In der Zeit von 1945 bis 1951 forderte die Britische Kommission Informationen über Kriegsopfer aller Nationalitäten, so auch in Dortmund. Die Namenslisten wurden mit Hilfe deutscher Beamten angefertigt. Fraglich ist jedoch, ob diese Listen tatsächlich vollständig waren.
Die Stadt Dortmund spricht heute von 5095 sowjetischen Kriegsopfern, die auf Dortmunder Friedhöfen begraben sind.
Sowjetische Kriegsopfer auf dem Ausländerfriedhof (Internationale Friedhof am Rennweg)
Das Garten und Friedhofsamt meldete im Juli 1945 auf Anfrage der Alliierten 5326 russische Staatsangehörige, die in Dortmund begraben sind, 3642 Kriegsgefangene, 1684 Zivilarbeiter*innen
Anlässlich der Eröffnung des Denkmals am Hauptfriedhof, im November 1946, sandten die sowjetischen Militärbehörden eine Anfrage an die britischen Militärbehörden zur Genehmigung der Teilnahme von sowjetischen Journalisten und eines Kamerateam an der Eröffnungsfeier. In dem Schreiben heißt es: „Offiziell sind auf dem Friedhof 17.000 sowjetische Bürger und Bürgerinnen begraben. Auf der Liste britischen Militärbehörden stehen 4985, davon 4736 Männer, 132 Frauen, 117 Kinder“
Im Jahr 1948 meldete das Garten und Friedhofamt Dortmund dem Regierungspräsidenten in Arnsberg folgende Zahlen:
621 Kriegsgefangene 1134 Zivilarbeiter*innen 3230 Kriegsgefangene ohne Namen 39 Zivilarbeiter*innen ohne Namen = 5024 Kriegsopfer Diese Angaben wurden vom Regierungspräsidenten akzeptiert
Auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg sind auf 11 Gräberfeldern sowjetische Bürger*innen begraben. Auf den Gräberfeldern befinden sich Obelisken mit der jeweiligen Opferzahl. Die Gesamtzahl der Opfer von allen Obelisken beträgt 6738.
Sowjetische Kriegsopfer auf Dortmunder Friedhöfen
Der Internationale Friedhof am Rennweg war aber nicht der einzige Bestattungsort für sowjetische Kriegsopfer. Im Juli 1948 meldete das Garten- und Friedhofsamt Dortmund dem Regierungspräsidenten in Arnsberg neben dem Internationalen Friedhof am Rennweg 16 weitere Friedhöfe in Dortmund mit 78 Gräbern sowjetischer Kriegsopfer. Bereits 1946 wurden bei der Erfassung der Friedhöfe Skizzen mit der Lage der Gräber von sowjetischen Bürger*innen angefertigt. In der folgenden Zusammenstellung tragen diese Friedhöfe den Vermerk „Skizze“
Inzwischen lassen sich auf insgesamt 28 Friedhöfen in Dortmund Gräber von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innen und deren Kinder nachweisen. Die Gräber auf den meisten Friedhöfen, für die keine Skizzen existieren, sind bei den Meldungen in der Nachkriegszeit nicht in die Gesamtzahl der Kriegsopfer eingegangen.
1. Aplerbeck (keine Skizze) mindestens 2 Gräber gem. Meldung an die Britische Kommission, die Gräber sind nicht mehr vorhanden
2. Barop (An der Palmweide 104) (keine Skizze) 1 Grab nicht mehr auffindbar
3. Bittermark (keine Skizze) Meldung an die Britischen Kommission „86 vermutlich Sowjets und 6 Unbekannte“
4. Bodelschwingh (Wachteloh 5) (keine Skizze) 29 Unbekannte, die Gräber sind nicht mehr auffindbar
5. Brambauer (Friedhofstr. 64) (keine Skizze) Grabkissen 20 mit Namen und 1 Unbekannte/r
6. Brechten (Luerwaldstr 7), (keine Skizze) 2 Gräber nicht mehr auffindbar
7. Derne (Nierstefelderstr. 113) (Skizze) 1974 „11 Unbekannte“, 2014 2 Stelen mit insgesamt 21 Namen
Gräberfeld sowjetischer Kriegsopfer auf dem Friedhof in Derne
8. Eving (Osterfelderstr 120) (keine Skizze) 7 Unbekannte, ein Dokument der Britischen Kommission nennt 7 unbekannte Russen, die Namen konnten inzwischen ermittelt werden
9. Holzen (keine Skizze) Denkmal für 39 sowjetische Bürger*innen, das Denkmal trägt keine Namen, die Namen von 36 sowjetischen Kriegsopfern sind bekannt
10. Holzwickede (keine Skizze) 1 Grab, das Grab ist nicht mehr auffindbar
11. Hombruch (Am Hombruchsfeld 15) (Skizze) Kreuze für einen unbekannter sowjetischer Bürger und für einen Verstorbenen unbekannter Nationalität, mehrere Grabkreuze für Ostarbeiter*innen
12. Hörde (Am Oelpfad 50) (keine Skizze) 7 Namen auf 6 Kreuzen, 14 Gräber von verstorbenen sowjetische Bürger*innen aus dem St. Josefs Krankenhaus in Hörde sind nicht mehr auffindbar, möglicherweise umgebettet zur Bittermark
13. Hörde (Am Oelpfad 39) (Skizze) 3 Kreuze für Unbekannte
Gräber auf Friedhof am Oelpfad 39 in Hörde
14. Huckarde (Urbanusstr. 4) (keine Skizze) 2 Kreuze für Unbekannte (Kreuze symbolisch) Gräber sind nicht mehr vorhanden
15. Husen (Kühlkamp 25) (Skizze) 2 Namen, Mahnmal mit 2 Namen wurde 2014 beseitigt und stattdessen wurden 2 neue Kreuze aufgestellt.
Das Grabmal für 2 sowjetische Kriegsopfer auf dem Friedhof in Husen wurde 2014 beseitigt und durch 2 Kreuze ersetzt
16. Kirchlinde (Bockenfekderstr. 7) (keine Skizze) Meldung an die Britische Kommission 9 unbekannte sowjetische Bürger*innen auf dem Friedhof, 2 Kreuze
17. Kley (Kleybredde 59) (Skizze) 4 Grabkissen mit Namen,
18. Kurl (Kurlerstr. 171) (Skizze) Historischer Grabstein, 1 sowjetischer Bürgerin und 1 unbekannter Russe Durch die Stadt Dortmund nicht als Grabstätte anerkannt
Historischer Grabstein auf dem Friedhof in Kurl
19. Lüdgendortmund (Keplerstr. 20) (Skizze) Ursprünglich 1 Name und 1 Unbekannte/r, jetzt 3 neue Kreuze mit Namen
22. Marten (Martener Hellweg 68) (Skizze) 8 Grabkissen mit Namen und 7 Unbekannte
23. Mengede (Mengeder Schulstr. 1) (Skizze) 5 Grabkissen mit Namen und 2 Unbekannte
24. Scharnhorst (Rybnikstr. 17) (Skizze) Auf dem ursprünglichen Grab befindet sich heute ein Komposthaufen, Dokumente für eine Umbettung existieren nicht, ein Kreuz mit Namen befindet sich auf dem Gräberfeld für Kriegsopfer sowie ein weiteres Kreuz für 1 eine/n unbekannte/n Ausländer/in
Gräberfeld auf dem Friedhof in Scharnhorst
25. Sölde (Sölderstr 19) (Skizze) 1 Grab mit Kreuz und Namen
26. Syburg (Höhesyburgstr. 93) (keine Skizze) 7 Grabkissen für Unbekannte
27. Westerfilde (Im Odemsloh 165) (keine Skizze) 17 Grabkissen, davon 9 mit Namen und 6 Unbekannte sowie 2 Einzelgräber mit Namen
28. Hauptfriedhof (Rennweg 117a) (Skizze) 4985 offiziell (621+1230= 1851 mit Namen, 3230 Unbekannte) 17 000 aus Akten 1945, heute sind 4473 Namen bekannt, Opferzahl von allen Obelisken beträgt 6738
Wie viele sowjetische Bürger*innen in Dortmund auf dem Ausländerfriedhof oder auf anderen Dortmunder Friedhöfen tatsächlich begraben sind, ist unbekannt, deshalb sollte die Stadt ein Forschungsprojekt ins Leben rufen, das die Zahl der sowjetischen Opfer in Dortmund und die Dokumentenlage in den Archiven untersucht.
