begraben.

Fratia Pawlowa
Sie wurde im Jahr 1915 geboren. Über ihr Leben und ihr Schicksal als Zwangsarbeiterin in Dortmund wissen wir nichts. Sie starb am 17. Mai 1945 in Dortmund und wurde auf Feld 19, Grab 67, begraben. Ihre Beerdigung dort ist das erste bekannte Begräbnis auf Feld 19.

Illarion Maiborod,
Er wurde am 20. Oktober 1904 in Stalino, dem heutigen Donezk, geboren. Fälschlicherweise wird er bis heute unter dem Namen Illarion Ualibard geführt.  Er wurde nach Dortmund zur Zwangsarbeit verschleppt. Am 12.September 1944 starb er in Dortmund und wurde auf Feld 9 begraben.

Wie für große Mehrzahl der sowjetischen Kriegsopfer, gibt es auch für die vier Verstorben bisher keine namentliche Erinnerung, keinen Grabstein, keine Namensstele. Sie sind bis heute namenlos. Mit der Aufstellung  der vier Holztafeln sollen die vier Verstorben ihre Namen zurückerhalten.

Gleichzeitig soll die Aufstellung der Tafeln eine Mahnung für die Stadt Dortmund sein endlich die 58 geplanten Stelen mit den Namen der sowjetischen Kriegsopfer auf dem Internationalen Friedhof zu errichten, denn Holz ist kein Marmor. Holztafeln können die geplanten Stelen nicht ersetzen.

Gedenken an die verunglückten Bergleute auf Zeche Sachsen

Auf Einladung des Knappenvereins Heessen fand auf dem Dasbecker Friedhof eine Gedenkstunde zur Erinnerung an das Grubenunglück auf Zeche Sachsen statt.

Am 3. April 1944 ereignete sich im Flöz Präsent durch Entzündung eines Gas-Luft-Gemischs eine Schlagwetterexplosion. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten 80 Bergleute im Streb, 76 sowjetische Kriegsgefangene und 4 deutsche Arbeiter. Weitere 52 Bergleute, 25 deutsche Arbeiter, 18 sowjetische Kriegsgefangene und 12 polnische und sowjetische Zivilarbeiter waren im Streckenvortrieb und in der Strebförderung beschäftigt. Bei Rettungs- und Löscharbeiten starben weitere Bergleute. Dieses Grubenunglück war das schwerste, das sich je auf der Zeche Sachsen ereignete. Die schreckliche Bilanz waren 169 Tote, 127 fanden ihr Grab unter Tage.

An der Gedenkstunde auf dem Dasbecker Friedhof nahmen der Oberbürgermeister der Stadt Hamm, Marc Herter, und die Bezirksbürgermeisterin des Stadtbezirks Hamm-Hessen, Erzina Brenneke, teil und ein Vertreter der Gewerkschaft IGBCE . In ihren Ansprachen wiesen sie darauf hin, dass der Berg keine Nationalitäten kennt. Gemeinsam fanden die Bergleute bei dem verheerenden Grubenunglück am 3. April 1944 unter Tage den Tod und viele von ihnen auch ein gemeinsames Grab.

Stellvertretende für die Verstorben stellen wir Seinal Aliew vor, der am 3. April auf Zeche Sachsen anfuhr und bei dem Grubenunglück starb.

Seinal Aliew wurde 1898 in der SSR Aserbaidschan geboren und ist Landarbeiter.

Anfang Juli 1942 gerät er bei Stary Oskol unweit von Woronesch in Kriegsgefangenschaft. Er kommt zunächst in das Kriegsgefangenenlager Stalag 339 bei Kiew. Ende Februar 1943 bringt man ihn in das Stalag IX B Fallingbostel, wo er Registrierungspapier erhält. Dort muss er in zwei verschiedenen Arbeitskommandos Zwangsarbeit leisten.

Am 4. September 1943 verlegt man ihn in das Stalag VI K Senne und am 8. September in das Arbeitskommando 506R Zeche Sachsen.

Die Befreiung des Stalag 326

Am Nachmittag des 2. April 1945 wurde das Stalag 326 (VI K) Stukenbrock in der Senne befreit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich im Lager etwa 10.000 Kriegsgefangene, darunter etwa 1000 Kranke im Lazarett. Für die Bewachung des Lagers waren nur noch etwa 50 Wehrmachtssoldaten zurückgeblieben. Ab dem 20. März waren amerikanische Truppen an das Lager herangerückt. Aufseiten der Wehrmacht gab es verschiedene Auffassungen wie mit dem Stalag umgegangen werden sollte. Einerseits bestand die Auffassung, das Lager mithilfe der in Augustdorf stationierten SS zu verteidigen, andererseits gab es die Auffassung, das Lager kampflos zu übergeben. Dadurch war das Lager aber von deutscher Seite praktisch führerlos geworden. Die deutsche Lagerleitung hatte auch die Versorgung der Kriegsgefangenen eingestellt, obwohl noch Lebensmittelmittel im Lager waren.