Am ersten Samstag im September findet in Stukenbrock auf dem Friedhof des ehemaligen Stalag VI K die alljährliche Gedenkstunde des Arbeitskreises Blumen für Stuckenbrock statt.
Das Stalag (Mannschaftsstammlager) VI K in der Senne wurde im Frühjahr 1941 errichtet. Ab dem Sommer 1941 wurden sowjetische Kriegsgefangene hier hergebracht. Damals bestand das Lager nur aus einer Stacheldrahtumzäunung. Tausende Kriegsgefangene kamen in den ersten Monaten um, weil es an Allem fehlte. Sie hatten keine Behausung, kein Baumaterial für Unterkünfte, kein Essen und keine medizinische Versorgung. Sie waren Repressionen ausgesetzt bis hin zu willkürlichen Erschießungen. Als der Bedarf an Arbeitskräfte im Deutschen Reich stieg, wurden die Kriegsgefangenen hier gesammelt, registriert und zum Arbeitseinsatz ins Ruhrgebiet und in den Westen Deutschlands auf die Zechen, in die Stahlwerke und in die Rüstungsindustrie gebraucht.
Der Arbeitskreis führt diese Gedenkstunde bereits seit 1967 durch und erinnert an die Leiden und das Sterben tausender Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. In den Anfangsjahren erlebte dieses Gedenken viele Anfeindungen. In diesem Jahr sprach Eugen Drewermann zu 50 Menschen, die trotz Corona-Beschränkungen gekommen war. Bereits in früheren Beiträgen hatte er über das Verbrechen der Wehrmacht an Millionen Rotarmisten, die in deutscher Kriegsgefangenschaft an Hunger und fehlender Versorgung zugrunde gingen, gesprochen. In seiner beeindruckenden Ansprache während der Gedenkstunde kritisierte er die aktuelle Politik der Bundesregierung, die nichts für eine friedliche Politik mit Russland tut. Er erinnerte, an die lange gemeinsame Geschichte und die reiche Kultur, die Deutsche und Russen verbindet, und forderte eine Politik des Friedens mit Russland.
Seit neuestem erinnert in Dortmund ein Mahnmal an die Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs hierher verschleppt wurden und Zwangsarbeit leisten mussten.
Mahnmal zur Erinnerung an die Zwangsarbeit in Dortmund
Millionen Menschen wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt
Während des Zweiten Weltkriegs wurden mehr als 13 Millionen Menschen aus ganz Europa ins Deutsche Reich verschleppt, um Zwangsarbeit zu verrichten. Darunter waren insgesamt 4 Millionen Kriegsgefangene aus ganz Europa und 5 Millionen Zivilarbeiter*innen aus der Polen, der Sowjetunion und anderen Staaten Osteuropas. Es waren sehr oft junge Frauen, Jugendliche, Mädchen und Jungen. Viele Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen kamen ins Rheinland und nach Westfalen zum Arbeitseinsatz. Die Forderung nach Arbeitskräften für die Stahlwerke, die Zechen und die Rüstungsindustrie des Ruhrgebiets war enorm, denn durch die zunehmende Einberufung von Männern zur Wehrmacht herrschte Arbeitskräftemangel. Nicht nur große Betriebe, sondern auch private Haushalte, landwirtschaftliche Betriebe und Handwerksbetriebe konnten Arbeitskräfte aus zentralen Lagern bei den zuständigen Arbeitsämtern beantragen. Die Arbeitsbedingungen waren für die Menschen, die zu dieser Zwangsarbeit verschleppt wurden, sehr oft hart und die Versorgung mit allem Lebensnotwendigen mangelhaft, zudem waren Demütigungen und Bestrafungen an der Tagesordnung. Zivilarbeiter*innen, die Widerstand leisteten und sich den unerträglichen Arbeitsbedingungen widersetzten, wurden in Arbeitserziehungslagern inhaftiert.
Zwangsarbeit in Dortmund
In Dortmund mussten fast 80.000 Männer und Frauen Zwangsarbeit verrichten. Sie schufteten in mehr als 300 Arbeitskommandos und waren meistens in umzäunten Lagern, die sich auf dem Werksgelände der Zeche, des Stahlwerks oder des Rüstungsbetriebs befanden, untergebracht. Auf den Dortmunder Zechen bestand die Belegschaft zu fast 40 % aus Menschen, die Zwangsarbeit leisten mussten. Der Dortmund Hörder Hüttenverein (DHHV) gab 1945 gegenüber den Alliierten an, dass ihm 13.000 Arbeitskarten von Zivilarbeiter*innen vorliegen. Wie viele Menschen tatsächlich dort Zwangsarbeit verrichten mussten ist bisher unbekannt. Berücksichtigt man die Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge, dürften es deutlich mehr als die genannten 13.000 gewesen sein.
Auch in Dortmund wurden Zivilarbeiter*innen, die Widerstand leisteten und sich den unerträglichen Arbeitsbedingungen widersetzten, in Arbeitserziehungslagern die „KZ der Gestapo“, inhaftiert. Lagerleiter und Wachmannschaften stellte in der Regel die Gestapo. Gegen Kriegsende gab es ca. 200 Arbeitserziehungslager im Deutschen Reich. Die Arbeitserziehungslager dienten zunächst dazu deutsche Arbeiter*innen zu disziplinieren, später wurden dort hauptsächlich osteuropäische Zivilarbeiter*innen, die sich der Dienstverpflichtung widersetzt hatten, inhaftiert. Insgesamt waren zwischen 1939 und 1945 ca. eine halbe Million Menschen in Arbeitserziehungslagern inhaftiert.
Auf dem Werksgelände am ehemaligen Emschertor/Hermannstraße befand sich während des Zweiten Weltkrieges auf Wunsch der Konzernleitung auch ein solches Lager der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). inhaftiert. Im März 1945 waren in diesem Lager unterschiedlicher Gruppen von Gestapo-Häftlingen inhaftiert, von denen viele von hier aus in den Rombergpark und Bittermark gebracht und dort kurz vor Kriegsende ermordet wurden.
Der lange Weg zur Erinnerung an die Zwangsarbeit in Dortmund
Trotz der großen Zahl von Menschen, die während des Kriegs zur Zwangsarbeit nach Dortmund verschleppt wurden, erinnerte auch viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur sehr wenig an deren tragisches Schicksal. 2002 beantragte die VVN-BdA deshalb am ehemaligen Emschertor/Hermannstraße eine Gedenktafel anzubringen, um an das Lager und seine Insassen, aber auch an die Zivilarbeiter*innen und Kriegsgefangenen, die in ganz Dortmund Zwangsarbeit verrichten mussten, zu erinnern. Die VVN-BdA beklagte, dass diesem großen öffentlichen Verbrechen der Nationalsozialisten in Dortmund nicht in adäquater Weise gedacht werde. „Für die Stadt Dortmund, die derartig intensiv darin verwickelt ist, die aber zugleich der Verbrechen der Nationalsozialisten vielfältig gedenkt, ist es von besonderer Bedeutung, auch diesem Verbrechen im öffentlichen Raum würdig zu gedenken“.
Studierende des Fachbereichs Architektur an der Fachhochschule Dortmund lieferten 2014 Entwürfe für ein Mahnmal. Ausgewählt wurde eine 4 Meter hohe, begehbare, quaderförmige Skulptur aus Stahlblech, ein Entwurf von Pia Emde. Doch bis zur Umsetzung des Projekts sollte es noch Jahre dauern. Viel wurde über den Standort des Mahnmals diskutiert, bis schließlich der Rat der Stadt im Frühjahr 2019 den Beschluss fasste das Mahnmal auf der Kulturinsel im Phönix-See zu erreichten. Bei der Einweihung am 10. August 2020 war viel Prominenz aus der Stadtgesellschaft gekommen. Mit dem Denkmal will die Stadtgesellschaft, nach den Worten des Oberbürgermeisters, ein Zeichen gegen Rassismus, Chauvinismus und rechtes Gedankengut setzen. Ein Transparent am Eingang der Veranstaltung zeigte die Namen der nach Riga verschleppten jüdischen Mitbürger*innnen aus Dortmund. Es ist richtig, dass an diesen Opfern erinnert wird und ihnen mit dem Transparent die Namen zurückgegeben werden. Erfreulich ist auch, dass mit dem Mahnmal am Phoenix-See ein Erinnerungsort für die vielen Zivilarbeiter*innen und Kriegsgefangenen, die nach Dortmund zur Zwangsarbeit verschleppt wurden, geschaffen wurde.
Weitere Erinnerungsorte in Dortmund schaffen
Diese Menschen haben während des 2. Weltkriegs mit den Dortmunder*innen gearbeitet. Das rassistische Programm der Nazis gab die Rechtfertigung für ihre rigorose Ausbeutung und Verfolgung. Viele sind an den unmenschlichen Lebensarbeits- und Arbeitsbedingungen gestorben oder ermordet worden, weil sie sich diesen Bedingungen widersetzt haben. Angesichts der großen Zahl von Zivilarbeiter*innen und Kriegsgefangenen aus ganz Europa konnte ihr Schicksal den Dortmunder*innen nicht verborgen bleiben.
Bis heute gibt es in Dortmund zahlreiche Orte, die für das Leben und Leiden der Zivilarbeiter*innen und Kriegsgefangenen stehen, die aber nicht im Bewußtsein der Stadtgesellschaft und den Dortmunder Bürger*innen sind. Es besteht also weiterhin Handlungsbedarf; deshalb wäre es an der Zeit, denen die aufgrund der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager an der Westfalenhalle umgekommen sind und auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg anonym begraben wurden, ebenfalls ihre Namen zurückzugeben. Seit langem ist ein Projekt dazu geplant, es muss nun endlich umgesetzt werden.
Zum diesjährigen Gedenken an Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, am 22 Juni 1941, kamen mehrere Organisationen in Siegburg auf dem Südfriedhof zusammen. Für diese Veranstaltung wird dort jedes Jahr etwas Besonderes geplant, so auch in diesem.
Die Stadt Siegburg hat, wie viele andere Städte auch, mehrere Grabstätten sowjetischer Bürger. Auf dem Südfriedhof gibt es einige Felder mit „russischen“ Gräbern. Wir wurden von einer Partnerorganisation eingeladen gemeinsam den Nachlass eines Siegburgers für weitere Recherchen zu übernehmen. Die Witwe und die Tochter des Verstorbenen, die selbst keine Recherchen anstellen wollten, haben das Archiv im Rahmen der Veranstaltung an Interessierte übergeben.
„Wie so oft, wurde das Gräberfeld von einem unserer Landsleute zufällig entdeckt. Zahlreiche alte Grabsteine befanden sich auf dem Friedhof, die einen verwahrlosten Eindruck machten“, so berichtete die Ehefrau. Aber dieser Zustand und die verwitterte Schrift auf den Grabsteinen war auch hier der Grund für Nachforschungen. Mehrere Jahre hat sich der Familienvater mit der Instandsetzung der Grabsteine und der Suche nach den Namen der Verstorbenen beschäftigt. Selbst als er schon im Rollstuhl saß, hat er die Inschriften auf den Grabsteinen ausgebessert. In Archiven fand er viele Dokumente und er machte einige Familienangehörige der Verstorbenen ausfindig. Trotz vieler Erfolge ist es ihm nicht gelungen alle Informationen zusammenzutragen und die Grabstätte bei der Stadt Siegburg und bei der Botschaft der Russischen Föderation registrieren zu lassen.
Und doch ergab sich ein Gegensatz zwischen dem Charakter der Veranstaltung auf dem Südfriedhof und ihrem traurigen Anlass, dem Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Dieser Vernichtungskrieg kostete 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger das Leben. Mehr als 100 von ihnen liegen in Siegburg auf dem Südfriedhof.
Unter Tränen und mit großer Ergriffenheit übergab die Ehefrau alle Papiere an die eingeladenen Organisationen. Wir versprachen weitere Suchaktionen.
Bei Durchsicht der Dokumente stellten wir fest, dass sich darunter auch einige „weiße Listen“ mit mehreren Anmerkungen aus dem Archiv der Stadt Siegburg befanden. Die „weiße Liste“ ist ein Registrierungspapier für Grabstätten von Kriegsopfern, das in der Nachkriegszeit vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge erstellt wurde. Die Bearbeitung der Unterlagen zeigte Unerfahrenheit im Umgang mit Dokumenten. Die Liste enthielt für jeden Namen eine sehr wichtige Information, der bisher nicht nachgegangen wurde. Hinter fast allen Namen war eine Erkennungsmarken-Nummer vermerkt. Bei ihrer Registrierung in den Lagern erhielten die Kriegsgefangenen eine Erkennungsmarke mit einer Nummer. Diese Nummer ersetzte für immer alle persönlichen Daten, wie z.B. den Namen. Die Erkennungsmarke musste immer am Körper getragen werden. Über eine solche Nummer kann man in der Datenbank bei OBD-Memorial unmittelbar auf die persönlichen Daten des Verstorbenen zu greifen. Eine weitere wichtige Information fehlte – der Vatername. So haben wir weitere Recherchen angestellt.
Zwar konnte keine vollständige Namensliste mit Korrektur der Namen erstellt werden, aber es war möglich zehn „Unbekannten“ Name zu geben. Jetzt können 110 Kriegsopfer des Zweiten Weltkriegs und 12 Opfer des Ersten Weltkriegs ordentlich registriert werden. Vielleicht wird in Zukunft eine neue Stele mit den vollständigen Namen einen Platz auf diesem Friedhof findet. Dazu wäre aber der politische Wille der russischen und deutschen Seiten erforderlich.
Sehr symbolisch ist, dass sich das Grab des Urhebers der Suche in der Nähe dieses Feld befindet.
Für viele Menschen ist die Westfalenhalle in Dortmund mit schönen Erinnerungen an bewegende Konzerte, an spannende Sportereignisse, an interessante politische Veranstaltungen und begegnungsreiche Messen verbunden. Wir sollten aber niemals vergessen, dass dieser Ort für viele Menschen eine ganz andere Bedeutung hatte. Er war ein Ort des Leides und der Not. Ein Ort wo „manche Brust ein Seufzer dehnet, will wir hier gefangen sind“, wie das Moorsoldaten Lied sagt. Und mehr noch, für tausende Menschen war es ein Sterbeort. Im Dortmunder Stadtarchiv befindet sich das Totenbuch für sowjetische Kriegsgefangene mit mehr als 3000 Einträgen über Todesfälle aus dem Stalag VI D an der Westfalenhalle. Von 1939 bis Anfang 1945 war an und in der Westfalenhalle ein großes Kriegsgefangenenlager. Mehr als 340.000 Menschen durchliefen das Lager, sie wurden zur Zwangsarbeit in Dortmunder Betrieben und im gesamten Umland, im Münsterland und im Sauerland, eingesetzt. Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen war besonders schwer.
Stalag VI D an der Westfalenhallen, die Gebäude des Lagers für sowjetische Kriegsgefangene sind rot eingezeichnet. Die heutigen der Gebäude auf dem Messegelände und die Westfalenhalle sind grau eingezeichnet
Als Nazideutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, war für die Naziführung und die Wehrmacht schon klar, dass es sich um einen Vernichtungskrieg handelte. Mit dem Barbarossoerlass wurde die Zivilbevölkerung zu Opfern dieses Vernichtungskriegs. Außerdem galt für die sowjetischen Kriegsgefangenen „der Kommunist ist kein Kamerad“. Die Wehrmacht rückte von Standpunkt des „soldatischen Kameradentums“ ab und setzte sich über Internationales Recht hinweg. Von 5 Mio sowjetischen Kriegsgefangenen kamen 3 Mio in deutscher Kriegsgefangenschaft um. Das ist eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht und Nazideutschlands.
Ein Schauplatz dieses Verbrechens war das heutige Messegelände rund um die Westfalenhalle, es geschah vor den Augen der Dortmunder*innen.
Bei allen schönen Erinnerungen an diesen Ort verbinden, sollte das niemals vergessen werden. Gegen das Vergessen hatten der Förderverein Gedenkstätte Steinwache- Internationales Rombergpark Komitee, die Botschafter*innen der Erinnerung und der Historische Verein Ar.kod.M zu einer Mahn- und Gedenkstunde am 22. Juni eingeladen.
Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Dortmund erschossen Gestapo-Leute fast 300 Gefangenen aus Gestapo-Gefängnissen. Unter ihnen war auch Anwar Hasanowitsch Isajew, der vor dem Krieg im Naukatser Gebiet (Nookatskij Gebiet) lebte und auf dem Kolchoz Iski-Naukat gearbeitet hat. Bei unserer Zeitung hat sich die Organisation „Suchbewegung von Kirgisien“ (Unser Sieg – Bizden Zhenisch) gemeldet um die Familienangehörigen von Isaew zu finden. Es ist sehr wichtig die Familie zu finden, denn nur sie kann das Gedenken an ihn beantragen.
Der Leiter einer historischen Vereinigung, Dmitriy Kostovarov, kam auf uns zu und erzählte uns, dass er sich seit 2006 mit der Suche nach Namen insbesondere im Westen Deutschlands beschäftigt. Dank seiner Arbeit stehen auf zahlreichen Friedhöfen heute Stelen mit Namen, erklärte der Vorsitzende des Geschichtsvereins. „Eines unserer Projekte ist die Suche nach Namen von Menschen, die Opfer der Gestapo Dortmund wurden. In letzten Tagen des Krieges hatte die Gestapo 230 bis 300 Gefangene erschossen. Es waren Belgier, Franzosen, Serben, Polen und, nach unseren Informationen, mindestens 90 sowjetische Bürger. Die Namen derer, die in den letzten Tagen im Gefängnis waren, haben wir gefunden. Unter ihnen war Isajew.
In den Dokumenten ist der letzte Vermerk „entlassen“. In der Sprache der Gestapo heißt das „zum Tode verurteilt“. Die Amerikaner haben kurz nach dem Einmarsch in mehreren Bombentrichtern viele Leichen gefunden, die nur provisorisch mit Erde zugeschüttet waren. Die meisten Leichen wurden nicht identifiziert. Der Kopfschuss und mehrere Tage unter der Erde hatten Leichen so entstellt, dass die nicht mehr identifiziert werden konnten. Persönliche Gegenstände und Papiere, wie etwa Erkennungsmarken, wurden ihnen abgenommen. Bei einigen Deutschen erkannten die Familienangehörige ihre Verwandten. Die Franzosen forderten schon kurz nach dem Krieg, im Namen der Verwandten, Erklärungen über die Opfer, die nicht aus dem Gefängnis zurückgekehrten sind.
Die Suche nach sowjetischen Opfer wurde aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt. Jetzt haben wir 96 Namen gefunden und bemühen uns um die Errichtung eines Denkmals für die erschossenen Kriegsgefangenen mit einer Inschrift in russischer Sprache. – Es ist wichtig die Verwandten zu finden, um zu sehen was in privaten Sammlungen der Soldaten noch vorhanden ist, von denen, die auf der Liste stehen. Jemand muss doch für sie aufstehen, um an sie zu erinnern,“ erzählt der Historiker aus Deutschland. Im öffentlich zugänglichen Archiv OBD-Memorial haben wir zwei Dokumente gefunden. Im ersten ist Anwar im Jahr 1916 geboren, in zweitem 1920, aber den Geburtsort ist identisch – das Dorf Atenino, Gebiet Tenguschino, Mordowia, ( im Nordwesten Russlands, Anm. d.Ü.). Er wurde schon vor dem Krieg im Naukatser Gebiet zur Armee eingezogen. Wo er vor seiner Einberufung zur Roten Armee gearbeitet und gewohnt hat, ist noch nicht bekannt. Aber nach dem Krieg hat sein Vater – Hasan Iljasowitsch Isaew – eine Suchaktion beantragt, leider ohne Erfolg. Diese Anfrage kam aus der Stadt Fergana, Schtschors Strasse 10, wo der Vater wohnte. Möglich ist auch, dass Anwars Ehefrau und seine Kinder oder seine Geschwister und weitere Verwandte im Dorf Nookat wohnten. Für seine Nachkommen ist es sehr wichtig zu wissen, dass Anwar Hasanowitsch Isaew ein guter Soldat blieb. Die Lager und die verschiedenen Arbeitskommando hatten seinen Stolz nicht gebrochen. Er wurde seit November 1941 als „Gefallener“ geführt, aber tatsächlich hat er weiter in der Kriegsgefangenschaft Widerstand gegen die Nazis geleistet. Die Verhaftung durch die Gestapowar sicherlich das Ergebnis seines Widerstands.
Zur Information: Die Gestapo – -Geheime Staatspolizei – wurde in den 1930ziger Jahren zur Bekämpfung von Andersdenkenden gegründet. Haftgründe waren kriminelle Handlungen, Diebstahl, Plünderung, fehlende Papiere und Erkennungsmarken bei Kontrollen, politische Äußerungen und Aufrufe zum Widerstand, das Singen politischer Lieder und das Abhöre von „feindlichen“ Radiosendern. Verhaftet wurden Deutsche und Ausländer. Ironischerweise war eines der wenigen nach den Bombenangriffen der Alliierten „unbeschädigten“ Gebäude in Dortmund das der Gestapo. Nach dem Krieg wurden fast alle Gestapo-Leute gefunden. 1957 gab es einen Gerichtsprozess. Von 64 „Verbrechern“ wurden nur 17 verurteilt. Sie wurden aber innerhalb von 2 Jahren amnestiert. Allgemein bekannt ist , dass diese Nazis nach der Exekution von 300 Gefangenen in Dortmund nach Hemer (in ein anderes Stalag) geflohen sind. Dort haben sie weitere 90 Menschen erschossen. Übrigens …der Bürgermeister der Stadt Dortmund von 1976 bis 1993 war…Offizier der SS. Trotz den journalistischen Entdeckung 1990 hat er noch einige Jahre weiter gearbeitet.
Der Artikel ist am 22.4.2020 auf der Website Wetschnij Bischkek erschienen https://www.vb.kg/doc/387396_anvar_isaev_iz_nookata_ybit_v_gestapo_dortmynda._rodnyh_prosiat_otkliknytsia.html
Der Verein „Ar.kod.M e. V.“, geleitet von Dmitriy Kostovarov aus Dortmund, sorgt dafür, dass die „Unbekannten“ ihre Namen zurück erhalten
Erwähnenswert ist, dass es in Deutschland Menschen und Organisationen gibt, die sich nicht mit der Organisation der Gedenkfeiertage zum 9. Mai beschäftigen, sondern ausschließlich mit der Suche und Wiederherstellung der Namen von toten und vermissten sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden. Eine dieser Organisationen ist „Ar.kod.M e. V.“ (Allrussisches Kriegsopferdaten-Memorial), die von dem Amateurhistoriker Dmitriy Kostovarov im Jahr 2012 in Dortmund gegründet wurde. Zurzeit ist das einer der wenigen Vereinen, die in Nordrhein-Westfalen eine solche Gedenkarbeit sehr aktiv leisten. Am 27. Januar 2019 erklärte sich Herr Kostovarov freundlicherweise bereit, uns ein Interview zu geben, in dem er die Geschichte seiner Organisation beschrieb und ausführlich über seine Arbeitsergebnisse und Projekte berichtete. Nach seinen Worten, hat er Anfang der 2000er Jahre das Interesse für die Erforschung von sowjetischen Grabstätte entdeckt. Er war überrascht, dass auf den örtlichen Dortmunder Friedhöfen, auf den für Sowjetbürger angelegten Grabsteinen, keine detaillierten Informationen über die Toten vorliegen. Bestenfalls wurde die Gesamtzahl der Beerdigten angegeben und auf den wenigen Grabsteinen war oft nur die kurze Inschrift „Unbekannt“ zusehen. Aber jeder dieser Menschen hatte seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal und vielleicht auch Verwandte und Geliebte, für die diese Person auf ewig „vermisst“ geblieben ist. Der Wunsch, den Menschen bei der Suche nach ihren Verwandten zu helfen und die Namen der verstorbenen Sowjetbürger zu verewigen wurde zum Hauptgrund für die Gründung des Vereines. „Ar.kod.M e. V.“ stellt Namenslisten mit Verstorbenen und Orten, an denen sie begraben sind, zur Verfügung und unterstützt die Hinterbliebenen, die nach Spuren ihrer Angehörigen in Deutschland suchen. Bei Bedarf begleitet er auch Familien aus Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion bei den Besuchen der Grabstätten ihrer Vorfahren, falls solche existieren.