Stalag 326

Im Lazarett des Stalag hatte sich Ende März bereits eine Initiativgruppe bestehend aus sowjetischen Offizieren gebildet, der unter anderen Oberst Kurinin und die Militärärzte Siltschenko und Matwejew angehörten. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt gewissermaßen die Leitung des Lagers übernommen und baten um eine Unterredung mit dem deutschen Lagerkommandanten. Diese Unterredung fand am Vormittag des 2. Aprils statt. Die sowjetische Delegation forderte unter anderem die sofortige Versorgung und die künftige Selbstversorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln sowie die Übergabe des Lagers in die Verwaltung der sowjetischen Initiativgruppe. Der Militärarzt Oberstleutnant  Matwejew berichtet über diese Unterredung: „Wir erläuterten dem deutschen Lagerkommandanten, dass die Gefangenen kein Brot bekämen und die Küche aufgehört habe, Essen zuzubereiten, so dass die Gefangenen durch den Hunger bis zum Äußersten gebracht würden. Der deutsche Oberst war gezwungen, uns zuzustimmen in Bezug auf die Unhaltbarkeit der geschaffenen Lage und gab in unserer Anwesenheit den Befehl, für die Gefangenen Nahrungsmittel auszugeben. Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt, denn  als wir nach der Zusammenkunft mit dem Kommandanten durch die Baracken gingen, um die Gefangenen zu beruhigen und ihnen zu sagen, dass die Befreiung nahe sei, wurde zu dieser Zeit bereits Brot, Zucker und Margarine verteilt.“

Lagerführung des Stalag 326 nach der Befreiung

Um 14.00 Uhr erreichten die amerikanischen Truppen das Lager. In den folgenden Tagen organisierten die Amerikaner die Versorgung für die ehemaligen Kriegsgefangenen. „Es gab Dauerkeks, Büchsenmilch, Fruchtkonserven, Milchpulver und anderes“ berichtete G.M. Matwejew. Die Ernährung für die ehemaligen Gefangenen verbessert sich, sie wurden neu eingekleidet und jeder erhielt ein Bett mit Bettzeug. Die Kranken wurden in Krankenhäuser verlegt. Die Initiativgruppe übernahm die Organisation des Lagers.


Am Tag nach der Befreiung ging die neue Lagerführung auf den Friedhof der Kriegsgefangenen in Stukenbrock. Der Militärarzt Siltschenko schildert, was sie sahen: „36 große Massengräber, jedes 116 Meter lang und 2,20 Meter breit, die sich auf freiem Feld befanden. Die Grabhügel waren 10 bis 12 cm hoch und ragten kaum über die Erde. Eines der Gräber war noch nicht zugeschüttet, und man sah die Leichen, manche völlig nackt, manche in Papiersäcken, in sechs Schichten übereinander…Die Führung fasste den Entschluss, das Andenken an die zu früh umgekommenen Sowjetsoldaten zu verewigen“ So fertigte der Künstler A.A. Mordan, der selbst Gefangener des Lagers 326 war, einen Entwurf für ein Ehrenmal an.

Die Fotos und die Zitate der Zeitzeugenberichte sind dem Buch „Das Lager 326, Augenzeugenberichte, Fotos, Dokumente“, Herausgeber Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, Porta Westfalica, 1988, entnommen

Familien suchen nach den Opfern der Bittermark

Wir forschen weiter, um die Schicksale der Opfer der Bittermark zu klären. Mehrere Veröffentlichungen über die Menschen, die in letzten Tagen des Krieges in Dortmund getötet wurden, zeigen, dass vorallem die Bemühungen der Familien die Identifizierung ermöglicht hat. 12 Ermordete wurden von Familienangehörigen identifiziert. Später wurde diese Liste auf 33 Personen erweitert.
Die Möglichkeit ihre ermordeten Angehörigen zu identifizieren hatten aber nur Familien in Deutschland, doch auch in der ehemaligen Sowjetunion haben Familien nach ihren Angehörigen gesucht.
Die unten beschriebenen Fälle zeigen die Möglichkeiten, die den Familien in der ehemaligen Sowjetunion, in allen 15 Sowjetrepubliken, zur Verfügung standen, um nach ihren Angehörigen zu suchen.

Trofim Efimowitsch Litwin

So hat die Mutter vom Trofim Efimowitsch Litwin 1949 einen Suchantrag gestellt.

Suchantrag Trofim Efimowitsch Litwin, Quelle: OBD-Memorial, ID 70120548, Seite 3

Übersetzung des Suchantrags nach Trofim Efimowitsch Litwin

Fragebogen zur Suchaktion nach einem Rotarmisten

FragenAntworten
1. Name , Vorname, VaternameLitwin, Trofim Efimowitsch
2. Geburtsdatum1917
3. Geburtsort, Gebiet, Bezirk, Dorf/StadtGebiet Poltawa, Bezirk Kobelezkij,
Dorf Komarowka
4. Durch wen und wann mobilisiertOktober 1939, Mobilisierungspunkt Stadt Poltawa
5. DienstgradRotarmist
6. Letzter schriftlicher Kontakt15.09.1941, (der Ort war von den Deutschen besetzt)
7. Poststempel der letzten AdresseGemäß Poststempel auf dem letzten Brief vom 21.2.1941, Feldpost-Nr. 35-10. 594 I.D
8. Letzter Wohnort vor der MobilisierungStadt Poltawa, Komsomolskaja Straße 49
9. Zusätzliche Information über den Gesuchtenauf der beigefügten Photographie ist ersichtlich,
dass Litwin, T.E. seinen Dienst bei der 591. Inf.Div. der Moldawischen SSR, Stadt Beljzy tat
10. Wer sucht, Name, Vorname, Vatername Litwin, Elisaweta Ignatjewna
11. Verwandtschaftliche Beziehung: Ehefrau, Mutter, Vater, Schwester, Bruder, u.s.w.Mutter
12. Vollständige Anschrift des AntragstellersGebiet Poltawa, Bezirk Kobelezki, Dorf Komarowka
13. Persönliche Entscheidung des Leiters des Militäramts zum Schicksal des Kriegsdienstleistendenvermisst seit Oktober 1941
14. Grund für die verspätete SucheWir hatten keine bestätigten Dokumente und keine genaue Dienstadresse. Wir sandten einen Brief nach Moskau, erhielten aber keine positive Antwort