Erste Erfolge auf dem Katholischen Friedhof in Derne
„Auf dem katholischen Friedhof in Derne gibt es das Feld 26, auf dem Ausländer begraben sind. Jetzt ist es schwer vorstellbar, aber vorher gab es hier ein Feld von 140 Metern Länge und jetzt sieht man nur noch einen schmalen Landstreifen. Ein Teil dieses Feldes wurde bereits rekultiviert – heute gehört es zum deutschen Friedhof. Laut Gesetz gibt es für Kriegsopfer-Bestattungen keine Verjährungsfrist, aber die meisten der Beerdigten hier sind schon lange in die Vergessenheit geraten, sie werden von niemandem gesucht (neben den Sowjetbürger sind hier Italiener, Franzosen und Belgier begraben)“, sagt Kostovarov. In den 1970er Jahren wurde am Rande des Friedhofs eine kleine Säule mit der Inschrift „Hier ruhen 11 unbekannte sowjetische Bürger“ aufgestellt. „Ich habe mich gefragt, woher diese Informationen stammen. Ich habe angefangen, die Einheimischen zu befragen, aber niemand konnte meine Fragen beantworten. Deshalb habe ich mich entschlossen, selbst nach Namen zu suchen “, erinnert sich der Forscher, „Nachdem ich mich an das Stadtarchiv Dortmund und das russischsprachige elektronische Archiv OBD-Memorial gewandt hatte, ist es mir gelungen, Dokumente für 12 Personen zu finden. Es geht um 12 sowjetische Kriegsgefangenen, die 1943 in Derne starben. Die Todesursachen waren unterschiedlich: Einige starben an Hunger und Krankheiten (vor allem Tuberkulose), einige starben nach einem Unfall in der Mine und der Rest – eines gewaltsamen Todes (entweder „Genickbruch“ (das bedeutete Erhängen) oder sie wurden auf der Flucht erschossen). Die weiteren Recherchen in den Archiven der Krankenhäuser und der katholischen Gemeinde St. Aloisius bestätigten, dass auf diesem Friedhof Bestattungen von Sowjetbürger bis 1945 stattfanden. So wurden mit der Hilfe des katholischen Pfarrers in Derne noch neun „Russen“ gefunden, darunter vier Kinder. Jetzt gibt es an diesem Ort zwei neue Grabsäulen, die nach ihrer Aufstellung durch den Bezirksbürgermeister von Scharnhorst eingeweiht wurden“.
Friedhof Derne
Registrierung der Grabstätte und Errichtung der Gedenktafel
Ein wichtiger Schritt bei der Verewigung von Namen der Begrabenen ist die Registrierung von Grabstätten. Dmitriy Kostovarov berichtet, dass es in Nordrhein-Westfalen etwa 500 sowjetische Grabstätten gibt, von denen nur 258 registriert wurden. „Aus einigen Quellen habe ich Information bekommen, dass es hier tatsächlich mehr als 1000 gibt. Aber selbst wenn diese Zahlen übertrieben sind, bleibt eine sehr große Anzahl nicht registrierter Grabstätten übrig. Wir müssen die Anzahl der „Unbekannten“ schrittweise reduzieren“, sagt er. Für den Zeitraum 2014-2016 gelang es Dmitriy sowjetische Bestattungen auf 23 Friedhöfen in Dortmund zu registrieren. Dmitriy Kostovarov erklärt: „Solche Ruhestätte müssen von der Stadt registriert werden, d.h. sie müssen eine Registrierungskarte haben. Diese Karte muss von drei Vertretern bestätigt werden: das sind die Kommune, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation vertreten durch die Russische Botschaft in Berlin. Meine Namenslisten müssen zunächst von den Mitarbeitern der speziellen Abteilung der Botschaft, bzw. des Büros für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit überprüft werden. Das heißt, drei Instanzen müssen die Ergebnisse meiner Arbeit bestätigen. Die unmittelbare Errichtung des Denkmals ist die Aufgabe der lokalen Verwaltung. Nach dem Gesetz werden solche Fragen heute lokal entschieden. Die Kommune trägt selbst keine Kosten für die Errichtung der Grabstätte oder Gedenktafel – normalerweise kommt der Bund (oder die Bundesebene) für die Ausgaben auf“.
Archivarbeit: Methoden und Herausforderungen
Die Wiederherstellung der Namen von Sowjetbürgern in Nordrhein-Westfalen weist eine Reihe von Merkmalen auf. „Im Westen Deutschlands sieht die Situation bei der Suche nach den Namen von Sowjetbürgern aus objektiven historischen Gründen anders aus“, behauptet Kostovarov, „Wenn in der DDR diese Arbeit wegen militärischer Verluste der Sowjetunion sogar unterstützt wurde, war die Erinnerungspolitik in Bundesrepublik Deutschland anders: Lange Zeit war niemand daran interessiert, die Erinnerung an den Krieg zu überdenken“. Er erklärt: „Nach dem Krieg haben die Verbündeten in den besetzten Gebieten selbst nicht nach den Toten gesucht, sondern Anfragen an die deutsche Verwaltung gerichtet. Sie baten darum, ihnen Listen mit den Namen aller Personen zu schicken, die Zwangsarbeit leisteten und in Deutschland starben. Natürlich wurden die deutschen Beamten von niemandem überprüft – das war auch unrealistisch. Das heißt, die Berechnung der Todesfälle lag im Ermessen der örtlichen Behörden, die entweder versuchten, Massenverbrechen zu verbergen, oder wegen der Dringlichkeit der Anfrage diese Aufgabe einfach vernachlässigt haben“. „Einen Namen zu finden ist keine leichte Aufgabe, weil sie oft falsch aufgeschrieben wurden,“ erzählt Kostovarov, „Die Deutschen, die das kyrillische Alphabet nicht kannten, schrieben die Namen nach Gehör auf, d.h. eine Person kann in der Lagerdokumentation unter einem Namen aufgelistet und gleichzeitig unter einem völlig anderen Namen begraben sein. Manchmal kann man nur durch einen Vergleich der Lebensjahre und der ersten Buchstaben des Namens verstehen, um wen es geht. Dies ist eine mühsame Arbeit, da man Dokumente aus verschiedenen Quellen sorgfältig vergleichen und lange Namenslisten durchsehen muss. Die notwendigen Dokumente findet man in verschiedenen Quellen. Wenn es sich beispielsweise um einen toten Kriegsgefangenen handelt, könnte er bei drei offiziellen Stellen registriert worden sein. Im Arbeitskommando, das einem bestimmten Unternehmen zugeordnet war, im Durchgangslager und in den Archiven der Kirchengemeinden , die Aufzeichnungen über die Bestatteten führten (für katholische und evangelischen Friedhöfe sind das beispielsweise die sogenannten Kirchenbücher). Das heißt, wenn die Lagerdokumente vernichtet wurden, bleiben zwei weitere Quellen. Eine andere Möglichkeit sind die Dokumente von Krankenhäusern und Krankenkassen – die Unternehmen haben dort ihre Mitarbeiter angemeldet, manchmal auch die Zwangsarbeiter. Diese Dokumente sind aber schwer zu finden, da sie häufig vernichtet wurden oder verloren gegangen sind“. „Unser größter Vorteil ist, dass die meisten Archive für Benutzer frei zugänglich sind“, sagt Kostovarov, „In Russland ist das zuallererst die elektronische Datenbank OBD-Memorial, die Informationen über die sowjetischen Militärangehörigen und Zivilisten enthält, die während des Zweiten Weltkrieges sowie in der Nachkriegszeit gestorben und vermisst sind. Jedoch sind diese Informationen oft unvollständig, da beispielsweise die Orte der Bestattung der Soldaten nicht angegeben wurden. Hier können die deutschen Stadtarchive und Archive der Kirchengemeinden behilflich sein, dort findet man detaillierte Pläne für Friedhöfe, Listen von Beerdigten; Dokumente von Krankenkassen und Krankenhäusern sieht man aber seltener. Z. B. besitzt das Dortmunder Stadtarchiv Namenslisten der in Deutschland verstorbenen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die von der Friedhofsverwaltung nach Aufforderung der Britischen Kommission in den Jahren 1946 bis 1951 angefertigt wurden. Die Lagerdokumente kann man wiederum bei OBD-Memorial oder in den Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, (Arolsen Archive – Internationales Zentrum über die Verfolgung im Nationalsozialismus) in Bad Arolsen finden (z. B. die sogenannten „weißen Blätter“)“.