Anlagen: 1. Photographie von Litwin, T.E.,2. Bestätigung aus dem Amt des Dorf Komarowka, 3. Vorderseite eines Kuverts

Nr- 17

Leiter des Amtes28. März 1949
Oberstleutnant xxxxxxMilitäramt Kobeljskij
Entscheidung: Als vermisst registriert

Trofim Efimowitsch Litwin, im Herbst 1940

Die Bearbeitung der Suchanfragen hatten überall den gleichem Ablauf. Nachdem die Familienangehörigen einen Suchantrag bei der örtlichen Militärbehörde gestellte hatte, prüfte diese alle Angaben und sandte den Antrag nach Moskau. Dort wurden verschiedene Quellen abgefragt: „Gefallene und Registrierte in Verlustlisten“, „Verwundete und Evakuierte“, „Gefangene“ u.s.w. Wurde der Name des Gesuchten gefunden, suchte man nach weiteren Informationen. War die Suche erfolglos, wurde eine Sammelliste nach Orten erstellt und an die anfragende Stelle zurück gesandt. Vor Ort teilte die Militärbehörde den Angehörigen mit, dass der Gesuchte als „vermisst“ gemeldet ist und stellte den Bescheid für die Zahlung einer Rente aus.

Anwar Hassanowitsch Isaew

Suchantrag der Familie Isaew

Quelle: OBD Memorial ID 70276022

Übersetzung der Suchanfrage der Familie Isaew

Fragebogen

1. Name, Vorname, VaternameIsaew, Anwar Hassanowitsch
2. Geburtsdatum1920
3. GeburtsortDorf Atenino, Bezirk Tunguschewkij,
Mordowskaja, ASSR (Zentralrussland)
4. Durch welches Militäramt einberufenNaukatskij, Mobilisationspunkt Bezirk Osch
5. DienstgradRotarmist
6. Amt in der Roten Armee
7. Adresse der Einheit im letzten Briefkeinen Brief erhalten
8. Wann ist die briefliche Verbindung abgebrochenim November 1941
9. Wohnort vor der MobilisierungAul Iski-Naukat, Bezirk Naukatskij, Gebiet Osch
(Kirgisische SSR)
10. Zusätzliche Informationen über den Gesuchtenkeine
11. Falls es Informationen über den Tod gibt, machen Sie
Angaben wo und wann
keine
12. Wer suchtIsaew, Hassan Iljasowitsch
13. Familiäres Verhältnis zum GesuchtenVater
14. WohnortStadt Fergana, Schtschörss Straße 10
Usbekische SSR
15. Persönliche Entscheidung des Leiterswegen fehlender Information im Militäramt gehe ich
davon aus, dass er vermisst ist

Entscheidung: Registrieren als „vermisst“ seit Dezember 1941, Bescheid (für die Zahlung der Rente) herausgeben

Leiter des Amtes, 17.04.1958
Oberstleutnant xxxxxxx

Anton Kirillowitsch Grebenjuk

In der Regel wurde nach dem Krieg von den Stadtverwaltungen in jedem Haushalt Abfragen nach Vermissten macht. Das örtliche Militäramt erstellte nach diesen Angaben Listen, auf denen die Rotarmisten eingetragen waren, die nicht zurückkehrten. Diese Liste wurde im Verlauf mehrerer Jahre gemeinsam vom Militäramt und vom Geheimdienst geprüft. In einigen Fällen führte diese Prüfung zur Gewissheit über das Schicksal des Gesuchten. Bei der großen Mehrheit steht als Ergebnis – „vermisst“ und das Datum gerechnet ab dem Datum des letzten Briefes plus 3 Monate.

Genau das sehen wir in den weiteren Dokumenten.

Informationen aus Dokumenten, die den Verlust angegeben
ID 65914854



Name
Grebenjuk
Vorname
Anton
Vatername
Kirillowitsch
Geburtsdatum
__.__.1924
Geburtsort
Ukranische SSR, Gebiet Zhitomir,
Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow
Mobilisiert
06.1941 Militäramt Brusilow, Ukranische SSR,
Gebiet Zhitomir, Dorf Ozerjany, Bezirk Brusilow
Dienstrang
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
__.03.1944*
Quelle des Bericht
ZAMO

* für die von Deutschland besetzten Teile der Sowjetunion galt die Regeln das Datum des Verlustes als Vermisste/r ist„3 Monaten nach Befreiung der Region“

Verlustliste auf der Anton Kirillowitsch Grebenjuk verzeichnet ist, Quelle OBD Memorial ID 65914854

Unter Nummer 8 der Liste wird Anton Kirillowitsch Grebenjuk ausgeführt. Nur sehr wenig ist von ihm in Erinnerung geblieben. Seine Mutter, Anna Pawlowna Grebenjuk, hatte nicht viele Möglichkeiten für eine Suche. Sie erhielt am 25. September 1946 den Bescheid des örtliches Militärsamt „vermisst zusammen mit 14 anderen Rotarmisten aus den umliegenden Dörfern“.

Iwan Petrowitsch Haew

Iwan Petrowitsch Haew wurde als Infanterist ohne Parteizugehörigkeit mobilisiert. Den letzte Brief hat er von der Feldpost 59/2, Bahnhof Tschizhowo, Dorf Zarabby-Kostji, Gebiet Belostock, am 20.06.1941 abgeschickt. Seine Ehefrau, Olga Iwanowna Haewa, erhielt nur die Nachricht, dass ihr Ehemann als „vermisst seit Dezember 1941“ gilt. Dieser Bescheid ist vom 3.12.1947 . Der Bescheid bedeutete für Olga Iwanowna Haewa, dass keine weiteren Nachforschungen folgen würden. Damit hatte sie die letzte Hoffnung auf die Rückkehr ihres Ehemanns verloren.

Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten
ID 62330033

Familienname
Haew
Vorname
Iwan
Vatername
Petrowitsch
Geburtsdatum
1914
Geburtsort
Gebiet Iwanowo, Dorf Medwezhje
Datum und Ort der Mobilisierung
20.06.1940, Militärbehörde der Stadt Palech, Gebiet Iwanowo
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
12.1941
Quelle ZAMO

Unter der Nummer 8 sehen wir die kurze Informationen aus Befragungen des örtlichen Militärsamts.

Verlustliste auf der Iwan Petrowitsch Haew verzeichnet ist, Quelle 62330033

Schon in September 1941 musste Iwan Haew in der Stadt Meissen Zwangsarbeit leisten. Am 21.10.1941 wird er an das Stalag IV H gebracht. Darüber haben wir in unserem Beitrag „Leben und Sterben der sowjetischen Gestapo-Opfer“ berichtet. Auf der Arbeitskarte ist sein Tod nicht dokumentiert. Weitere Dokumente sind während des Krieges verloren gegangen. Ebenso wie seine Dokumente verschwand auch Iwan Petrowitsch Haew, wie es von der Gestapo geplant war.

In der Vergangenheit wussten die sowjetische Seite nichts von den Gestapo-Listen und die deutsche Seite kannte die Suchmeldungen der Angehörigen nicht. Heute aber haben alle Seiten Zugang zu diesen Dokumenten, deshalb muss alles dafür getan werden Namen und Schicksal der „Vermissten“ zu erforschen, sonst erreichen die Nazis ihr Ziel: Menschen, die von ihnen in rassistischer Weise abgewertet wurden, die sie gequält, ausgebeutet und ermordet haben, einfach spurlos verschwinden zu lassen.

Leben und Sterben der sowjetischen Gestapo-Opfer

Wer sind die Ermordeten der Bittermark?

Im Stadtarchiv der Stadt Dortmund geben zahlreiche Dokumente Zeugnis von der grausamen Arbeit der Gestapo. Auch in den letzten Kriegstagen wurden Verhaftungen akribisch vermerkt. Die Dokumente über die Gestapo-Haft sowjetischer Bürger*innen enthalten für diese Zeit 117 Einträge. Hinter den Namen dieser Verhafteten findet sich oft der Vermerk „entlassen“. Anders als der Begriff „entlassen“ vermuten lässt, haben diese Gefangenen ein grausames Schicksal, denn die Eintragung „entlassen“ war ein Todesurteil für die Gefangenen. So gehen wir davon aus, dass unter den 117 Menschen auf der Liste der Gestapo, 98 Gefangene, hinter deren Namen den Vermerk „entlassen“ steht, die letzte Tage des Krieges nicht überlebten.

Nur wenige haben überlebt

Nur wenige Gefangene haben die Gestapo-Haft und die letzte Tage des Krieges überlebt. Für einigen Menschen haben wir jetzt persönliche Dokumenten in verschiedenen Archiven gefunden.

Pawel Wasiljewitsch Philipin

Auf der oben genannten Gestapo-Liste ist Paul Pilipin, geboren 1911, unter der Nr. 8554 eingetragen. Er war am 2.4.1945 in Gestapo-Haft. Nach eingehender Recherche konnten wir in der Datenbank OBD-Memorial (https://obd-memorial.ru/html/) unter der ID 79919315 einen Eintrag für Philipin (Filipin), Pawel Wasiljewitsch finden. Wir gehen davon aus, dass es sich um den in der Liste genannten Paul Pilipin handelt, denn nach unserer Erfahrung wurden Namen von sowjetischen Bürger*innen bei der Registrierung sehr oft fehlerhaft aufgenommen. Darüber hinaus differiert die Schreibung von Namen in lateinischer, deutscher und kyrillischer Schrift.

Informationen aus dem Archiv
ID
79919315

Familienname
Philipin (Filipin)
Vorname
Pawel
Vatername
Wasiljewitsch
Geburtsdatum
1911
Geburtsort
Rjsaner Gebiet, Dorf Nikoljskoe
Datum und Ort der Mobilisierung
1941
Letzter Dienstort
Einheit 904. Infanterie Regiment
DienstgradRotarmist
Grund des Verlustes
in Gefangenschaft geraten (befreit)
Datum des Verlust
20.08.1941

Der Eintrag in der Datenbank OBD-Memorial besagt, dass Pawel Wasiljewitsch Philipin bereits im August 1941 in Gefangenschaft geriet und am Ende des Krieges befreit wurde. Er hatte also eine lange Gefangenschaft hinter sich. Darüber geben zwei Transportkarten Auskunft:
OBD Memorial, ID 1978125561
Transportkarte Filipin, Pavel zum Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern)

OBD Memorial, ID-Nr. 1978107752
Transportkarte Filipin, Pavel vom Stalag XIII A Sulzbach Rosenberg (Bayern) zum Stalag XIII D zum Stalag XIII A Nürnberg-Langwasser

Es ist anzunehmen, dass Pawel Philipin nach Dortmund kam, da sehr viele sowjetische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit in die Betriebe und Zechen des Ruhrgebiets gebracht wurden.