Zivile Ostarbeiter oder Kriegsgefangene?
Manchmal ist es nicht so einfach festzustellen, ob der in Deutschland begrabene Sowjetbürger ein Kriegsgefangener oder ein Zivilist war. Dmitriy Kostovarov glaubt, dass dieser Sachverhalt manchmal falsch dargestellt wird, denn es wird oft davon ausgegangen, dass die meisten Ostarbeiter Zivilisten waren, dass viele dieser Menschen freiwillig für den deutschen Staat gearbeitet haben und darüber hinaus das Recht auf ein Gehalt hatten sowie auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen. In den Archiven kann man wirklich Dokumente mit dem Titel „Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft“ finden, aber seiner Meinung nach bedeutet das nur, dass „die Person bedroht wurde und weiter unter Zwang gearbeitet hat, nur mit einem anderen Status. In der Realität hat sich sein schwieriges Schicksal nicht geändert“.
Aktueller Gedenkprojekt auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg
Ein weiteres Großprojekt von Dmitriy Kostovarov ist die Einrichtung von Stelen mit Namen der sowjetischen Bürger auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund, der Teil des dortigen Hauptfriedhofs ist. Hier sind Tausende von sowjetischen Zwangsarbeitern begraben, die während des Krieges in Dortmunder Betrieben, u.a. für die Dortmunder-Union-Brückenbau AG, die Stahlwerke der Hoesch AG und auf Kohlezechen Arbeit leisteten. Kostovarov erzählt: „Nach Vereinbarung mit der UdSSR sollten die Alliierten den Vertretern der sowjetischen Militärmission Informationen über sowjetische Bestattungen in Westdeutschland zur Verfügung stellen, und 1946 gab die britische Militärmission schließlich die Zahl der Todesopfer an: Es waren 4985 Menschen. Aber in Moskau fand ich im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation ein Dokument, dass auf diesem Dortmunder Friedhof 17.000 Sowjetbürger beerdigt sein sollen. Dieses Dokument wurde von der sowjetischen Militärmission zusammengestellt. Und es scheint mir glaubwürdig zu sein“. Woher kam eine so große Anzahl? Er erklärt: „Sie gingen bei der Berechnung von der gesamten Fläche der Gräberfelder aus und berechneten die Anzahl der Bestattungen auf einfache mathematische Weise. Zum Beispiel beträgt auf dem Friedhof in Stukenbrock die Länge einer Grabreihe 112 Meter, darauf gibt es 15 bis 25 Gräber. In einem Grab wurden 10 bis 15 Personen beerdigt. Oft wurden die Menschen aber am Ende des Krieges so begraben, dass die alliierten Streitkräfte, als sie 1945 in Stukenbrock eintrafen, Arme und Beine aus den Gräbern herausragen sahen. Das heißt, in jedem Grab wurden mehr Menschen begraben, als vorgesehen war. Daher ging die sowjetische Kommission von der maximalen Bestattungsdichte aus. Sie berechnete, wie viele Menschen in jedem einzelnen Grab maximal begraben werden konnte. Die erste Zahl war 65.000, aber das ist natürlich auch überschätzt, da die Berechnungsmethode sehr vereinfacht ist“. Dmitriy Kostovarov gibt zu, dass 17.000 Menschen wahrscheinlich auch zu hoch geschätzt sind für den Dortmunder Hauptfriedhof, ist jedoch fest davon überzeugt, dass auf diesem Friedhof mindestens 10.000 Sowjetbürger beerdigt sind. Kann man diese Theorie widerlegen? „Man kann z. B. stichprobenartige Grabungen durchführen und die Dichte der Bestattungen untersuchen“, sagt Kostovarov, „Ich habe mit älteren Einheimischen gesprochen und sie behaupteten, sie haben am Ende des Krieges hier einen riesigen Graben gesehen, in den man hunderte Toten geworfen hat. Das sind Massengräber, deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass in jedem Grab mehr Menschen liegen, als wir wissen“. Er gibt ein Beispiel: „In den Archiven gibt es Friedhofspläne. Zum Beispiel gibt es 135 Einzelgräber auf dem 8. Feld, und gemäß den Listen sollten hier 875 Menschen begraben worden sein. Wie kann man 135 Gräber mit 875 Menschen füllen? Und es gibt noch viele ähnliche Unstimmigkeiten“. Dmitriy Kostovarov möchte, dass die Namen hier gestorbener sowjetischer Zwangsarbeiter in Granit gemeißelt werden. Doch wurde dieses von der Bezirksregierung Arnsberg, der Russischen Botschaft und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahre 2015 unterschriebene gemeinsame Projekt noch nicht angefangen. Kostovarov erzählt: „Der Bund hat 750.000 € für das Projekt bereitgestellt, 58 Stelen sollten auf 11 Feldern errichtet werden, mit kyrillischen Inschriften auf beiden Seiten“. Zuerst soll aber ein Büro beauftragt werden, das die Kostenschätzung verifiziert – erst danach kann die Bezirksregierung Arnsberg das notwendige Geld bereitstellen. Der Backeler Bezirksbürgermeister Karl-Heinz Czierpka (SPD) sagt, der Baubeginn sei für 2021 vorgesehen. „Das Problem ist, dass wenn das vom Bund bereitgestellte Geld nicht möglichst bald für das Projekt ausgegeben wird, das ganze Vorhaben gestoppt werden könnte und dann müsse man von vorne anfangen“, beschwert sich Kostovarov.
Schülerprojekt: die Errichtung von Tontafeln – ist dieses Projetkt ausreichend?
Auf der Rasenfläche des Friedhofs sind viele Holzstelen mit Tontafeln zu sehen, auf denen die Namen und Lebensdaten geschrieben sind. Das ist das Ergebnis eines Gedenkprojektes der Europaschule Dortmund, das mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. durchgeführt wurde. Auf diesen Tontafeln sind rund 650 sowjetische Bürger verewigt. Die Namenslisten haben die Schüler von einer Bildungsreferentin des Volkbundes Deutschen Kriegsgräberfürsorge e. V. bekommen. Dmitriy Kostovarov, der selbst eine Registrierungskarte mit 4466 Namen erstellte, sieht in diesem Projekt eine würdige Initiative – so lernt die junge Generation, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Gleichzeitig findet er schade, dass die Namen nur in lateinischen Buchstaben geschrieben sind, viele davon fehlerhaft. „Ich habe ihnen ein gemeinsames Projekt mit der russischen Sonntagsschule angeboten, damit russische Schüler die richtige Schreibweise der Namen prüfen, aber leider keine Antwort erhalten“, sagt er, „Die Kinder übertragen die Namen oft aus den Quellen, ohne zu bedenken, dass diese fehlerhaft sind und sie deshalb die Namen falsch wiedergeben. Sie wissen nicht, woher dieser Mensch stammt, was er erlebt hat. Für sie mag diese Aufgabe interessant sein, aber für diejenigen, die historische Authentizität schätzen, ist das nicht praktikabel. Schließlich müssen auch die Anliegen der Hinterbliebenen aus der ehemaligen Sowjetunion berücksichtigt werden. “. Auf einer der Säulen sind inzwischen ein Paar Tontafeln vom Unwetter beschädigt und verdreht, die hölzerne Säule ist ebenfalls beschädigt… Eine Erinnerung an die Kurzlebigkeit des menschlichen Gedächtnisses.
Die Tontafeln auf den Stelen wurden von Schüler*innen der Europaschule erstellt
Zusammenarbeit mit der Russischen Botschaft
Bei seiner Tätigkeit ist für Dmitriy Kostovarov die Unterstützung von staatlichen Stellen selbstverständlich sehr wichtig. In erster Linie ist hier die Russische Botschaft in Berlin zu nennen. Dort gibt es ein Büro für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit (zurzeit geleitet von Olga Titkova), dessen Ziel auch die Pflege der russischen, bzw. sowjetischen Grabstätten und die Wiederherstellung der Namen der unbekannten Soldaten und Zivilisten ist. Kostovarov erklärt: „Sie müssen offiziell die Registrierung von Bestattungen in ganz Deutschland durchführen. Ehrenamtliche schicken ihnen Namenslisten, sie überprüfen diese und erstellen eine Registrierungskarte. Wenn die Botschaft das Dokument beglaubigt, unterschreiben die Vertreter des Volkbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Oberbürgermeister bzw. der Landrat in der jeweiligen Kommune das Dokument“. Laut dem Forscher wird diese Arbeit jedoch, aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten und Personalverschiebungen, seit 2016 nicht mehr so aktiv durchgeführt. Er sieht den Hauptgrund für diese Veränderungen darin, dass in der Botschaft verschiedene Personen arbeiten und für einige die Organisation von Feierlichkeiten z. B. zum 9. Mai eine größere Priorität hat. Aber Dmitriy Kostovarov ist optimistisch. „Wenn es nicht möglich ist, die Bestattungen zu registrieren, kann man die Namen trotzdem z. B. auf der Webseite unserer Organisation veröffentlichen, denn unsere Hauptaufgabe ist zu ermöglichen, dass die Menschen ihre Verwandten finden können“, schließt er.