Pjotr Iwanowitsch Powarow

Auch Pjotr Powarow (Peter Powarow) geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 10020 registriert, auch er wurde nach dem Ende des Krieges befreit.

Informationen aus dem Archiv
ID 85494462


Familienname
Powarow
Vorname
Pjotr
Vatername
Iwanowitsch
Geburtsdatum
1918
Geburtsort
Smolensk, Degtjarowa 2
Datum und Ort der Mobilisierung
09.05.1934, Waisenhaus, Stadt Smolensk
Dienstrang
Unterleutnant
Grund für den VerlustIn Gefangenschaft geraten (befreit)
Datum des Verlust
27.10.1941
Quelle
ZAMO

Seine Filtrationskarte besagt: Der Unterleutnant Pjotr Iwanowitsch Powarow geriet leichtverwundet am 27.10.1941 in Kriegsgefangenschaft. Am 13.04.1945 befreiten ihn die Amerikaner in Dortmund. Bis November 1946 wurde er in verschiedenen Filtrationslagern überprüft. Danach arbeitete er bei einem Moskauer Bauunternehmen.

Filtrationskarte von Pjotr Iwanowitsch Poworow

Der Vermerk „entlassen“ war ein Todesurteil

Ganz anders aber waren die Schicksale der 98 sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten*innen, deren Gestapo-Akten den Vermerk „entlassen“ tragen. Von keiner dieser Personen finden sich Dokumente über ihre Befreiung und ihre Rückkehr nach Hause.

Anwer Hassanowitsch Issajew

Einer dieser 98 Gefangenen ist An(u)wer Issajew, registriert unter der unter Nummer 8649 in den Gestapo-Akten.
Seine Familie erhielt von ihm im November 1941 das letzte Lebenszeichen.

Informationen aus dem Archiv
ID 70276022

Familienname
Isaew
Vorname
Anwar
Vatername
Hasanowitsch
Geburtsdatum
1920
Geburtsort
ASSR Mordowien, Dorf Atenino
Datum und Ort der Mobilisierung
13.02,1941 ,Kirgisische SSR, Gebiet Osch
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlustvermisst
Datum des Verlust
12.1941
Quelle
ZAMO

Iwan Petrowitsch Haew

Über den unter der Nummer 8666 eingetragenen Iwan Haew gibt es Informationen in der Datenbank OBD-Memorial. Iwan Petrowitsch Haew war seit dem 20.6.1940 Soldat, sein letzter Dienstort war Belostock ganz im Westen der Sowjetunion. Ab Ende Juni 1941 hatte seine Familie keine Nachricht mehr von ihm.

Informationen über Kriegsgefangenen
ID 72230514

Name
Haew
Vorname
Iwan
Geburtsdatum
04.08.1914
Lager
Stalag (Lager in dem der Gefangene
registriert wurde)
IV B
Erkennungsmarken-Nr.
123059
Dienstrang
Rotarmist
Quelle
ZAMO

Im September 1941 wurde er im Stalag IV B Mühlberg/Elbe registriert und erhielt die Erkennungsmarken-Nr. 123059. Einige Arbeitseinsätze und Lagern überlebte er.

Er wurde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zur Zwangsarbeit ins Ruhrgebiet gebracht. Sein letztes Lebenszeichen war die Eintragung der Dortmunder Gestapo „entlassen“. Der Vermerk war sein Todesurteil. Er kam nicht nach Hause.

Trofim Efimowitsch Litwin

Trofim Efimowitsch Litwin war seit 1939 Soldat in einer Einheit der Roten Armee in der Stadt Belzy. Seit November 1941 hatte seine Familie kein Lebenszeichen von ihm.

Auch Trofim Litwin geriet in Gestapo-Haft und wurde unter der Nr. 8677 registriert. In den Gestapo-Akten steht neben seinem Namen unter dem 1.4.1945 der Vermerk „4K entlassen“.

Informationen aus Dokumenten zur Klärung von Verlusten
ID 70120548

Familienname
Litwin
Vorname
Trofim
Vatername
Efimowitsch
Geburtsdatum
1917
Geburtsort
Ukrainische SSR, Gebiet Poltawa, Dorf Komarowka
Datum und Ort der Mobilisierung
10. 1939, Ukrainische SSR, Stadt Poltawa,
letzter Dienstort
P/Ja 35-10
Dienstgrad
Rotarmist
Grund für den Verlust
vermisst
Datum des Verlust
12.1943
Quelle ZAMO

Ebenso wie die Familien in Deutschland und Frankreich Nachforschung nach ihren Angehörigen anstellten, die in der Bittermark ermordet wurden, suchten auch die Familien in der Sowjetunion nach ihren ermordeten Angehörigen. Diese Nachforschungen waren in der Nachkriegszeit sehr schwierig.
Inzwischen wurde viele Archiven geöffnet, die in der Nachkriegszeit nicht zugänglich waren. Welche Informationen und Dokumente lassen sich dort noch über die 98 aus Gestapo-Haft „Entlassenen“ finden?

Gedenken an die Opfer der Bittermarkmorde

Kurz vor dem Ende des Krieges, im Frühjahr 1945, ermordete die Gestapo in der Bittermark und im Rombergpark mehrere hundert Menschen, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Eine Liste mit den Opfern der Bittermark enthält 114 Namen, darunter auch einige ausländische Häftlinge, von denen angenommen wird, dass sie in den letzten Kriegstagen in Dortmund ermordet wurden. Als Quellen wird das Buch von Lore Junge „Mit Stacheldraht gefesselt“ angegeben.

Lore Junge gibt in ihrem Buch insbesondere die Biographien der deutschen Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wieder. Dafür hat sie mit Angehörigen der Ermordeten gesprochen und Akten durchgesehen. Ihrer Arbeit und ihren Recherchen ist es zu danken, dass wir viel über das Leben und die politische Arbeit der ermordeten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen wissen sowie über ihre Zeit in Haft und die Suche nach den Ermordeten in den Tagen und Wochen nach dem Bekanntwerden der Verbrechen in der Bittermark. Bei ihren Recherchen beruft sich Lore Junge unter anderem auch auf Dokumente der Gestapo und auf den Prozess, der 1952 gegen einige Täter stattfand.

Für die ausländischen Ermordeten der Bittermark ist die Recherche jedoch sehr schwierig. Berichte von Angehörigen liegen in den allermeisten Fällen nicht vor. Die Dokumentenlage über die Verbrechen der Gestapo in den letzten Kriegstage ist lückenhaft. Dennoch liegen dem Stadtarchiv Dortmund Dokumente vor. So sind in Papieren Gestapo unter dem 2. April 1945 zahlreiche Personen mit dem Vermerk „2.04.1945 entlassen“ geführt. Dort finden sich auch die Namen Albert Meyers, Cornelius Bothof und Peter Drapohovich aus der obengenannten Liste.

Nr. in der OpferlisteNationalitätNameLetzte MeldungEintragung Gestapo
73FranzoseMeyers, Albert02.04.1945entlassen
12HolländerBothof, Cornelius02.04.1945entlassen
32JugoslaveDrapohovic, Peter02.04.1945entlassen

Schauen wir die Gestapo-Akten von sowjetischen Bürgerinnen und Bürgern an, finden wir am gleichem Tag zahlreiche Eintragungen mit dem Vermerk „Gestapo abgeholt“ oder „durch Gestapo entlassen“. So wurden am 2.4.1945 gem. Gestapo-Akten 13 sowjetische Gefangene „entlassen“. Wir müssen davon ausgehen, dass sie ermordet wurden.

Diese Menschen, die vielleicht in der selben Zelle saßen wie die drei obengenannten Gefangenen, werden bis heute nicht zu den Ermordeten der Bittermark gezählt.

Nr. im Aktenbestand 167/1-137NationalitätNameletzte MeldungEintragung Gestapo
7316SowjetbürgerOrlow, Wasili02.04.1945Gestapo abgeholt
8514SowjetbürgerPodoljan, Grigori02.04.1945durch Gestapo entlassen
8572SowjetbürgerSchilow, Feodor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8584SowjetbürgerJanik, Wladislaw02.04.1945durch Gestapo entlassen
8609SowjetbürgerSoschenko, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8618SowjetbürgerNadjuk, Paul (Pawel)02.04.1945durch Gestapo entlassen
8621SowjetbürgerWenigrora, Eugen(ij)02.04.1945Gestapo abgeholt
8622SowjetbürgerWoronow, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen
8623SowjetbürgerVolik, Nikolai02.04.1945durch Gestapo entlassen
8630Sowjetbürger-inGutnik, Galina02.04.1945durch Gestapo entlassen
10004SowjetbürgerDzjura, Nikolai02.04.1945durch Gestapo entlassen
10029SowjetbürgerNimenko, Wasili02.04.1945durch Gestapo entlassen
8569SowjetbürgerMaczkowski, Viktor02.04.1945durch Gestapo entlassen

Stalingrad Protokoll*

Eine Textkollage

*Der Text ist, soweit nicht anders angegeben, dem Buch von Jochen Hellbeck „Die Stalingrad Protokolle – Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht“, Seite 11-18, Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich, 2012, entnommen.

Die Schlacht um Stalingrad markiert einen Wendepunkt im 2. Weltkrieg. Sie endete mit der Einkesselung und Vernichtung einer gesamten deutschen Feldarmee. Es war die bislang größte Niederlage in der deutschen Militärgeschichte.