Besonderheiten der Erinnerungskultur in Deutschland
„Die Erinnerung an die sowjetischen Zwangsarbeiter in Deutschland fehlt oft im gesamten Diskurs über die Kriegsopfer“, sagt Dmitriy Kostovarov, „In Deutschland wird versucht, von der schrecklichen Vergangenheit zu abstrahieren, und jede neue Information über die gefundenen Kriegsopfer kann als Vorwurf wahrgenommen werden. Es gibt traditionelle Gedenkorte, die seit langem als Symbol für NS-Verbrechen gelten, zum Beispiel Auschwitz. Auch die Tatsache, dass Auschwitz sich außerhalb Deutschlands befindet, spielt eine Rolle. Denn zuzugeben, dass eine große Anzahl von Opfern aus dieser Zeit noch nicht identifiziert wurde und auf den zahlreichen Friedhöfen moderner deutscher Städte begraben ist, fällt Vielen schwer. Aus menschlicher Sicht kann ich das gut verstehen, aber die Folge ist, dass viele Opfer des Nationalsozialismus vergessen bleiben. In der deutschen Gesellschaft gibt es natürlich keinen Widerstand gegen meine Arbeit, doch die Unterstützung verschiedener Menschen und Organisationen zu gewinnen, ist immer eine schwierige Aufgabe“. Es gibt jedoch unter den Deutschen Menschen, die nicht gleichgültig sind und bereit sind zu helfen. Vor kurzem entwickelte Hannelore Tölke, die für die Partei DIE LINKE in der Bezirksvertretung in Dortmund-Huckarde sitzt, Interesse an Kostovarovs Arbeit. Sie trat sogar dem Verein bei. Sie interessiert sich auch für Themen, die in der Politik und in der Gesellschaft oft verschwiegen werden. „Für unseren Verein ist das ein großer Gewinn, denn wir brauchen Leute, die sich in erster Linie für die historische Authentizität interessieren und dafür arbeiten“, sagt Kostovarov.
Aufgaben für die Zukunft
Trotz der Schwierigkeiten ist Dmitriy Kostovarov voller Optimismus und möchte auf der politischen Ebene seine Tätigkeit weiterführen. Er möchte eine Standardisierung der Bestattungsregistrierung sowie eine Standardisierung der Form von Denkmälern erreichen. Der Forscher erklärt: „Ich möchte, dass die russischen und deutschen Behörden zu dem Verständnis kommen, dass eine einheitliche Form der Bestattungsregistrierung eingeführt werden muss, das für alle Bundesländer obligatorisch wird. Die Städte müssen sich aktiv daran beteiligen, denn es gibt sogar ein Gesetz aus dem Jahr 1952 über die dauerhafte Erhaltung von Kriegsgräbern, und eine deutsch-russische Vereinbarung von 1992. Diese Vereinbarung besagt, dass Deutschland verpflichtet ist, Denkmäler für die sowjetischen Verstorbenen zu erhalten und weitere Namenssuchen durchzuführen. Wir brauchen auch eine einheitliche Form von Denkmälern, auf denen die Namen in kyrillischen und lateinischen Buchstaben geschrieben sind. Diese Maßnahmen sind jedoch nur in enger Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern möglich“.
Mahnmal auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund
Maria Timofeeva
Dieser Text wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Bonner Leerstellen: Unbekannte Orte der NS-Gewalt“ der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Bonn vorbereitet
Der sowjetische Schriftsteller und Journalist Konstantin Simonow als Berichterstatter am 8. Mai bei der Unterzeichnung der Kapitulation dabei. In seinen Lebenserinnerungen, in denen er über seine Begegnungen mit dem sowjetischen Marschall Goergi Shukow schreibt, berichtet er über dieses denkwürdige Ereignis:
„Sich in die Seele eines anderen Menschen zu versetzen ist nicht leicht, aber man kann sich denken, daß Shukow sich in diesen Stunden nicht nur als Befehlshaber der Front fühlte, die Berlin eingenommen hatte oder als Stellvertreter des Oberkommandierenden, sondern als der Mensch, welcher in diesem Saale jene Armee und jenes Volk vertrat, das mehr als alle anderen getan hatte. Und als Vertreter dieser Armee und dieses Volkes kannte er besser als jeder andere die Ausmaße des Vollbrachten und die durchgestandenen Mühen. In seinem Verhalten gab es weder Hochmut noch Herablassung. Für sein Volk war der soeben beendete Krieg ein Kampf auf Leben und Tod gewesen, und er gab sich mit einer strengen Einfachheit, die unter solchen Umständen dem Sieger ansteht. Auch wenn sich in der Folge unter den besiegten deutschen Generälen und den sich mit uns den Sieg teilenden Verbündeten Leute befanden, die im nachhinein das Ausmaß unseres Beitrages zu diesem Sieg bestritten, so herrschte doch damals, im Mai 1945, in Hinsicht darauf eine bemerkenswerte Einhelligkeit der Meinungen. Daran ließ nicht einmal das Verhalten des Feldmarschalls Keitel Zweifel aufkommen, der die Kapitulation unterzeichnete. Das muß man ihm lassen: Er führte sich mit der gebührenden Würde auf. Doch gab es daneben in seinem Verhalten auch etwas anderes, Unerwartetes. Man hätte meinen können, daß weder seine politischen Ansichten noch seine Gedanken an die eigene Zukunft ihn drängten, sich Shukow gegenüber mit größerer Aufmerksamkeit zu verhalten als zu den anderen im Saale sitzenden Vertretern des Oberkommandos der Verbündeten. Die Logik des verlorenen Krieges erwies sich jedoch, entgegen Keitels eigenem Willen, als stärker. Als ich ihn während der Prozedur der Kapitulation beobachtete, bemerkte ich mehrmals, daß er Shukow mit unverwandter Aufmerksamkeit beobachtete, gerade ihn und nur ihn. Das war die bittere und tragische Neugier des Besiegten gegenüber jener Kraft, die Shukow hier verkörperte, gegenüber der am meisten gehaßten Kraft, die vorrangig den Ausgang des Krieges entschieden hatte. Seit ich nun Artikel und Bücher lese, die im nachhinein das Ausmaß unseres Beitrages am Sieg über das faschistische Deutschland in Zweifel ziehen, muß ich immer wieder an Karlshorst zurückdenken, an die Kapitulation und das Gesicht von Feldmarschall Keitel, der mit einer fast unheimlichen Neugier auf Shukow blickte.“ Quelle: Konstantin Simonow, Aus der Sicht meiner Generation, Verlag Volk und Welt, Berlin 1990, Seite 322 bis 324
Anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hat das Russische Generalkonsulat, vertreten durch den stellv. Generalkonsul Wladimir Kuzmin, auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund ein Blumengebinde niedergelegt. In einer kurzen Ansprache betonte er wie wichtig dem Russischen Generalkonsulat gerade an diesem Tag der Besuch dieses Gedenkortes in Dortmund ist.