28. Juni 1942

Nach den zum Stehen gekommenen deutschen Angriffen auf Leningrad, Moskau und Sewastopol im Herbst 1941 und den sowjetischen Gegenoffensiven im Winter plante Hitler für das zweite russische Kriegsjahr eine umfassende Sommeroffensive unter dem Decknamen „Operation Blau“. Sie begann am 28. Juni 1942 mit einem Großangriff an der russisch-ukrainischen Südfront und sollte Deutschland in den Besitz wichtiger Rohstoffquellen bringen – der Kohlegebiete vom Donbass und der Ölfelder von Maikop, Grosny und Baku. Die Panzer- und motorisierten Infanterieverbände der Deutschen kamen rasch voran. Die Speerspitze in der Heeresgruppe B bildete die 6. Armee von Generaloberst Paulus. Unterstützt von rumänischen Verbänden, erhielten sie den Auftrag, die Industriestadt Stalingrad an der Wolga zu erobern. Zu diesem Zeitpunkt mochte auch sowjetischen Beobachtern scheinen, dass der Krieg bereits entschieden war. Wassili Großman, ein sowjetischer Schriftsteller und Journalist, der als Kriegsberichterstatter für die Zeitung „Roter Stern“ u.a. von der Schlacht um Stalingrad berichtete, notierte im August 1942 in sein Tagebuch: „Dieser Krieg im Süden, am Unterlauf der Wolga, schafft ein Gefühl, als wäre ein Messer tief in den Leib gerammt worden.“

Hitler stilisierte den deutschen Angriff frühzeitig zu einem Entscheidungskampf zwischen den verfeindeten weltanschaulichen Systemen. Am 20 August 1942 notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: „Es soll kein Stein auf dem anderen bleiben.“ Am 23. August erreichten erste deutsche Panzer 70 Kilometer entfernt die Wolga nördlich von Stalingrad und riegelten den Zugang zur Stadt von Norden her ab.

Stalingrad erstreckte sich wie ein Band 40 Kilometer längs des Westufers der Wolga. Bei Kriegsausbruch zählte Stalingrad knapp 500.000 Einwohner.

Als Industriezentrum und Waffenschmiede spielte es eine wichtige kriegswirtschaftliche Rolle. Im Sommer 1942 war die Stadt zudem von Flüchtlingen überlaufen.

Stalingrad kurz vor dem Angriff, Quelle „Stalingrad Lehren der Geschichte, Hrg. W.I. Tschuikow, Röderberg Verlag, Frankfurt 1979

23. August 1942

„Der Tag begann wie allen anderen. Die Hausmeister trieben Staubwolken von der Platzmitte zum Gehweg. Alte Frauen und kleine Mädchen gingen vorbei, um sich für Brot anzustellen…Tausende Menschen, die am Flusshafen auf die Überfahrt warteten, erwachten langsam und unwillig, gähnten, kratzten sich, kauten trockenes Brot… Die Sonne stieg höher. Und die ganze große, unruhige Stadt, Heerlager und Ort zivilen Lebens in einem, begann zu atmen, begann zu arbeiten… Auf einer Bank neben dem Paradeeingang eines dreistöckigen Hauses hatten es sich zwei hübsche junge Frauen bequem gemacht. Die eine, die Frau des Hausverwalters, stopfte ein Kinderkleidchen, die andere strickte einen Strumpf… Die letzte Stunde Stalingrads, des Stalingrad, wie es vor dem Krieg war, verlief wie alle Stunden und Tage zuvor… Die ersten Flugzeuge tauchten gegen 4 Uhr nachmittags auf. Das Dröhnen der Motoren wurde stärker, zäher, dichter… Alle Geräusche der Stadt duckten sich, verebbten und allein das Dröhnen, das in seiner behäbigen Monotonie die Riesenkraft der Motoren wiedergab, wuchs an verdichtete, verfinsterte sich. Zeitweise konnten das gewaltige Flakfeuer und die Angriffe der Jäger mit dem roten Stern die Formation der deutschen  Luftwaffe stören… Als sie sich über der Stadt getroffen hatten, die Flugzeuge aus Osten und Westen aus Norden und Süden, gingen sie in den Sinkflug über… Und ein drittes neues Geräusch ertönte über der Stadt – das bohrende Pfeifen Dutzender und Hunderter von Sprengbomben, die sich von den Tragflächen lösten, das Winseln Tausender und Zehntausender Brandbomben, die aus den aufklaffenden Schüttbehältern stürzten. Die Bomben erreichten die Erde und bohrten sich in die Stadt.“

(Wassili Großman, Stalingrad, Seite 699ff, Ullstein Verlag, 2022)

„Es kamen die schwersten Tage für die Verteidiger von Stalingrad. Im Getümmel der Schlacht um die Stadt, der Angriffe und Gegenangriffe, im Kampf um das „Haus der Spezialisten“, um die Mühle, um das Gebäude der Staatsbank, im Kampf um Keller, Höfe und Plätze zeigte sich eindeutig die Überlegung der deutschen Streitkräfte. Die Initiative, die Treibkraft des Krieges, ging in diesen Tagen von der deutschen Seite aus. Immer weiter schoben sie sich vor, und aller Ingrimm der sowjetischen Gegenangriffe konnte ihren langsamen, aber unaufhaltsamen Vormarsch nicht stoppen. Am Himmel dröhnten vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die deutschen Sturzkampfflugzeuge und stießen mit Sprengbomben auf die schmerzerfüllte Erde herab. Und in Hunderten von Köpfen saß quälend nur ein Gedanke: Was wird morgen sein oder in einer Woche, wenn sich der sowjetische Verteidigungsgürtel in einen Faden verwandelt hat und durchgerissen ist, zermalmt von den Eisenzähnen der deutschen Offensive?“

(Wassili Großman, Leben und Schicksal, Seite 37 f, Ullstein-Verlag, 202
2)

Stalingrad, Quelle siehe weiter oben

14. September 1942

Nach den zweiwöchigen Bombenangriffen traten die deutschen Truppen zum Sturm auf die Stadt an. Am 14. September brach ein Regiment in der Innenstadt zu Wolga durch. In den schweren Straßen- und Häuserkämpfen der darauffolgenden Wochen wurden die Soldaten der 62. Armee (Rote Armee Anm. HT) überall in der Stadt bis ans Wolgaufer zurückgedrängt. Die im westlichen Steilufer eingegrabenen sowjetischen Verteidiger hielten bald nur noch mehrere Brückenköpfe.

Am 8. November 1942 hält Hitler im Löwenbräu in München eine Rede, die auch im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde. Viktor Nekrassow, der in Stalingrad Soldat in der Roten Armee war und  am westlichen Steilufer kämpfte, berichtet  in seinem Roman „Stalingrad“ über diese Rede (Anmerkung H.T.)

„Vor meinen Augen tanzen die Buchstaben, ungewohnte gotische Buchstaben… „Völkischer Beobachter“  Die Rede des „Führers“ in München … „Stalingrad ist unser! Nur noch in wenigen Häusern sitzen die Russen. Mögen sie sitzen…Die gewaltige russische Arterie- die Wolga ist lahmgelegt. Und es gibt keine Macht in der Welt, die uns von diesem Platz fortbringen könnte…Ich weiß Sie haben Vertrauen zu mir, und Sie dürfen versichert sein – ich wiederhole es mit voller Verantwortung  vor Gott und der Geschichte -, daß wir Stalingrad nie wieder verlassen werden. Nie wieder! Wie sehr es die Bolschewisten auch wünschen mögen…“ Ich stehe auf und gehe schwankend durch die Öffnung, die früher wahrscheinlich eine Tür war.

(Viktor Nekrassow, Stalingrad Seite 335f, Aufbau-Verlag 2021)

19. November 1942

Am 19. November 1942 startete die als „Operation Uranus“ kodierte sowjetische Großoffensive mit einem Aufgebot von über einer Million Soldaten. Die sowjetischen Panzer vereinigten sich am 24. November mit den am 20. November südlich von Stalingrad nach Westen vordringenden Panzerdivisionen. Die Deutschen und ihre Verbündeten waren eingekesselt. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee erwog einen Ausbruch seiner eingeschlossenen Truppen. (Doch) Hitler ordnete an, die „Festung  Stalingrad“ um jeden Preis zu halten. Eine Luftbrücke sollte die eingekesselten Soldaten mit Nahrung und Munition versorgen. Die Versorgung des Stalingrader Kessels aus der Luft blieb lückenhaft, so dass die anfangs über 300 000 eingeschlossen Soldaten zusehends an Nahrung- und Munitionsknappheit litten.

10. Januar 1943

Die Schlussoperation der Roten Armee zur Zerschlagung des Kessels, „Operation Ring“ begann am 10. Januar 1943. Am 26. Januar vereinigte sich die Don-Front mit der 62. Armee. Das Treffen fand auf dem Mamajew-Hügel statt, einer über Monate hinweg heftig umkämpften Höhe hinter dem Fabrikbezirk. Die Deutschen in Stalingrad waren nun in einem Nord und Südkessel gespalten. Am 30. Januar hielt Hermann Göring aus Anlass des zehnten Jahrestages der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Radioansprache. Göring verglich die deutschen Soldaten in Stalingrad mit den Helden des Nibelungenlieds. Gleich ihnen, die in einem „Kampf ohnegleichen… in einer Halle aus Feuer und Brand…kämpften und kämpften bis zum Letzten“, würden – ja sollten die deutschen Stalingrader kämpfen, „denn ein Volk, das so kämpfen kann, muss siegen.“

Diese Radioansprache konnte  auch von den Soldaten in Stalingrad empfangen werden

Heinrich Gerlach, der Soldat in Stalingrad war, hörte diese Rede in einem Keller in Stalingrad und schildert die Wirkung der Rede auf die Eingekesselten in seinem Roman „Durchbruch bei Stalingrad“.(Anmerkung H.T.)

„Und dann spricht Göring, fett und jovial, wie ein Krugwirt…Es war still geworden, so still, daß man durch die Wände ganz deutlich fernes Klopfen und Hämmern und Poltern von Steinen hörte. „Was ist denn das?“ flüsterte Eichert und sah die Umsitzenden an.  „Das ist ja eine Leichenrede. Der spricht ja gar nicht mehr zu uns!“ „Wir sind ja schon tot! Werden schon ausgeschlachtet, ausgeschlachtet für die Propaganda“…Keine Hoffnung mehr! Für die Zehntausenden von Verwundeten und Kranken keine Hoffnung mehr. Und das wagte dieser Lump auszusprechen! Hauptmann Eichert war aufgesprungen. „Schluß!“ schrie er „Schluß!“ Er griff nach dem Eisenrohr, das am Herd stand, und schlug wie ein Wilder auf das Gerät ein. Die Stimme (im Radio)verstummte.“

(Heinz Gerlach, Durchbruch bei Stalingrad, Seite 493ff, Verlag Kiepenheuer und Witsch, 2016)

In den Morgenstunden des 31. Januar hatten sowjetische Soldaten der 64. Armee den Platz der „Gefallenen Kämpfer“ umstellt. Ein deutscher Offizier gab sich ihnen als Parlamentär zu erkennen und bot Kapitulationsverhandlungen an. Mehrere Stunden später legten die deutschen Soldaten im Südkessel die Waffen nieder, in der Traktorenfabrik im Nordkessel wurde noch bis zum 2. Februar gekämpft.