Am 2. Mai 1945, genau einen Monat nach der Befreiung des Stalag 326 (VI K) Senne, weihten die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof, der ganz in Nähe des Lagers war, einen Obelisken ein. Dieser Obelisk trägt in russischer, englischer und deutscher Sprache die Inschrift:
HIER RUHEN DIE IN DER FASCHISTISCHEN GEFANGENSCHAFT ZU TODE GEQUÄLTEN 65000 RUSSISCHEN SOLDATEN – RUHET IN FRIEDEN KAMERADEN! 1941-1945
Am Ostermontag, dem 2. April 1945, übergab die Wehrmacht das Stalag 326 (VI K) in der Senne kampflos an US-amerikanischen Truppen. Bereits seit Ende März war die Lagerleitung handlungsunfähig. Der sowjetische Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko, der sich als Kriegsgefangener im Stalag befand, erinnerte sich: „31. März. Das Lager befand sich faktisch in den Händen der Kriegsgefangenen. … Die Deutschen zeigten sich nicht mehr im Lager und die Mitarbeiter des sowjetischen Stabes bewegten sich frei auf dem Lagerterritorium. In jeder Baracke führten sie Gespräche über die entstandene Situation, über die bevorstehende Befreiung und die Notwendigkeit, zu Kämpfen bereit zu sein.“ (Quelle: Das Stammlager 326 (VI K) Senne 1941-1945, Sowjetische Kriegsgefangene als Opfer des Nationalsozialistischen Weltanschauungskrieges, K. Hüser, R.Otto, Verlag Regionalgeschichte, Bielefeld 1992, Seite 172)
Fast 5 Jahre war das Stalag 326 (VI K) in der Senne ein Ort des Leidens und Sterbens für tausende Kriegsgefangene. Im Mai 1941 begann die Wehrmacht dieses Lager in der Senne zu errichten. Für wen es gebaut wurde, zeigte sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Anfang Juli kamen die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen hier an. Auf dem Lagergelände befanden sich zu dieser Zeit weder Unterkünfte noch sanitäre Anlagen für die Gefangenen. Mit minimalen Lebensmittelrationen waren sie sich selbst überlassen. Viele starben an Vernachlässigung, Hunger, Krankheiten und fehlender medizinischer Versorgung. Die Baracken und Einrichtungen des Lagers wurden erst später von den Gefangenen errichtet. Ab November 1942 erhielt das Stalag 326 (VI K) auf Drängen der Reichsvereinigung Kohle u.a. die Funktion eines zentralen Aufnahmelagers für sowjetische Kriegsgefangene, die im Ruhrbergbau eingesetzt werden sollten. War ein Kriegsgefangener für den Bergbau einsatzfähig, wurde er nach der Registrierung, Entlausung und ärztlichen Untersuchung in das Stalag VI A nach Hemer versandt und von dort auf die Zechen im Ruhrgebiet verteilt. Mehr als 300.000 sowjetische Kriegsgefangene durchliefen das Stalag 326 (VI K). In einem in der Zeitung „Roter Stern“ 1958 veröffentlichten Artikel erinnert sich Generalsmajor Viktor Fedorowitsch Choperskij, der im April 1945 als sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 war. “Im April 1945 öffneten sich die Tore des Lagers Freiheit, Freiheit, Russen, Polen, Jugoslawen Franzosen umarmten sich, küssten sich, weinten… Aber nicht allen gelang es, den Tag der “zweiten Geburt“ zu erleben… Dem Blick öffnete sich ein weites Feld mit den Hügeln der unbekannten Gräber. Hier ruht die Bevölkerung einer ganzen Stadt.…“ Es entstand der Wunsch, an die tausenden im Lager umgekommen zu erinnern. „Wir können nicht so wegfahren beschlossen die ehemaligen Gefangenen. Wir errichten den Kameraden ein Denkmal. Möge es ewig daran erinnern, was Faschismus ist. Tage und Nächte arbeitete der Soldat und Künstler Alexander Mordan, er schuf eine Skizze nach der anderen auf der Suche nach einer steinernen Verkörperung der Gefühle der tiefen Trauer und des Glaubens an die Zukunft. Ihnen half Kapitän Smirnov, ein Leningrader Ingenieur für Wärmetechnik, der die Arbeitszeichnungen machte.
Die drei Architekten vor ihrem Denkmal. Von links: Smirnow, Choperskij, Mordan Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Broschüre, Hrsg: Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage
Sie beschlossen, ein fast 10 m hohes Denkmal zu errichten. Zum Ausheben der Grube kamen zuerst 12 Freiwillige und nach einigen Tagen arbeiteten schon etwa 200 Menschen. Der Wärmetechniker N.P. Smirnov wurde technischer Bauleiter. Die Ausschachter und Verputzer, die das Denkmal mit Marmor verkleideten, Betonierer, Schlosser und Steinmetze arbeiteten so schnell, dass es schien, als ob auf dem Platz unaufhörlich ein menschliches Fließband arbeitete. Alle 10 Minuten wechselten die Schichten – eine größere Anstrengung hielt der Organismus nicht aus. An ihre Stelle traten andere. Und so vom frühen Morgen bis zum späten Abend. In Rekordzeit formte die Schlosserbrigade von Pavel Blozkij aus Schienen der ehemaligen Lagerschmalsparbahn ein metallenes Skelett für das Denkmal. Zum ersten Mal in seiner Praxis begann Ingenieur Viktor Choperskij, der Leiter des Baues wurde, die Arbeit ohne mechanische Hilfsmittel. Ständig war er im Einsatz. Gemeinsam mit einigen Kameraden fuhr er in einem alten Geländewagen „villis“ durch die ausgebombten Städte und suchte nach Marmor, Granit, bunten Kacheln und Fliesen. Er war sowohl ein diplomatischer Leiter wie ein technischer Leiter und sogar Spediteur. Der Bau erhielt störungsfrei alles Notwendige. Und dann war das Denkmal fertig. Tag und Nacht stand eine Ehrenwache….Die ehemaligen Gefangenen richteten den ganzen Friedhof her. Sie machten eine monumentale Umzäunung, einen Platz für die Trauerzeremonien, stellten marmorne Tafeln auf die Gräber..“ Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Hrsg. Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage
Einweihung des Obelisken am 2. Mai 1945 Quelle: https://blumen-fuer-stukenbrock.eu/friedhof.php
Der Arzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko erinnert sich: „Am 2. Mai wurde das Denkmal nach einer Trauerfeier enthüllt. Den Blicken der Anwesenden bot sich ein 9,5 Meter hoher heller Obelisk, verkleidet mit Marmor, Granit und Keramikplatten. Das Denkmal schmückte eine rote Fahne aus Kunststoff (mit Hammer und Sichel). Bei der Enthüllung des Denkmals waren zugegen: 9000 befreite Häftlinge des Lagers 326; viele Sowjetbürger aus den umliegenden Lagern; polnische und jugoslawische Soldaten, die sich im benachbarten Lager befanden; amerikanische Soldaten und deutsche Einwohner von Stukenbrock.“ Quelle: Das Lager 326, Augenzeugenberichte, Fotos, Dokumente, Hrsg. Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., Porta Westfalica 1988, Seite 51.
In der Nachkriegszeit wurde die Rote Fahne vom Obelisken entfernt und durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt. Alle Bemühungen, das ursprüngliche Aussehen des Obelisken wiederherzustellen, blieben bis heute erfolglos.
Und ein weiteres Denkmal wurde auf dem benachbarten Gemeindefriedhof errichtet. Im Jahr 1941 erschoss die Wehrmacht, der das Stalag 326 (VI K) Senne unterstand und die es bewachte, 42 sowjetische Offiziere wegen Arbeitsverweigerung. Sie wurden auf dem nahen Friedhof der St.-Achatius Gemeinde begraben. Nach der Befreiung errichteten ehemaligen Gefangenen des Stalags dort ein Denkmal für die Ermordeten. Es trug in russischer, deutscher und englischer Sprache die Inschrift.
„Hier ruhen russische Soldaten – die ersten Opfer der faschistischen Gefangenschaft 1941 – 1945“
Das kleine Denkmal auf dem Gemeindefriedhof Quelle: Stalag 326 Stukenbrock, Broschüre, Hrsg: Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock e.V., 4. Auflage
Das Denkmal wurde, mit Genehmigung des damaligen nordrhein-westfälischen Innenministers, in der Nachkriegszeit gesprengt. Der Verbleib der sterblichen Überresten der 42 ermordeten Offiziere ließ sich bis heute nicht klären und ist ungewiss. Die sterblichen Überreste einiger Ermordeten sollen umgebettet worden sein und erlebten eine wahre Odyssee. Zunächst sollen 21 Gebeine nach Bielefeld gebracht worden sein von dort zum Friedhof des Lagers nach Stukenbrock, wo sie beigesetzt worden sein sollen. Heute steht auf dem Platz des kleinen Denkmals ein Mahnmal für die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.